Die Vereinigten Staaten von Amerika sind weltweit bekannt für ihre Innovationskraft und ihr Unternehmertum, gleichzeitig aber auch für eine teilweise heruntergekommene Erscheinung bei vielen physischen Produkten und urbanen Strukturen. Warum gelingt es den Amerikanern, in einigen Bereichen wie Software oder Filmindustrie Charakter und Innovation hervorzubringen, während andere, ganz konkrete Alltagsgegenstände wie Autos oder Stadtplanung eher enttäuschen? Ein zentraler Faktor liegt in der Bedeutung von Geschmack und Design, die in der amerikanischen Kultur oftmals unterschätzt oder sogar als nebensächlich betrachtet werden. Ein Blick auf die Reaktion einer italienischen Besucherin, die eine Zugfahrt von Boston nach Providence unternahm und über die Wohn- und Industriegebiete erstaunt und enttäuscht war, illustriert eine häufig geäußerte Meinung über die amerikanischen Städte und ihre Ästhetik. Besucher aus Europa oder anderen wohlhabenden Ländern sind oft überrascht von der ästhetischen Vernachlässigung, die viele Regionen der USA prägt. Der Grund dafür liegt nicht einfach in Armut oder Ressourcenmangel, sondern vor allem in kulturellen Einstellungen und Wertprioritäten.
Amerikanische Gesellschaften gelten als geprägt von einer ausgeprägten Ungeduld. Die Aufforderung von Unternehmen wie Nike „Just do it“ verdeutlicht eine Haltung des schnellen Handelns ohne lange Vorbereitung oder Rücksichtnahme auf Feinheiten und das große Ganze. Dieses rasche Vorgehen führt dazu, dass Produkte oder Projekte sehr zügig umgesetzt werden, was in gewissen Bereichen ein großer Vorteil ist. Besonders bei Softwareentwicklung oder der Herstellung von Filmen erweist sich diese Herangehensweise als effektiv. In diesen Bereichen ist Flexibilität gefragt, Fehler werden schnell erkannt und können während des Prozesses korrigiert werden.
Programme werden schnell geschrieben, verfeinert und oftmals im agilen Stil ständig angepasst. Im Gegensatz dazu sind physische Produkte wie Autos oder Häuser viel weniger verzeihend gegenüber Konzeptionsfehlern. Das Material lässt sich nicht beliebig anpassen, Fehler sind oft kostspielig oder gar nicht mehr korrigierbar. Hier ist eine Sorgfalt im Design, ein ausgeprägtes Verständnis für Geschmack und Handwerkskunst notwendig. Leider hat dieser Aspekt in den USA weniger Wertschätzung erfahren.
Der Begriff „Geschmack“ wirkt für viele Amerikaner fast pejorativ, wird als zu subjektiv, zu elitär oder sogar als feminin abgestempelt. Diese ablehnende Haltung gegenüber dem Feinsinn dürfte ein bedeutender Faktor für die teilweise schwache Qualität im amerikanischen Automobilbau und in der Stadtentwicklung sein. Die Kritik an der US-amerikanischen Autoindustrie wird seit Jahrzehnten geführt und hat sich trotzdem kaum verbessert. Während man früher die Schuld bei den Arbeitern suchte, liegt der Kern des Problems heute eher in der mangelhaften Designkultur. Autos werden häufig nicht von Designern gestaltet, sondern von Marketingexperten, die sich eher an kurzfristigen Trends oder vermeintlichen Kundenwünschen orientieren.
Das Resultat sind Fahrzeuge, die oft klobig, überladen oder schlichtweg unattraktiv wirken. Gimmicks wie Heckflossen oder kleine Fenster sollen eine Wahrnehmung von „Besser“ erzeugen, anstatt tatsächlich die Qualität oder das Erlebnis nachhaltig zu verbessern. Der Vergleich mit Japan verdeutlicht diese Unterschiede besonders deutlich. Japanische Kultur legt seit Jahrhunderten großen Wert auf detailverliebte Handwerkskunst und Design. Traditionen wie die kunstvolle Schwertfertigung oder präzise Holzkonstruktionen zeigen eine tief verwurzelte Wertschätzung für Qualität und Ästhetik.
Diese Haltung spiegelt sich auch in der modernen japanischen Automobilindustrie wider. Japanische Fahrzeuge gelten als technisch präzise, langlebig und angenehm gestaltet. Die Verantwortlichen in japanischen Unternehmen würden sich unter keinen Umständen mit einem mittelmäßigen Produkt zufriedengeben – der innere Anspruch ist eine tadellose Ausführung. Diese tiefgreifende kulturelle Prägung ist es, die den japanischen Autokonzernen einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil verschafft hat. In den USA hingegen dominiert oft der Wunsch, Kosten zu sparen und schnelle Lösungen zu finden, die zwar „funktionieren“, aber keine bleibende Freude bereiten.
Dies trifft nicht nur auf Autos zu, sondern auch auf den Wohnungsbau. Der typische amerikanische Wohnstil reicht von einfachen Fertighäusern bis hin zu sogenannten McMansions, die lediglich vergrößerte Versionen eines Basisbaus darstellen. Wichtiger als eine durchdachte Architektur ist die Dimension oder der sichtbare Luxus, der eher dem Eindruck als der Qualität dient. Viele Amerikaner schätzen vor allem eins: Geschwindigkeit. Schnell soll es gehen, das Ergebnis soll sofort nutzbar sein, egal wie es aussieht oder wie lange es hält.
Diese Herangehensweise zahlt sich in Bereichen wie Softwareentwicklung und Filmproduktion aus, wo Schnelligkeit und kreative Flexibilität essentiell sind. In Branchen, in denen Design deutlich wichtiger ist, führt sie jedoch zu deutlichen Nachteilen. Ein bemerkenswertes Gegenbeispiel ist Apple, das Unternehmen, das gerade wegen seines kompromisslosen Fokus auf Design und Benutzererfahrung weltweit Anerkennung erntet. Während andere Elektronikhersteller ihre MP3-Player eher technisch und funktional gestalten, setzt Apple mit dem iPod Maßstäbe in Sachen Ästhetik und Bedienkomfort. Das liegt daran, dass die Führungsspitze – allen voran CEO Steve Jobs – Design nicht als nebensächlichen Schönheitsaspekt betrachtet, sondern als zentralen Bestandteil des Produkterlebnisses.
Ein Produkt, das Erwartungen erfüllt, die potenzielle Kunden selbst nicht ausdrücken können, grenzt an Design-Exzellenz. In der Stadtplanung ist die Diskrepanz ebenfalls deutlich sichtbar. Amerikanische Städte und vor allem die ausgeprägten Vorstädte leiden unter einem chaotischen Wirrwarr aus schnell errichteten Wohngebieten, Geschäftszentren und Verkehrswegen. Das Ergebnis wirkt oft trostlos und wenig durchdacht, so dass Menschen als Erholung von der eigenen Umgebung oft eine Reise nach Europa unternehmen, um dort scheinbar alltägliche, attraktive Stadtbilder zu genießen. Dies liegt unter anderem daran, dass Immobilienentwickler oft nur kleine Teile eines größeren Gebiets bauen, ohne Rücksicht auf ein Gesamtbild oder langfristige soziale Kohärenz.
Japanische Städte sind ebenfalls nicht makellos, doch die Ursachen ihres urbanen Erscheinungsbildes sind anders gelagert. Erdbebengefahr und eine traditionell temporäre Sicht auf Gebäude führen zu einer ganz anderen städtebaulichen Dynamik. Zudem gibt es in Japan auch strukturelle Probleme, etwa Korruption im Baubereich, die das Stadtbild unschön prägen. Trotzdem entsteht ein anderes Gefühl für das Zusammenspiel von Funktion und Gestaltung. Die zentrale Frage ist, ob Amerika den für den Erfolg im Bereich Technologie so wichtigen „Just-do-it“-Geist bewahren kann, ohne die Fehler in Bereichen wie Design und Stadtplanung zu wiederholen.
Die Antwort darauf ist optimistisch. Es scheint möglich, dass die USA ihre Kultur der schnellen Innovation mit einem stärkeren Bewusstsein für Qualität, Design und Geschmack verbinden können. Eine solche Entwicklung hätte positive Auswirkungen auf viele Lebensbereiche und könnte dazu führen, dass Produkte nicht nur schnell, sondern auch ansprechend und langlebig sind. Die Zukunft könnte außerdem eine Auflösung der festen nationalen Stereotype in puncto Arbeits- und Designkultur bringen. Hacker und Entwickler in Japan könnten individueller und unkonventioneller arbeiten, während amerikanische Produktdesigner ein gestärktes Bewusstsein für Ästhetik entwickeln, das heute oft fehlt.
Die erfolgreichsten Nationen werden womöglich diejenigen sein, die diese Grenzen überwinden und auf funktionieren bezogene Arbeitsweisen und ästhetisches Bewusstsein nach Bedarf kombinieren. Im Kern zeigt dieser Blick auf „Made in USA“ und die Bedeutung von Geschmack, dass kulturelle Einstellungen und Werte einen enormen Einfluss darauf haben, wie Produkte und Lebensräume entstehen. Der oft abwertende Umgang mit dem Begriff Geschmack steht in der amerikanischen Gesellschaft einer Verbesserung der Produktqualität entgegen. Gleichzeitig birgt der Drang zur schnellen Umsetzung von Ideen enormes Potenzial, das bei gleichzeitig erfolgreicher Integration von Designprinzipien die USA zu einer noch stärkeren Innovationsnation machen könnte. Letzten Endes wird es darauf ankommen, den Wert von Geschmack als ernstzunehmendes Kriterium zu akzeptieren und zu fördern.
Wer die Schönheit, Passgenauigkeit und das Gefühl eines durchdachten Designs wieder schätzt, schafft eine Grundlage für Produkte und Umgebungen, die Menschen langfristig begeistern und erfüllen – und nicht nur kurzfristig funktionieren und schnell hergestellt werden. Die Herausforderung liegt darin, diese Balance zu finden und Herkunftsklischees zu überwinden, um Qualität, Innovation und Ästhetik in Einklang zu bringen.