Typografie ist eine Kunstform, die oft unsichtbar bleibt, obwohl sie einen großen Einfluss darauf hat, wie wir Texte wahrnehmen und verstehen. Besonders im wissenschaftlichen Kontext ist die Klarheit von Schriftzeichen essenziell, um Missverständnisse zu vermeiden. Ein eindrucksvolles Beispiel für den Einfluss typografischer Details ist die Geschichte von Gores Choice, einer professionellen Anpassung der Brioni-Schrift, die Vice President Al Gore persönlich initiierte und die 2010 Aufsehen erregte. Die Geschichte begann während der Entstehung von Al Gores Buch „Our Choice“, dem Nachfolger seines bekannten Werkes „An Inconvenient Truth“. Das Projekt war nicht nur inhaltlich bedeutend, sondern auch in gestalterischer Hinsicht besonders.
Das Designteam, bestehend aus Fachleuten von mgmtdesign in Brooklyn, wählte für den Fließtext die Brioni-Schriftart aus – eine elegante Schrift mit Old Style Ziffern, die durch ihre Ästhetik überzeugte. Doch Al Gore, der während der Arbeit eng in den Entstehungsprozess eingebunden war, erkannte ein Problem. Bei der Überprüfung des Schriftsatzes fiel ihm auf, dass speziell die Ziffer Eins in Kombination mit Großbuchstaben für Verwirrung sorgte. Die alte Einser-Schrift in Brioni ähnelt durch ihren niedrigen x-Höhen-Anteil einem verkürzten großen I, also einem Großbuchstaben I oder einem römischen Einszeichen. In wissenschaftlichen Texten, wo Akronyme und Nomenklatur oft eine Mischung aus Buchstaben und Zahlen darstellen, könnte diese Ähnlichkeit zu Missverständnissen führen.
Diese Beobachtung war nicht nur ein Detail am Rand, sondern hatte konkrete Auswirkungen auf die Lesbarkeit und das Verstehen des Textes. Die Differenzierung zwischen der Ziffer Eins und dem Buchstaben I ist in naturwissenschaftlichen und technischen Texten von großer Bedeutung. Wenn Leser Schwierigkeiten haben, diese Zeichen voneinander zu unterscheiden, entsteht ein erheblicher Informationsverlust oder Fehler können sich einschleichen. Daraufhin nahm das Designteam direkt Kontakt mit Typotheque, der Schriftenfirma hinter Brioni, auf. Nikola, der ursprüngliche Designer der Schrift, wurde informiert und zeigte sich zunächst überrascht, war aber offen für die notwendige Änderung.
Nach kurzer Zeit entstanden verschiedene Skizzen und Alternativen für die Ziffer Eins, die die Verwechslungsgefahr mit Großbuchstaben minimieren sollten. Die Prototypen wurden in New York präsentiert, wo sie sofort Anklang fanden. Al Gore selbst signalisierte Zufriedenheit mit den Änderungen, was den Weg für die endgültige Umsetzung ebnete. Die offiziell als Gores Choice bezeichnete Änderung wurde für alle Varianten der Brioni-Schrift umgesetzt und konnte damit die Lesbarkeit erheblich verbessern. Dieses kleine Detail des Schriftbildes zog große Aufmerksamkeit nach sich und die Geschichte fand weite Verbreitung in renommierten Medien wie der New York Times, Mother Jones, Fast Company und der Washington Post.
Diese Episode zeigt eindrucksvoll, wie selbst kleine gestalterische Anpassungen in der Typografie weitreichende Folgen haben können – vor allem, wenn prominente Persönlichkeiten wie Al Gore involviert sind, die eine klare Vision für maximale Verständlichkeit und Klarheit verfolgen. Es verdeutlicht auch die Bedeutung fundierter typografischer Kenntnisse und die Verantwortung der Designer, Lösungen zu finden, die den Anforderungen der Leser gerecht werden. Darüber hinaus bringt Gores Choice einen spannenden Aspekt der Zusammenarbeit zwischen Designern, Schriftentwicklern und Autoren zum Vorschein. Durch direkte Kommunikation konnte ein Problem schnell erkannt, eine Lösung entworfen und implementiert werden. Solche Iterationsschleifen sind essenziell für die Entwicklung moderner Schriftfamilien, die nicht nur optisch attraktiv sein sollen, sondern vor allem funktional und gut lesbar.
Die Brioni-Schrift selbst zeichnet sich durch ihre elegante Formensprache aus. Sie wurde speziell für Buchdrucke entworfen und verfügt über eine Vielzahl von Zeichen, die eine harmonische Textgestaltung ermöglichen. Ihre Old Style Ziffern verleihen dem Schriftbild eine klassische Anmutung, doch der Kompromiss zwischen Tradition und moderner Lesbarkeit wurde durch Gores Choice weiter optimiert. Das Beispiel verdeutlicht, wie Typografie sich im Laufe der Zeit entwickeln muss, um aktuellen Anforderungen gerecht zu werden. Von der Bedeutung wissenschaftlicher Nomenklatur bis hin zu hohen ästhetischen Ansprüchen: Die Wahl einer Schriftart beeinflusst maßgeblich, wie Inhalte aufgenommen werden.
Besonders in Zeiten, in denen Bücher und wissenschaftliche Publikationen digital und print gleichermaßen genutzt werden, ist es wichtig, Schriften zu wählen und anzupassen, die in allen Medien ihr volles Potenzial entfalten können. Darüber hinaus sensibilisiert Gores Choice für die Rolle der Typografie im demokratischen Diskurs und in der Aufklärung. Verständlichkeit ist ein Grundpfeiler effektiver Kommunikation – gerade bei Themen wie dem Klimawandel und der Wissenschaft, die Al Gore mit seinem Buch adressiert. Klarheit im Schriftbild trägt dazu bei, die breite Öffentlichkeit zu erreichen und komplexe Inhalte zugänglich zu machen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Gores Choice mehr als nur eine kleine technische Anpassung war.