In der heutigen Zeit begegnet uns immer wieder eine bemerkenswerte Maxime: „Schaffe mehr, als du konsumierst.“ Dieser Satz wird nicht nur als Leitprinzip für Produktivität und Erfolg formuliert, sondern hat sich beinahe zu einer gesellschaftlichen Faustregel entwickelt, die Menschen motivieren soll, aktiver, innovativer und selbstständiger zu werden. Doch bei genauem Betrachten stellt sich heraus, dass das reine Schaffen ohne Konsumieren ein höchst fragwürdiges Konzept ist – ja fast schon ein Mythos. Denn unser Dasein ist untrennbar verbunden mit dem Aufnehmen, Verwenden und Verinnerlichen von Informationen, Ressourcen und Inspirationen. Ganz gleich, ob es sich um Nahrung, Informationen oder die stille Präsenz eines Baumes vor dem Fenster handelt – Konsum begleitet unser Leben in jedem Moment.
Diese Realisierung führt uns zu einer wichtigen Einsicht: Das Problem des Lebens lässt sich mit dem sogenannten Produzenten-Konsumenten-Dilemma illustrieren. Es geht dabei nicht darum, vollständig zu schaffen oder nur zu konsumieren, sondern vielmehr um das Zusammenspiel, das Gleichgewicht und den beständigen Wechsel zwischen beiden Zuständen. Jeder Mensch durchläuft Phasen, in denen er sich mehr als „Schwamm“ verhält, der Wissen, Erfahrungen und Ressourcen aufsaugt – und Zeiten, in denen er zum „Wasserhahn“ wird, der etwas zurückgibt: in Form von Ideen, Kunstwerken, Produkten oder gedanklicher Inspiration. Das gesellschaftliche Umfeld honoriert in der Regel jene, die produzieren. Sei es durch materielle Erfolge, Anerkennung in der Kunstwelt, Durchbrüche in der Technologie oder Beiträge zu gesellschaftlichen Debatten.
Menschen, die schöpferisch tätig sind, beeinflussen maßgeblich die Rahmenbedingungen, unter denen andere leben. Das ist eine Kraftquelle, die enorme Auswirkungen auf Zeitgeist, Kultur und Wirtschaft hat. Zugleich ist zu erkennen, dass sich Schöpfung häufig aus einem Wunsch ergibt, etwas zu gewinnen, besser zu sein oder einen Wettbewerb zu gewinnen. Wettbewerb, so wird oft argumentiert, ist ein Motor von Innovation und Fortschritt – er treibt uns an, unser Bestes zu geben. Doch hier lauert ein spannender Widerspruch.
Denn viele Stimmen hinterfragen, ob dieses System des ständigen Vergleichens und Konkurrierens tatsächlich den Einzelnen dient. Paras Chopra etwa beschreibt in seinem Blog „Don’t Compete“ wie gesellschaftliche Strukturen vom Wettbewerb profitieren, gleichzeitig aber nicht unbedingt die individuelle Zufriedenheit oder das authentische Selbst fördern. Statt sich in einem Spiel zu verausgaben, das durch vorgegebene Regeln definiert ist, lädt Chopra dazu ein, sein eigenes Spiel zu finden – einen schöpferischen Weg, der echten Mehrwert bietet und mit dem eigenen Wertesystem im Einklang steht. Dieser Ansatz befreit aus dem Druck externer Erwartungen und macht den kreativen Prozess zu einer selbstbestimmten Erfahrung. Auf persönlicher Ebene reflektieren viele Menschen über ihre Beziehung zur Schöpfung und zum Konsum.
Auch ich selbst ertappe mich oft dabei, dass ich versuche, mein eigenes Produkt oder meine eigene Version von etwas zu erschaffen, frei von unnötigen Abhängigkeiten. Gerade in der Softwareentwicklung oder im gestalterischen Bereich ist diese Haltung weit verbreitet – der Wunsch, unabhängig zu wirken und nicht zu stark auf externe Ressourcen angewiesen zu sein. Doch tief im Inneren wissen wir, dass Abhängigkeiten keineswegs als Schwäche interpretiert werden sollten. Im Gegenteil: Sie sind ein inhärenter Bestandteil des Menschseins und unserer Kultur. Steve Jobs fasste dies in einer bemerkenswerten E-Mail aus dem Jahr 2010 zusammen, in der er ehrlicherweise über seine eigenen Grenzen und seine Verbundenheit mit der Gemeinschaft sprach.
Er erwähnte, dass er kaum Nahrung selbst anbaut, keine eigene Kleidung herstellt noch die Grundlagen der Wissenschaft erfunden hat. Jobs erkannte, dass sein Erfolg nur im Kontext eines gesamten Netzwerks von vorausgegangenen Entdeckungen, Gesetzen und kreativem Wirken möglich ist. Diese Demut gegenüber dem Kollektiv schärft das Bewusstsein für die Bedeutung von gegenseitiger Abhängigkeit. Die Energie, die aus Schwierigkeiten wie Angst, Unsicherheit oder Herzschmerz entsteht, kann man ebenfalls als „Rohmaterial“ für Kreativität betrachten. Die Geschichte zeigt uns, dass bedeutende Kunstwerke und Innovationen häufig aus der Auseinandersetzung mit inneren und äußeren Konflikten erwachsen.
Wer lernt, mit Unbehagen produktiv umzugehen, entwickelt nicht nur ein tieferes Verständnis seiner Selbst, sondern trägt auch zur kulturellen Weiterentwicklung bei. Gerade in Zeiten, in denen externe Einflüsse und gesellschaftlicher Druck zunehmen, wird diese Fähigkeit zu einer Schlüsselkompetenz. In der heutigen digitalen Ära gewinnt ein weiterer Aspekt besondere Bedeutung: die Rolle der künstlichen Intelligenz in kreativen Prozessen. KI kann Informationen zusammenführen, Inhalte neu formulieren oder bekannte Stile imitieren. Sie ist in der Lage, Quantität zu liefern, doch die Qualität und die grundsätzliche Wahl dessen, was Wert hat, geschaffen zu werden, bleiben eine zutiefst menschliche Domäne.
Die feine Abstimmung des eigenen Geschmacks, das Herausfiltern von Bedeutung und Authentizität, sind kreative Tätigkeiten, die nicht automatisiert werden können. Diese persönliche Feinjustierung – in der Kunst, der Musik, der Literatur oder im Design – ist der eigentliche kreative Akt und macht jeden Menschen zu einem Produzenten mit individueller Handschrift. Das Produzenten-Konsumenten-Problem des Lebens lädt uns daher ein, eine Haltung der bewussten Balance zu kultivieren. Es geht nicht darum, den Konsum radikal zu minimieren oder ausschließlich zu schaffen, sondern darum, mit Aufmerksamkeit das Wechselspiel zu gestalten. Es ist legitim und sinnvoll, manchmal als passiver Empfänger zu agieren, Informationen und Eindrücke aufzunehmen, um sie später in einer persönlichen Form wiederzugeben – und manchmal ganz bewusst die Initiative zu ergreifen, selbst zum Schöpfer zu werden.