Volkswagen, einer der weltweit größten Automobilhersteller, steht aktuell im Fokus intensiver Kritik von Seiten seiner Aktionäre. Bei der virtuellen Hauptversammlung des Unternehmens haben namhafte Investoren erneut den Ruf nach tief greifenden Reformen in der Unternehmensführung laut werden lassen. Im Mittelpunkt der Debatte steht die Frage nach der Unabhängigkeit des Vorstands sowie die Machtkonzentration bei den kontrollierenden Familien Porsche und Piech. Die vorherrschende Meinung unter den Aktionären ist, dass die gegenwärtige Struktur erhebliche Probleme verursacht, die nicht nur dem Ruf des Konzerns schaden, sondern auch finanzielle Einbußen zur Folge haben. Ein zentraler Stein des Anstoßes ist die Doppelfunktion von Oliver Blume, der zugleich als Vorstandsvorsitzender von Volkswagen und Porsche AG agiert.
Seit der Abspaltung von Porsche als eigenständige börsennotierte Gesellschaft im September 2022 wird diese Konstellation besonders kritisch betrachtet. Investoren bemängeln, dass durch diese Doppelrolle Interessenkonflikte unvermeidlich seien und die Führung des Autobauers nachhaltig beeinträchtigen. Vertreter großer Investmentgesellschaften wie Deka Investment fordern Blume deshalb eindringlich auf, zumindest eine seiner Positionen aufzugeben, um das Vertrauen der Anteilseigner zurückzugewinnen und die Governance-Struktur zu verbessern. Die Kritik kommt zu einem Zeitpunkt, in dem Volkswagen mit einem spürbaren Kursrückgang an der Börse zu kämpfen hat. Innerhalb eines Jahres verlor die Aktie fast ein Viertel ihres Wertes, was sie gegenüber dem europäischen Autoindex und dem deutschen Leitindex DAX unterdurchschnittlich dastehen lässt.
Die aktuellen Herausforderungen, denen sich der Konzern gegenüber sieht, umfassen unter anderem hohe Zölle in den USA, einen intensiven Wettbewerb in China sowie steigende Kosten in Europa. Diese Faktoren belasten die Profitabilität und werfen die Frage auf, wie effektiv die aktuelle Führung auf diese Marktsituationen reagiert. Die Machtstruktur des Konzerns ist eng mit den Familien Porsche und Piech verknüpft, die über die Holding Porsche SE maßgeblich die Stimmenmehrheit bei Volkswagen kontrollieren. Wolfgang Porsche, der auch Aufsichtsratsvorsitzender bei Porsche SE und Porsche AG ist, verteidigt die bestehende Struktur und weist die Kritik als unzutreffend zurück. Seiner Ansicht nach seien nicht Governance-Probleme, sondern ein schwaches operatives Ergebnis und hohe Kosten die Ursache für die Aktienkursentwicklung.
Diese Verteidigung stößt jedoch auf Skepsis bei einigen Investoren, die zusätzlich bemängeln, dass dem Vorstand wichtige fachliche Kompetenzen fehlen. Besonders die fehlende Expertise in Bereichen wie Elektrifizierung und Digitalisierung wird als eine der Ursachen für die Wettbewerbsnachteile im globalen Automobilmarkt ausgemacht. Die Kritik geht dabei über die Rolle Blumes hinaus. Es wird der Eindruck vermittelt, dass innerhalb von Volkswagen Machtinteressen und Familieneinfluss gelegentlich stärker dominieren als Markt- und Wettbewerbsfaktoren. Dies könne nicht nur zu Ineffizienzen führen, sondern auch langfristig das Potenzial des Unternehmens schmälern.
Investoren und Branchenbeobachter warnen davor, diese Probleme weiter zu ignorieren und appellieren an die Konzernführung, die „offensichtlichen Defizite“ in der Governance-Struktur schnellstmöglich zu beheben. Trotz des Drucks von außen verteidigen sowohl Oliver Blume als auch Aufsichtsratschef Hans Dieter Poetsch die gegenwärtige Konstellation. Sie betonen, dass die Doppelfunktion prinzipiell Vorteile bei der Koordinierung von Kostensenkungsprogrammen in beiden Unternehmen bringe. Blume unterstreicht, dass diese Doppelrolle nie als dauerhaft vorgesehen gewesen sei, sondern als eine temporäre Maßnahme zur Umsetzung strategischer Ziele. Ob diese Argumentation bei den Aktionären überzeugt, bleibt jedoch fraglich, da viele Investoren auf eine klare Trennung und eine Stärkung der Unabhängigkeit im Vorstand bestehen.
Die Forderung nach mehr Transparenz, Unabhängigkeit und einer stärkeren Ausrichtung am Markt ist daher nicht nur eine Momentaufnahme, sondern spiegelt eine tiefere Sorge vieler Anteilseigner wider. Der Ruf nach Reformen wird auch als notwendig erachtet, um dem steigenden Wettbewerbsdruck in der Automobilindustrie, insbesondere in den Bereichen Elektromobilität und Digitalisierung, standhalten zu können. Volkswagen benötigt eine Führung, die nicht nur traditionelle Strukturen aufrechterhält, sondern sich zukunftsorientiert und flexibel aufstellt. Neben der Governance-Frage hat der Konzern zudem im operativen Geschäft mit verschiedenen belastenden Faktoren zu kämpfen. Die globalen Märkte sind durch geopolitische Spannungen, insbesondere mit den USA und China, in einem dynamischen und unberechenbaren Zustand.
Hohe Importzölle und Handelsrestriktionen in den USA erschweren den Marktzugang und belasten die Gewinnmargen. In China, dem wichtigsten Absatzmarkt für Volkswagen, nehmen der Wettbewerb und die Ansprüche der Kunden an innovative, umweltfreundliche Fahrzeuge kontinuierlich zu zu. Die Konkurrenz durch lokale Elektroauto-Hersteller wächst beständig und zwingt den Volkswagen-Konzern, besonders in Technologie und Produktentwicklung stärker zu investieren. Auf europäischer Ebene wirken sich gestiegene Kosten für Rohstoffe, Energie und Logistik negativ auf die wirtschaftlichen Ergebnisse aus. Diese Faktoren tragen dazu bei, dass die prognostizierten Gewinnmargen für das laufende Geschäftsjahr eher am unteren Rand der Erwartungen liegen.
Vor diesem Hintergrund sehen viele Aktionäre die Notwendigkeit, eine effizientere und transparentere Unternehmensführung zu etablieren, die schneller auf Marktveränderungen reagieren kann. Die Diskussion um die Unternehmensführung bei Volkswagen offenbart die klassische Herausforderung eines traditionsreichen Familienunternehmens, das sich in einem hochkompetitiven und schnell wandelnden globalen Umfeld behaupten muss. Das Spannungsfeld zwischen familiärer Kontrolle und professioneller, unabhängiger Unternehmensleitung ist dabei von großer Brisanz. Während Befürworter einer starken familiären Einflussnahme auf Kontinuität und langfristiges Denken setzen, mahnen Kritiker an, mehr Marktmechanismen und Expertise in den Mittelpunkt der Führung zu rücken. In der Zukunft wird entscheidend sein, ob Volkswagen die Balance zwischen diesen Polen finden kann.