Die öffentliche Verwaltung und staatliche Institutionen sind das Rückgrat jeder funktionierenden Demokratie. Sie sorgen für die Bereitstellung von grundlegenden Diensten, die Wahrung der Sicherheit und die Umsetzung von Gesetzen. Doch in den vergangenen Jahren hat sich eine besorgniserregende Entwicklung vollzogen – die Entstehung eines sogenannten „shallow state“, eines oberflächlichen Staates. Diese Entwicklung zeigt sich vor allem in den USA während der Trump-Administration, die durch massive Stellenkürzungen und den bewussten Abbau von institutionellem Wissen die Leistungsfähigkeit des Staates erheblich geschwächt hat. Was bedeutet dies für den Staat, die Gesellschaft und die Zukunft der Demokratie? Der Begriff „shallow state“ beschreibt eine Verwaltungsstruktur, die nicht mehr auf einem tief verwurzelten, erfahrenen und gut ausgestatteten Staatsapparat basiert, sondern auf einem dünnen, oft schlecht informierten und unkoordinierten Gefüge.
Die hohe Fluktuation von Fachkräften, der Abbau von Expertenwissen und eine Verschlankung ohne strategische Planung führen dazu, dass staatliche Institutionen ihre Kernaufgaben entweder nur unzureichend oder ineffektiv erfüllen können. Dabei stehen nicht weniger als fundamentale öffentliche Güter auf dem Spiel – von der nationalen Sicherheit bis zum Katastrophenschutz, von der Luftverkehrssicherheit bis zur ökologischen Überwachung. Die historische Betrachtung zeigt, wie wertvoll institutionelles Gedächtnis ist. Ein Beispiel hierfür ist die jahrhundertealte Abtei von St. Gallen in der Schweiz, die ihre wertvollen Manuskripte trotz zahlreicher Bedrohungen sorgfältig bewahrt hat.
Die dortige Bibliothek steht symbolisch für die Bedeutung von Beständigkeit, Fachkenntnis und der Weitergabe von Wissen über Generationen hinweg. Dieser Kontinuität steht der moderne Staat zunehmend entgegen. Die Bundesbehörden in den USA erleben einen Verlust an Personal mit langjähriger Erfahrung, was nicht nur den operativen Alltag erschwert, sondern auch die strategische Planungsfähigkeit beeinträchtigt. Insbesondere in sicherheitspolitischen und sicherheitsrelevanten Bereichen wie der Nuklearbehörde, dem Bundesluftfahrtamt oder dem Katastrophenschutz hat die Betonung kurzfristiger politischer Ziele auf Kosten langfristiger Staatsfähigkeit deutliche Spuren hinterlassen. Dabei geht es nicht nur um die Ausführung von Routineaufgaben, sondern um das Vermeiden von Katastrophen und Risiken, deren Folgen dramatisch sein können.
Ein funktionierender Staat braucht Experten, gut vorbereitete Notfallpläne und eine stabile Verwaltung – alles Aspekte, die durch eine Oberflächlichkeit des Staates ernsthaft gefährdet werden. Die Einschnitte betreffen jedoch nicht nur Personalkapazitäten, sondern auch die inhaltliche Umsetzung staatlicher Aufgaben. Die Politik gegen illegale Einwanderung zeigt exemplarisch, wie falsche Prioritäten und eine fehlende bürokratische Tiefe zu einer verzerrten und ineffizienten Umsetzung führen können. Anstatt gezielte Maßnahmen gegen echte Kriminelle durchzusetzen, entstehen bürokratische Abkürzungen, die das System insgesamt schwächen. Ein besonders gravierendes Beispiel stellt die Schwächung der Nationalen Sicherheitsbehörde NSC (National Security Council) dar.
Die NSC fungiert als zentrales Koordinationsorgan für außen- und sicherheitspolitische Belange und ist entscheidend für die Entwicklung von Krisenstrategien und die Vernetzung der verschiedenen Ministerien und Geheimdienste. Der Abbau von Expertise und Personal bei der NSC reicht weit über reine Verwaltungsfragen hinaus und könnte, falls unerwartete geopolitische Krisen eintreten, die Handlungsfähigkeit der USA dramatisch einschränken. Ohne ein gut koordiniertes Netzwerk von Fachleuten und vorbereiteten Handlungsoptionen bleibt nur die spontane Reaktion eines Präsidenten, der vielleicht nicht über ausreichende Kenntnisse oder Informationen verfügt, um fundierte Entscheidungen zu treffen. Die Folgen eines „shallow state“ sind auch für die Privatwirtschaft von Bedeutung. Das Verschwinden öffentlicher Dienstleistungen schadet indirekt privaten Märkten, die auf staatliche Infrastrukturen angewiesen sind.
Beispielsweise macht ein Mangel an Wetterüberwachung durch die NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) die Versicherung gegen Naturkatastrophen komplizierter und riskanter. Dies reduziert die allgemeine wirtschaftliche Stabilität und erhöht Kosten für Unternehmen und Bürger. Die politische Motivation hinter diesen Entwicklungen ist oft ideologisch getrieben. Eine Feindseligkeit gegenüber einem als „deep state“ verstandenen bürokratischen Apparat zielt darauf ab, die sogenannte „tiefe Staatsmacht“ zu schwächen, die als entgegenstehend zu bestimmten politischen Zielen wahrgenommen wird. In Wirklichkeit verliert jedoch der Staat als Institution an Leistungsfähigkeit und die politischen Ziele selbst werden gefährdet, da eine handlungsfähige Verwaltung unabdingbar für deren Umsetzung ist.
Internationale Beobachter und Experten warnen seit langem vor den Risiken, die aus dem Abbau von staatlicher Kapazität erwachsen. Die moderne Gesellschaft steht vor zunehmend komplexen Herausforderungen – wie technologischer Wandel, Klimakrise, globalen Konflikten und Pandemien – die nur durch starke, agile und gut koordinierte öffentliche Institutionen bewältigt werden können. Ein oberflächlicher Staat steht in direktem Widerspruch zur Notwendigkeit eines resilienten Staates. Um die Institutionen wieder zu stärken, sind Investitionen in Personal, Ausbildung, Wissensmanagement und koordinierende Strukturen nötig. Es muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass der Staat nicht als verschwenderischer Apparat, sondern als unerlässlicher Garant für Sicherheit, Wohlstand und demokratische Teilhabe zu verstehen ist.
Langfristige Stärkung bedeutet zudem, bürokratische Arbeit nicht als Blockade, sondern als Fundament für demokratische Legitimität und gesellschaftliche Stabilität zu begreifen. Die Lehren aus dem Niedergang des tief verwurzelten Staates in den USA sollten auch in anderen Demokratien ernst genommen werden. Nur durch nachhaltige Investitionen in staatliche Kapazitäten kann verhindert werden, dass ein oberflächlicher Staat sich ausbreitet und die komplexen Herausforderungen unserer Zeit nicht mehr bewältigen kann. Eine Gesellschaft, die ihre staatlichen Institutionen schwächt, gefährdet nicht nur sich selbst, sondern auch die Grundlagen einer funktionierenden Demokratie und einer freien Weltordnung. Abschließend ist festzuhalten, dass der „Rise of the Shallow State“ kein rein amerikanisches Phänomen ist, sondern ein Warnsignal für alle modernen Staaten darstellt.
Ohne einen funktionierenden, erfahrenen und handlungsfähigen Staatsapparat droht die Demokratie in eine Phase von Ineffizienz, Instabilität und Vertrauensverlust zu geraten. Der Weg in die Zukunft muss deshalb über den Wiederaufbau der staatlichen Tiefenschichten führen – für eine leistungsfähige, transparente und demokratische Verwaltung, die den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen ist.