Die Verteidigungsindustrie Europas steht vor einer spannenden, aber herausfordernden Phase. Die Nachfrage nach militärischer Ausrüstung, von Panzern über Munition bis hin zu hochkomplexen Drohnen- und Raketentriebwerken, steigt seit dem Ausbruch des Ukraine-Konflikts und der damit einhergehenden geopolitischen Spannungen deutlich an. Europas Staaten verteidigen zunehmend ihre militärische Souveränität und reduzieren ihre Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten, die lange Zeit ein Hauptlieferant waren. Dieses neu entfachte und massiv ausgeweitete Geschäft sorgt für einen Aufschwung, der insbesondere den heimischen Rüstungsunternehmen zugutekommt. Doch parallel zu diesem Boom stehen die Unternehmen vor einem beunruhigenden Problem: einem eklatanten Mangel an Fachkräften.
Besonders Spezialisten wie AI-Ingenieure, Datenwissenschaftler, perfekt ausgebildete Schweißer und erfahrene Mechaniker sind rar, sodass die Industrienavigation durch den „War of Talents“ zu einer der größten Herausforderungen wird. Eines der Paradebeispiele für dieses Phänomen ist die PBS Group in Velka Bites, Tschechien. Das Unternehmen, das auf die Produktion von Triebwerken für Raketen und Drohnen spezialisiert ist, könnte seine Geschäfte problemlos verdoppeln, wenn ausreichend qualifiziertes Personal verfügbar wäre. Trotz ambitionierter Gehaltserhöhungen in den letzten Jahren und weiterer angekündigter Lohnsteigerungen im kommenden Jahr gelingt es PBS kaum, den Personalbedarf zu decken. Die Lage verschärft sich zusätzlich durch die Tatsache, dass die benötigten Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt kaum zu finden sind.
Um dieser Misere zu begegnen, hat die PBS Group neben einer engen Kooperation mit Schulen und Hochschulen eine eigene Ausbildungseinrichtung gegründet, um Talente schon früh zu erkennen und systematisch für die Rüstungsindustrie zu qualifizieren. Diese Bildungsinitiativen sind Teil eines umfassenderen EU-Programms, das darauf abzielt, durch die „Union of Skills“ den Fachkräftemangel in Schlüsselbranchen zu bekämpfen. Mit einem gigantischen Verteidigungsbudget von etwa 800 Milliarden Euro setzen die europäischen Länder ein starkes Zeichen für eine verstärkte Rüstungsproduktion innerhalb des Kontinents. Ziel ist es auch, einen größeren Teil der militärischen Beschaffungen, die bislang zu 78 Prozent außerhalb der EU stattfinden – vor allem in den USA –, innerhalb Europas zu halten. Die Fragmentierung des europäischen Marktes zwischen einzelnen Staaten erschwert jedoch eine kohärente, wettbewerbsfähige Rüstungsindustrie.
Der Aufbau einer stabilen und leistungsfähigen europäischen Lieferkette wird deshalb als entscheidend für die zukünftige strategische Autonomie angesehen. Die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Rüstungsunternehmen steht durch den Fachkräftemangel auf dem Prüfstand. Unternehmen wie das Deutsch-Französische Joint Venture KNDS, das unter anderem den CAESAR-Haubitze produziert, reagieren auf den steigenden Bedarf mit Schichtausweitungen und einer jährlichen Steigerung der Neueinstellungen von 50 Prozent. Doch auch hier gibt es Grenzen bei der Anhebung der Gehälter und sonstigen Benefits, denn trotz hoher Nachfrage können sich Unternehmen nur bedingt im Preiskampf um Talente behaupten. Das macht die langfristige Bindung der Beschäftigten und eine strategische Personalentwicklung umso wichtiger.
Der Mangel an qualifizierten Fachkräften hat jedoch nicht nur wirtschaftliche, sondern auch sicherheitspolitische Dimensionen. In einem zunehmend unsicheren internationalen Umfeld ist die schnelle und verlässliche Versorgung der Streitkräfte mit moderner Ausrüstung essenziell. Eine unzureichende Personaldecke könnte nicht nur die Produktionskapazitäten drosseln, sondern auch die Innovationsfähigkeit der Branche beeinträchtigen. Neue Technologien wie künstliche Intelligenz, datengesteuerte Systeme oder hochpräzise Fertigungsmethoden erfordern speziell geschulte Hände und Köpfe. Ein Versäumnis bei der Entwicklung dieser Kompetenzen könnte Europas Verteidigungspotential nachhaltig schwächen.
Gleichzeitig wirken steigende Rüstungsinvestitionen und die Suche nach spezialisierten Mitarbeitern auf den Arbeitsmarkt wie ein Brandbeschleuniger. In einigen Regionen, wie etwa in Russland, sorgt die kräftige Beschäftigung in der Waffenindustrie für einen spürbaren Mangel an Arbeitskräften in anderen Branchen. In Europa wiederum reißen die Unternehmen Talente aus anderen Industriezweigen ab, wodurch es zu Engpässen im gesamten Arbeitsumfeld kommen kann. Die Folgen sind vielfältig und reichen von einer Belastung des Sozialversicherungssystems bis hin zu einer erhöhten Konkurrenz um Ausbildungsplätze in technischen Berufen. Ein weiterer Aspekt sind die Bemühungen auf politischer Ebene, die europäischen Länder enger miteinander zu vernetzen.
Erst kürzlich wurde von der EU eine verstärkte Unterstützung für grenzüberschreitende Ausbildungsprogramme auf den Weg gebracht, die junge Talente aus verschiedenen Mitgliedsstaaten ansprechen und in die Verteidigungsindustrie einbinden sollen. Dadurch möchte man einerseits den Fachkräftemangel mildern und andererseits die europäische Identität im Verteidigungssektor stärken. Dennoch stellen solche Initiativen nur eine Teilkomponente der Lösung dar. Die Rüstungsunternehmen müssen selbst innovativ bleiben und neue Wege gehen, um Fachkräfte zu gewinnen und zu halten. Strategien reichen von attraktiven Karrierepfaden, flexiblen Arbeitsmodellen bis hin zur verbesserten Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Zudem spielt die Unternehmenskommunikation eine zentrale Rolle, um das Image der Rüstungsbranche als moderner und technologisch fortschrittlicher Arbeitgeber zu fördern. Für Bewerber ergeben sich gleichermaßen Chancen wie Herausforderungen. Die Branche bietet stabile Arbeitsplätze und vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten – doch gleichzeitig erfordert der Einstieg meist eine hohe Qualifikation und eine Bereitschaft zu kontinuierlicher Weiterbildung. Angesichts wachsender geopolitischer Spannungen und steigender Investitionen dürfte Europas Verteidigungsindustrie wohl auch in den kommenden Jahren verstärkt um talentierte Fachkräfte werben. Abschließend lässt sich feststellen, dass der gegenwärtige Boom der europäischen Rüstungsindustrie nicht nur wirtschaftliche Impulse setzt, sondern auch einen tiefgreifenden Wandel in der Arbeitswelt dieser Branche bewirkt.
Die zentrale Frage lautet, inwieweit es gelingt, den Fachkräftemangel zu überwinden, um die Produktionskapazitäten nachhaltig auszubauen und zugleich Europas Sicherheitspolitik mit einer starken, innovativen Industrie zu untermauern. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob die Kombination aus politischen Maßnahmen, Unternehmensinitiativen und Bildungsprogrammen ausreicht, um diesen komplexen Herausforderungen gerecht zu werden.