Die Energiebranche steht vor einem tiefgreifenden Wandel, der durch die dringende Notwendigkeit vorangetrieben wird, saubere und zuverlässige Stromquellen zu schaffen. In diesem Kontext gewinnt die Kernenergie durch Small Modular Reactors (SMRs) zunehmend an Bedeutung. Ein bemerkenswerter Durchbruch steht bevor: Das erste kommerzielle SMR in Nordamerika soll bereits in fünf Jahren in Kanada in Betrieb genommen werden. Dieses Projekt am Standort Darlington, Ontario, wird von Ontario Power Generation (OPG) umgesetzt und setzt neue Maßstäbe für die Nukleartechnik auf dem Kontinent. SMRs unterscheiden sich grundlegend von den jahrzehntelang etablierten großen Kernkraftwerken.
Sie sind kleiner, modular aufgebaut und können schneller sowie kostengünstiger errichtet werden. Die Bauweise mit vorgefertigten Modulen erleichtert Logistik und Implementierung, selbst an abgelegenen Orten. Gerade in einem so flächenmäßig großen und teilweise dünn besiedelten Land wie Kanada, mit seinen weit entfernten Gemeinden und Industrieanlagen wie Bergwerken und Öl-Sand-Abbaugebieten, bieten SMRs immense Vorteile. Das Vorzeigeprojekt von OPG umfasst den Bau eines BWRX-300 SMRs, entwickelt von General Electric und Hitachi Nuclear Energy. Dieser Reaktor leistet 300 Megawatt und kann damit circa 300.
000 Haushalte mit Strom versorgen. Zum Vergleich: Die auf demselben Gelände bestehenden Darlington-Reaktoren haben jeweils eine Leistung von jeweils 935 Megawatt. Obwohl kleiner, bieten SMRs dennoch eine zuverlässige, klimafreundliche Energiequelle ohne direkte CO2-Emissionen während des Betriebs. Ein entscheidender Aspekt der SMR-Technologie ist die erhöhte Sicherheit. Aufgrund der kleineren Reaktorkerne erzeugen SMRs geringere Mengen an Wärme, was das Risiko einer Überhitzung deutlich reduziert.
Zudem gibt es weniger bewegliche Teile, wodurch Ausfälle, die zu Unfällen führen könnten, minimiert werden. Darüber hinaus ist der komplette Reaktorkern inklusive Brennstoff, Dampferzeuger und elektrischer Generator in einem einzigen Behälter integriert, was die Komplexität reduziert und die Zuverlässigkeit steigert. Die Gesellschaft erwartet in der Region Ontario steigenden Strombedarf, der bis 2050 um rund 75 Prozent wachsen könnte. Mit der Entscheidung, vier SMRs auf dem Darlington-Gelände zu errichten, reagiert die Regierung auf diesen Bedarf und auf die Forderung nach emissionsarmer Energieversorgung. Die geschätzten Gesamtkosten für die vier Anlagen belaufen sich auf 20,9 Milliarden kanadische Dollar.
Die erste der vier SMRs wird für etwa 7,7 Milliarden CAD errichtet und soll bis 2030 ans Netz gehen, die drei weiteren bis spätestens 2035. Die staatliche Unterstützung und der Erhalt der Baugenehmigung durch die Canadian Nuclear Safety Commission unterstreichen die politische und regulatorische Bereitschaft, in diese neue Technologie zu investieren. Dies ist besonders signifikant, weil es sich um den ersten neuen Kernreaktorbau in Ontario seit über 30 Jahren handelt. Die SMR-Technologie wird nicht nur in Kanada vorangetrieben. Auch in den USA und Europa sind entsprechende Projekte in Planung.
Die Tennessee Valley Authority zeigt Interesse an ähnlichen Reaktoren, und Unternehmen wie Westinghouse entwickeln kleinere Varianten ihrer bewährten großen Reaktoren mit 300-Megawatt-Leistung, die 2027 verfügbar sein sollen. In Neufundland arbeitet man an innovativen, sogenannten Generation-IV-Reaktoren, die noch weiter optimiert sind. Zudem drücken Technologieunternehmen wie Google, Amazon, Microsoft und Meta ihre Unterstützung aus, indem sie mehrere SMRs zur Versorgung ihrer energieintensiven Rechenzentren bestellen. Dadurch soll die Flexibilität und Zuverlässigkeit der Stromversorgung verbessert und gleichzeitig der ökologische Fußabdruck verringert werden. Die Vorteile von SMRs liegen klar auf der Hand.
Neben der Kosten- und Zeiteffizienz ermöglichen sie es, den Energiemarkt zu dezentralisieren und auch abgelegene, netzferne Standorte mit sauberem Strom zu versorgen. Ihre modulare Bauweise erlaubt eine flexible Skalierung und Nachrüstung, was sie gegenüber traditionellen Großreaktoren resilienter gegen technische und wirtschaftliche Herausforderungen macht. Auch aus geopolitischer Sicht gewinnen SMRs an Bedeutung. Die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen soll reduziert und eine energiepolitische Unabhängigkeit gefördert werden. Insbesondere in Kanada, das traditionell stark im Bereich Öl und Gas engagiert ist, stellt die Einführung von SMRs einen wichtigen Schritt zur Diversifizierung der Energiequellen dar.
Die Technologie ist zudem zukunftsorientiert: Einige der fortschrittlichsten SMR-Entwicklungen, wie die sogenannten Molten Salt Reactors (MSRs), die flüssige Salzlösungen als Reaktormedium nutzen, berühren das Thema der sicheren Nutzung radioaktiver Abfälle und der Nutzung von Thorium – eines Minerals, das sauberer und sicherer als Uran ist. Diese Entwicklungen könnten Kernenergie nachhaltig revolutionieren und die Akzeptanz in der Bevölkerung erhöhen. Die Marktforschung geht davon aus, dass der SMR-Sektor von einem Volumen von etwa 6 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024 auf über 7,14 Milliarden US-Dollar im Jahr 2030 wachsen wird. Vor allem Regionen wie Asien-Pazifik und Amerika werden diesen Wachstumstrend maßgeblich vorantreiben. Ein wachsender Wettbewerb im SMR-Segment, mit Unternehmen wie Rolls-Royce aus Großbritannien und Terrapower aus den USA, belebt die Entwicklung und senkt die Kosten weiter.
Dennoch gibt es auch Herausforderungen. Die Akzeptanz in der Bevölkerung, Sicherheitsbedenken und regulatorische Hürden müssen noch überwunden werden. Zudem sind die Anfangsinvestitionen trotz kleinerer Anlagengrößen immer noch hoch. Kritiker weisen auf mögliche Verzögerungen bei großen Infrastrukturprojekten hin und betonen die Bedeutung eines transparenten und verantwortungsvollen Projektmanagements. Insgesamt zeigt der bevorstehende Bau des ersten kommerziellen SMRs in Nordamerika, wie sich die Kernkraft neu erfunden hat.