Die Beziehungen zwischen Russland und China werden in der internationalen Politik häufig als strategische Partnerschaft mit unbegrenzter Zusammenarbeit dargestellt. Staatschef Vladimir Putin betont immer wieder die wichtige Rolle Pekings als Verbündeten, vor allem im wirtschaftlichen und militärischen Bereich. Doch hinter den offiziellen Bekenntnissen zu enger Freundschaft und Kooperation offenbart ein geheimes Dokument des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB eine völlig andere Realität. Dieses Dokument widerspiegelt ein tief verwurzeltes Misstrauen und deutliche Befürchtungen hinsichtlich der Aktivitäten Chinas auf russischem Territorium und in sicherheitsrelevanten Bereichen Russlands. Trotz der gemeinsamen Interessen und der öffentlichen Inszenierung einer engen Partnerschaft scheint eine intensive Spionage- und Gegenspionageoperation im Verborgenen stattzufinden.
Die vorliegenden Informationen geben einen seltenen Einblick in die inneren Sicherheitsbedenken und die strategische Lage zwischen zwei Großmächten, deren Verhältnis von Komplexität und Widersprüchen geprägt ist. Das geheim zugespielte und bislang unveröffentlichte Dokument trägt den Titel „Entente-4“ und zeigt, wie der FSB eine Sicherheitsstrategie entwickelte, um sich gegen chinesische Spionageversuche zu wappnen. Erstaunlich ist die Tatsache, dass dieses Programm zeitlich genau drei Tage vor Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine Anfang 2022 genehmigt wurde, was durchaus als Absicherung verstanden werden kann. Während Russland seine Ressourcen auf den Krieg im Westen konzentrierte, befürchteten die Sicherheitsdienste offenbar, dass China versuchen könnte, im Osten Russlands Vorteile zu erlangen. Die Sorge war also, dass China die militärische Zerreißprobe Russlands ausnutzen könnte, um eigene geopolitische Gewinne zu ziehen, sei es durch gezielte Spionage oder politische Einflussnahme.
Im Kern des FSB-Dokuments wird China als Feind angesehen, sprichwörtlich als „der Feind im Verborgenen“, obwohl der russische Präsident sich öffentlich für ein Bündnis mit Peking ausspricht, das keinerlei Grenzen kennt. Die Spionageabteilung des FSB identifiziert zahlreiche Bemühungen seitens chinesischer Geheimdienste, russische Militärgeheimnisse auszuspähen, insbesondere im Zusammenhang mit der Kriegsführung in der Ukraine. Die russischen Sicherheitsexperten weisen darauf hin, dass die chinesischen Dienste versuchen, sich Informationen über westliche Waffen, Kampfmethoden und neue Kriegstechnologien zu beschaffen, um daraus eigene militärische Vorteile zu ziehen. Diese Erkenntnisse verdeutlichen, dass China den russischen Krieg gegen die Ukraine als eine Art Lernfeld betrachtet, um seine eigenen Streitkräfte für mögliche zukünftige Konflikte zu modernisieren und besser vorzubereiten. Besondere Aufmerksamkeit widmet das russische Dokument der Anwerbung von russischen Wissenschaftlern und Experten, insbesondere solchen mit unzufriedenem oder prekärem Hintergrund.
Allein die Tatsache, dass ehemaligen Mitarbeitern des einstigen sowjetischen Ekranoplans und gefährdeten Spezialisten in der Luftfahrtindustrie Priorität eingeräumt wird, offenbart die gezielten wirtschafts- und verteidigungspolitischen Interessen Pekings. China versucht somit nicht nur, direkt Forschungs- und Know-how-Bereiche zu infiltrieren, sondern auch potenziell Personen mit Sicherheitswissen zu gewinnen, die mit wertvollen Geheimnissen Russlands vertraut sind. Ebenso besorgniserregend ist die Information, dass chinesische Geheimdienste verstärkt russische Journalisten, Geschäftsleute und Politiker anzusprechen versuchen, um eine breite und vielschichtige Informationsbasis aufzubauen. Die Lage wird umso brisanter, wenn man die geopolitischen Faktoren betrachtet. Russland steht seit Beginn des Krieges unter enormem wirtschaftlichen Druck und ist in hohem Maße von chinesischer Wirtschaftshilfe und Technologie abhängig.
China ist mittlerweile der größte Abnehmer russischer Energierohstoffe und liefert unverzichtbare Chips, Software und auch militärische Bauteile, um die Folgen westlicher Sanktionen abzufedern. Gleichzeitig gelingt es China, russische Märkte zu besetzen, wenn westliche Marken abgezogen sind. Damit hat sich eine gegenseitige Abhängigkeit entwickelt, die einerseits Kooperation erzwingt, andererseits aber massive Sicherheitsrisiken birgt, da „Beziehung“ und „Misstrauen“ Hand in Hand gehen. Das FSB-Dokument deckt weit mehr ab als nur Spionagemanöver in der Ukraine-Krise. So wird explizit auf territoriale Spannungen im Fernen Osten eingegangen.
Historische Karten, die von chinesischer Seite veröffentlicht wurden und Gebietsbezeichnungen aus dem 19. Jahrhundert tragen, sind für Moskau alarmierend. Es besteht die Berechnung, dass in China gezielt an nationalistischen Narrativen gearbeitet wird, die russische Grenzgebiete infrage stellen könnten. Auch wissenschaftliche Recherchen, die vermeintliche chinesische Urbevölkerungsspuren in russischen Regionen aufzeigen, werden vom FSB als potenziell revanchistisch eingestuft. Dies könnte langfristige Ansprüche auf Teile des russischen Territoriums stützen und birgt die Gefahr einer schleichenden Erosion der russischen Souveränität in diesen umkämpften Regionen.
Noch weiter reicht das Misstrauen, wenn es um Zentralasien und die Arktis geht. In den ehemaligen sowjetisch geprägten Staaten Zentralasiens beobachtet der FSB eine neue chinesische Soft-Power-Kampagne, die auf humanitäre und kulturelle Austauschprogramme setzt, um die politische Einflussnahme zu verstärken. Das ist für Moskau bedeutsam, weil die Region traditionell Teil seines Macht- und Sicherheitssystems war und somit mögliche Abwanderungen in den chinesischen Einflussbereich unmittelbare Folgen haben könnten. Die Arktis als zunehmend geostrategisch bedeutendes Gebiet ist nach russischer Einschätzung ebenfalls aktiv von chinesischen Spionen umschlichen. Hier soll China insbesondere über Bergbauunternehmen und Forschungseinrichtungen versuchen, an Kenntnisse über die russische Infrastruktur und wirtschaftliche Projekte zu gelangen.
Die rückläufige Kapazität Russlands, eigene Ressourcen in der Arktis effektiv zu kontrollieren und zu entwickeln, wird von Peking offenbar als Chance gesehen, seine Position durch wirtschaftliche Präsenz und möglicherweise verdeckte Aktivitäten auszubauen. Der FSB warnt aber auch davor, dass jegliche direkte Gegenmaßnahmen gegen China vorsichtig zu handhaben sind, um die insgesamt wichtige bilaterale Beziehung nicht zu gefährden. Dies unterstreicht die Zwickmühle in der russischen Sicherheitspolitik: Einerseits existiert ein tiefes Misstrauen gegenüber den Absichten Chinas, andererseits ist eine Kooperation existenziell. Das Dokument betont, dass jede Aktion gegen chinesische Spione zwingend durch die höchsten Ebenen der russischen Sicherheitsarchitektur abgesegnet werden muss. Dies zeigt, wie sensibel das Verhältnis zu Peking behandelt wird, obwohl sich im Verborgenen ein regelrechter Krieg zwischen den Geheimdiensten abzeichnet.
Der weltweite Blick auf dieses geheime Papier offenbart auch die große Besorgnis Washingtons und der westlichen Geheimdienste über die enge Annäherung der beiden autoritären Staaten. Das Bündnis mit mehr als 1,5 Milliarden Menschen und zusammen etwa 6000 Atomwaffen erscheint für viele Experten als eine der größten Herausforderungen der globalen Sicherheitspolitik. Zwar gibt es seit längerer Zeit Überlegungen in den USA, Russland mit gezielter Diplomatie von China zu lösen. Die in diesem Bericht angesprochenen gegenseitigen Verdächtigungen könnten für eine solche Strategie hilfreich sein, zeigen aber auch, wie fest die Zusammenarbeit auf höchster Ebene etabliert ist. Mitherausgeber und Experten kommentieren, dass Präsident Putin trotz der bekannten Risiken das „tiefe Eintauchen“ in die chinesische Partnerschaft bewusst und als wertvoll einschätzt.
Er ist bereit, bestehende Schwächen und potenzielle Gefahren in Kauf zu nehmen, weil die wirtschaftliche und geopolitische Lage Russlands wenig Alternativen bietet. Dieses pragmatische Kalkül, begleitet von einer zunehmend misstrauischen innerstaatlichen Sicherheitsstruktur, zeigt die innere Spannung innerhalb des Kreml und der russischen Machteliten. Die Offenlegung eines so sensiblen Dokuments ist für Beobachter eine bedeutende Gelegenheit, die Dynamik zwischen Russland und China jenseits der offiziellen Erklärungen zu verstehen. Es hinterfragt die gängige Vorstellung der unerschütterlichen Freundschaft und legt offen, dass selbst die engsten Verbündeten auf geopolitischer Ebene nicht immun gegen Misstrauen, Geheimdiensteinsätze und gegeneinander gerichtete Aktivitäten sind. Angesichts dieser komplexen Lage bleibt die Zukunft der russisch-chinesischen Beziehungen ein spannendes und unsicheres Feld, das weiterhin aufmerksam verfolgt werden sollte.
Experten weltweit werden die Auswirkungen dieser Erkenntnisse auf die globale Sicherheitsarchitektur und die internationale Balance der Mächte genau beobachten.