In einer sensationellen Entdeckung, die unser Verständnis der Neandertaler erheblich erweitert, sind Wissenschaftler im spanischen San Lázaro Felsenschutzgebiet auf einen Fund gestoßen, der die älteste vollständige menschliche Fingerabdruckspur enthüllt und Hinweise darauf gibt, dass Neandertaler Kunst geschaffen haben könnten. Die Entdeckung dieser Spur auf einem roten Pigmentpunkt auf einem recht kleinen Kieselstein wirft ein neues Licht auf die symbolischen Fähigkeiten und die kognitiven Fertigkeiten unserer ausgestorbenen Verwandten. Die Forschung öffnet das Fenster zur Vergangenheit und stellt die klassischen Vorstellungen über die intellektuelle Kapazität der Neandertaler infrage. Der Fundort in Segovia, Spanien, ist als San Lázaro Felsenschutz bekannt und birgt Überreste, die mehr als 40.000 Jahre alt sind.
Die Wissenschaftler vermuten, dass ein männlicher Neandertaler einen Finger in ein rotes Pigment getaucht und damit eine Nase auf einen Stein gemalt hat, die einem menschlichen Gesicht ähnelt. Diese Markierung wurde nicht zufällig aufgetragen, sondern zielgerichtet platziert, was als Beweis für symbolisches Verhalten gilt – ein kognitiver Meilenstein, der die Fähigkeit zu abstraktem Denken voraussetzt. In der prähistorischen Archäologie ist die Anwesenheit von bewusster Symbolik ein Schlüsselindikator für die kulturelle und geistige Entwicklung von frühen Menschen. Die Entdeckung begann vor etwa fünf Jahren, als das Team von der Universität Complutense in Madrid gezielt den Felsenschutzbereich ausgrub. Beim Durchsieben der Sedimente stießen sie auf einen ungewöhnlichen Kieselstein mit hervorgehobener roter Färbung.
Zunächst war unklar, ob die Farbe natürlicher Herkunft ist oder ob sie absichtlich vom Menschen aufgetragen wurde. Nach umfangreicher Analyse bestätigte die Multispektralanalyse, unterstützt von Spaniens kriminaltechnischer Abteilung, dass das Pigment auf der Oberfläche tatsächlich künstlich aufgebracht wurde. Noch bedeutender war die Identifizierung eines Fingerabdrucks, der in der Pigmentschicht eingebettet ist und eindeutig einem männlichen Erwachsenen zugeordnet wurde. Diese Erkenntnis hat enorme Implikationen für die Archäologie und Anthropologie, da sie nicht nur den Nachweis für den frühesten portablen Kunstgegenstand Europas darstellt, sondern auch darauf hinweist, dass Neandertaler in der Lage waren, ästhetische Entscheidungen zu treffen und Kunstwerke zu schaffen, die über bloße Funktionalität hinausgehen. Der Stein selbst weist charakteristische Risse auf, die den Neandertalern scheinbar aufgefallen sind und möglicherweise die Bildkomposition beeinflussten.
Die Unterscheidung der Neandertaler als rein instinktgeleitete Kreaturen wird durch solche Funde zunehmend in Frage gestellt. Der rote Punkt auf dem Stein, der an eine stilisierte Nase in einem Gesicht erinnert, ist nicht nur ein rudimentäres Zeichen, sondern ein intentionaler und symbolischer Akt, der komplexe kognitive Prozesse voraussetzt. Dies stützt die These, dass Neandertaler nicht bloß Werkzeuge fertigten oder jagten, sondern auch in der Lage waren, ihre Umwelt auf kreative und konzeptuelle Weise zu interpretieren und zu repräsentieren. Weiterhin wird durch die Tatsache, dass das rote Pigment nicht in der näheren Umgebung des Fundortes vorkommt, impliziert, dass Neandertaler solche Materialien möglicherweise gezielt beschafften und transportierten, um ihre Kunstwerke zu schaffen. Damit wird angenommen, dass sie nicht nur ein tiefes Verständnis für Materialien besaßen, sondern auch einen ästhetischen Sinn und vermutlich eine Form kultureller Kommunikation entwickelten.
Die Entdeckung lenkt zudem die Aufmerksamkeit auf die Diskussion, ob künstlerisches Schaffen und symbolische Darstellungen ausschließlich dem modernen Menschen (Homo sapiens) vorbehalten waren oder ob diese Fähigkeiten auch von anderen homininen Arten geteilt wurden. Vorherige Funde an Orten wie Südafrika oder Indonesien hatten bereits gezeigt, dass frühe Menschen rudimentäre Kunst geschaffen hatten, aber die aktuelle Studie liefert die älteste gesicherte Spur für solche Tätigkeiten bei Neandertalern in Europa. Archäologen und Anthropologen sehen in diesem Fund einen wichtigen Beitrag, um die Vorstellung zu widerlegen, dass Neandertaler lediglich primitives Verhalten zeigten. Stattdessen offenbaren sich Zeichen einer differenzierten Geisteswelt, die Empathie, ästhetisches Empfinden und vielleicht sogar kommunikative Absichten umfassen könnte. Diese Aspekte helfen, ein umfassenderes Bild von der Evolution des menschlichen Denkens zu zeichnen und verdeutlichen, dass einige Verhaltensweisen kultureller Natur, die bisher ausschließlich dem Homo sapiens zugeschrieben wurden, tatsächlich früher entstanden sein könnten.
In der wissenschaftlichen Veröffentlichung zu diesem Thema im Fachjournal Archaeological and Anthropological Sciences spiegeln die Forscher ihre Überzeugung wider, dass der San Lázaro Kieselstein ein bisher einzigartiges Beispiel für tragbare Kunst darstellt. Sie beschreiben ihn als visuelles Symbol, das nicht nur künstlerische Absichten aufweist, sondern auch in einem Kontext gefunden wurde, der die Präsenz und das Handwerk der Neandertaler eindeutig dokumentiert. Neben dem künstlerischen Wert stellt die Entdeckung auch Hinweise auf soziale Aspekte im Leben der Neandertaler zur Verfügung. Die bewusste Anbringung von Farben und Symbolen könnte auf Rituale, gemeinsame Werte oder sogar auf eine frühe Form der Erzählkunst hindeuten. Solche Verhaltensmuster würden nahelegen, dass die Neandertaler komplexe soziale Strukturen besaßen, die weit über reine Überlebensstrategien hinausgingen.
