In den letzten Jahren wird zunehmend über die Idee des „Electrostate“ gesprochen – ein Staat, der seine Macht und seinen Einfluss vor allem über digitale und elektronische Netzwerke ausübt. In diesem Kontext rückt China immer mehr in den Fokus der internationalen Diskussionen. Könnte China tatsächlich die erste Elektrostaat der Welt werden? Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich ein genauer Blick auf die technologischen Fortschritte, die politische Strategie des Landes und den globalen Wettbewerb in der Digitalisierung. China hat in den letzten Jahrzehnten eine beeindruckende wirtschaftliche Transformation durchlaufen, die von einer zunehmenden Digitalisierung begleitet wurde. Das Land investiert massiv in den Ausbau von Infrastruktur für 5G, Künstliche Intelligenz (KI), das Internet der Dinge (IoT) und Big Data.
Diese Technologien bilden das Rückgrat einer modernen Wirtschaft, die zunehmend auf digitale Dienstleistungen, vernetzte Geräte und automatisierte Prozesse setzt. Ein wichtiger Punkt ist Chinas Fähigkeit, durch staatliche Planung und gezielte Förderung Schlüsseltechnologien zu entwickeln und global zu vermarkten. Die chinesische Regierung hat ihre Digitalstrategie in nationale Entwicklungspläne integriert, um nicht nur wirtschaftliche Modernisierung voranzutreiben, sondern auch ihre geopolitische Stellung zu stärken. Der Ansatz, Technologie als Machtinstrument zu verstehen, unterscheidet China dabei deutlich von vielen westlichen Ländern. Die Idee eines Elektrostaaten ist eng mit der Kontrolle über digitale Infrastrukturen verknüpft.
China kontrolliert die meisten seiner Internetdienste streng und baut gleichzeitig ein eigenes Ökosystem auf, das weitgehend unabhängig von westlichen Plattformen ist. Durch Unternehmen wie Huawei, Alibaba, Tencent und Baidu hat China nicht nur wirtschaftlich bedeutsame Player im Bereich digitaler Technologie, sondern auch politische Hebel, um Informationsflüsse zu steuern und Cyber-Souveränität zu gewährleisten. Darüber hinaus investiert China massiv in die Erforschung und Entwicklung von Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen. Diese Technologien sind für die optimale Steuerung eines Elektrostaaten von entscheidender Bedeutung, denn sie ermöglichen die automatisierte Analyse großer Datenmengen, effizientes Ressourcenmanagement und die Überwachung von sozialen und wirtschaftlichen Prozessen in Echtzeit. Ein weiteres wichtiges Element ist die sogenannte Social Credit System-Initiative, mit der China eine neue Form der gesellschaftlichen Kontrolle und Ordnung etabliert.
Das System bündelt digitale Daten über Bürger und Unternehmen und bewertet deren Verhalten, was wiederum direkten Einfluss auf deren Möglichkeiten und Freiheiten im Alltag hat. Ein derart umfassendes System lässt sich nur in einem Staat realisieren, der umfassenden Zugriff auf digitale Informationen besitzt und diesen systematisch nutzt – ein wesentlicher Charakterzug eines Elektrostaaten. International ist Chinas Rolle als Anbieter digitaler Infrastruktur ebenfalls wachsend. Über Initiativen wie die Neue Seidenstraße (Belt and Road Initiative) wird Technologieexport verbunden mit wirtschaftlicher Vernetzung und politischem Einfluss. Diese digitale Diplomatie erweitert den Wirkungskreis Chinas über die eigenen Grenzen hinaus und schafft neue Abhängigkeiten und Partnerschaften, die in einem vernetzten Zeitalter neue Formen der Macht verankern.
Natürlich gibt es bei dieser Entwicklung auch Herausforderungen. Die internationale Kritik an der Datensicherheit und den Menschenrechtsfragen im Zusammenhang mit Chinas digitaler Kontrolle ist seit langem präsent. Zudem stehen westliche Demokratien einem zunehmend selbstbewusst agierenden China gegenüber, das seine technologischen Errungenschaften nutzt, um globale Standards zu setzen und die Regeln im digitalen Zeitalter mitzugestalten. Der Wettbewerb um die Vormachtstellung im digitalen Bereich hat ein ausgeprägtes geopolitisches Element. Die USA und Europa versuchen ihrerseits, eigene Strategien zu entwickeln, die technologischen Fortschritte zu sichern und zugleich Werte wie Datenschutz und individuelle Freiheit zu schützen.
Die Frage, ob China die erste echte Elektrostaat wird, hängt daher auch von der Fähigkeit anderer Staaten ab, effektive digitale Gegenmodelle zu etablieren. China zeigt zudem, wie der Übergang hin zu einem Elektrostaat von der Verknüpfung technologischer Infrastruktur mit politischer Kontrolle und gesellschaftlicher Akzeptanz abhängig ist. Es ist nicht nur die Technologie an sich, sondern auch die Art und Weise, wie sie im Staatsapparat integriert und genutzt wird, die ein solches Modell möglich macht. In diesem Sinne ist China derzeit das am weitesten entwickelte Beispiel für den Elektrostaat – auch wenn viele Fragen zur Nachhaltigkeit und globalen Resonanz noch offen bleiben. Die Zukunft wird zeigen, ob China seine Rolle als weltweiter Technologieführer ausbauen kann und ob sich das Modell des Elektrostaaten als ein neues Paradigma der Staatlichkeit etabliert.