Single-Board-Computer haben in den letzten Jahren insbesondere durch die Verbreitung von ARM-basierten Modellen wie dem Raspberry Pi enorme Popularität erlangt. Doch die Computing-Welt entwickelt sich weiter, und mit der offenen, lizenzfreien RISC-V-Architektur steht eine vielversprechende Alternative in den Startlöchern. Der Orange Pi RV2 ist aktuell einer der ersten erhältlichen SBCs, der diese Architektur anwendet und auf beeindruckende Weise erlebbar macht. Er stellt damit nicht nur für Technik-Enthusiasten, sondern auch für Entwickler und den Embedded-Bereich eine interessante Plattform dar. Der Orange Pi RV2 ist überraschend kompakt und mit einer Hardware ausgestattet, die für viele Anwendungsfälle ausreicht.
Das Herzstück bildet ein 8-Kern-Ky X1 64-Bit RISC-V Prozessor, der zusätzlich über eine 2 TOPS NPU (Neural Processing Unit) verfügt. Diese Kombination erlaubt neben Mehrkern-Arbeiten auch erste Schritte im Bereich von Künstlicher Intelligenz. Unterstützt wird der Prozessor von 4 GB LPDDR4 RAM, was für die Zielgruppe eines kompakten SBCs angemessen ist, jedoch im Desktop-Betrieb durchaus an die Grenzen stößt. In puncto Speicher lässt sich der Orange Pi RV2 mit einem MicroSD-Karten-Slot und einem eMMC-Sockel flexibel erweitern. Die Lieferung mit 64 GB eMMC steigert die Leistung gegenüber reiner SD-Karten-Nutzung deutlich.
Darüber hinaus sind zwei PCIe 2.0 M.2 M-Key Slots integriert, wovon der größere voll bootfähig ist und den Anschluss von NVMe-SSDs ermöglicht. Zwar bremst der PCIe 2.0 Standard etwas die Geschwindigkeit der SSDs, für viele Projekte ist das aber kein Hindernis.
Für Display-Anschlüsse steht neben dem HDMI 1.4 Port ein MIPI DSI Anschluss bereit, was vielfältige Displayoptionen eröffnet. Eine Besonderheit des Orange Pi RV2 ist das integrierte Wi-Fi 5 und Bluetooth 5.0 Modul (AP6256), welches über die SDIO 3.0 Schnittstelle verbunden ist.
Diese Anbindung sorgt zwar dafür, dass die Funkverbindung nicht ganz die Spitzenleistung erreichen kann, ist jedoch für die meisten Heim- oder Reise-Router-Anwendungen mehr als ausreichend. Die Adern der Anschlussvielfalt verästeln sich weiter mit drei USB 3.0 Host-Ports, einem USB 2.0 Port, der sowohl als Host als auch Device fungieren kann, sowie einem UART Header. Dazu kommt ein 26-poliger GPIO-Port, MIPI- und CSI-Schnittstellen, was insbesondere im Bereich Embedded und IoT spannend ist.
Thermisch arbeitet das Board passiv gekühlt, was es besonders leise macht. Allerdings sollte ein kleiner Heatsink auf den Ky X1 Chip angebracht werden, um die Temperaturen von etwa 58 Grad Celsius im Leerlauf auf rund 49 Grad zu senken. Unter Volllast wurden ohne Drosselung Temperaturen um 64 Grad gemessen, was für ein passiv gekühltes System völlig akzeptabel ist. Im Betrieb zeigt der Orange Pi RV2 einen akzeptablen Stromverbrauch, der im Leerlauf bei etwa 3 Watt und unter maximaler Auslastung bei knapp über 5 Watt liegt. Dies steht zwar im Vergleich zu einigen ARM-Systemen nicht als Spitzenergebnis da, hält sich jedoch für ein 8-Kern-System mit integrierter NPU in Grenzen.
Wichtig für viele Anwender ist die Softwareunterstützung, und hier macht der Orange Pi RV2 eine durchaus positive Figur. Anders als die zahlreichen ARM-basierten Boards kann er nicht auf Armbian zurückgreifen, jedoch sind offizielle Ubuntu-Images verfügbar, die sich einfach über MicroSD-Karten installieren lassen. Die Installation ist unkompliziert und gut dokumentiert, was das Setup auch für RISC-V-Neulinge attraktiv macht. Nach dem Boot steht eine flüssige GNOME-Desktop-Umgebung bereit, die sogar über Hardware-beschleunigte Videowiedergabe und 3D-Komposition verfügt. Dies ist ein beeindruckender Fortschritt, bedenkt man, wie früh sich RISC-V noch in der Entwicklung befindet.
Trotz der flüssigen Darstellung kam es aufgrund des limitierten Arbeitsspeichers oft zu Verzögerungen, weshalb für die meisten Tests in der Praxis auf die Server-Variante von Ubuntu gesetzt wurde. Doch auch für Netzwerk- und IoT-Projekte ist das Board bestens geeignet. Der Kernel in der Version 6.6.63 sorgt zusammen mit OpenWRT für moderne Router-Funktionen, einschließlich Docker-Unterstützung und Multi-WAN-Fähigkeiten.
Einziger Wermutstropfen ist derzeit, dass die WLAN-Karte aus Treibergründen in OpenWRT nicht einwandfrei läuft, was jedoch laut Hersteller mit zukünftigen Softwareupdates behoben werden soll. Für experimentelle Reise-Routeren und leichtgewichtige Gateway-Lösungen bleibt der Orange Pi RV2 dennoch eine attraktive Option. Die Performance des RISC-V Prozessors ist ein Thema, das viel Aufmerksamkeit erfährt. Zwar wurde das Board vom Entwickler für Alltagsaufgaben, Entwicklertests und Mehrkern-Workloads gelobt, merkte jedoch bei Single-Core Operationen deutliche Einbußen gegenüber ARM-basierten Konkurrenten wie dem Raspberry Pi 4 an. Benchmarks von externen Testportalen zeigen, dass der Orange Pi RV2 etwa halb so schnell wie ein Raspberry Pi 4 agiert, womit er sich leistungsmäßig eher in der Einstiegs- bis Mittelklasse einordnet.
Dennoch ist zu bedenken, dass es sich bei der RISC-V Plattform um eine innovative und noch recht frische Architektur handelt, die beständig weiterentwickelt wird. Das Potenzial des Orange Pi RV2 zeigt sich bei parallelen Rechenlasten und Netzwerkaufgaben, wo Multi-Core-Leistung und moderne Kernarchitektur punkten können. Die Netzwerk-Kapazität ist beachtlich: Das Board erreicht annähernd Gigabit-Werte beim Routing per Ethernet und arbeitet auch mit USB-Gigabit-Adaptern problemlos. Die Wi-Fi-Anbindung kommt nahe an die durch die SDIO-Anbindung bedingte Grenze heran und kann für mobile oder kompakte Lösungen im Heim- und Reisebereich genügen. Fazit: Der Orange Pi RV2 stellt eine gelungene Einführung in die RISC-V Welt dar.
Zwar erreicht die Leistung nicht ganz das Niveau einiger etablierter ARM-Lösungen, doch die Offenheit der Architektur, die einfache Bedienung und die fortschreitende Unterstützung durch populäre Linux-Distributionen sind überzeugende Argumente. Für Entwickler und Hobbyisten, die sich mit neuen Technologien befassen wollen, bietet das Board eine hervorragende Lernplattform, um die Vorzüge und Herausforderungen von RISC-V beim praktischen Einsatz zu ergründen. Das Board eignet sich für Netzwerkprojekte, leichte Desktop-Anwendungen, Programmier- und Entwicklungsaufgaben sowie als Versuchsträger für zukunftsweisende Betriebssysteme und Container-Lösungen. Wer früh in RISC-V einsteigen will, erhält mit dem Orange Pi RV2 eine flexible, kompakte und gut dokumentierte Option, die mit Firmware-Updates und steigender Verbreitung auch stetig besser wird. Insgesamt lässt sich der Orange Pi RV2 nicht als direkter Konkurrent für ARM-SBCs bezeichnen, aber als Vorreiter einer neuen Ära von offenen und anpassbaren Prozessorarchitekturen kommt ihm eine wichtige Rolle zu.
Die aktive Community, stabile Softwarebasis und solide Hardware machen ihn zu einer empfehlenswerten Ergänzung im Repertoire eines jeden, der über den Tellerrand der ARM-Dominanz hinausblicken möchte.