Der Arbeitsmarkt befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Technologische Innovationen, steigende Anforderungen an Fachwissen und Soft Skills sowie eine veränderte Erwartungshaltung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern prägen die aktuelle Jobsituation. Doch obwohl häufig von einem „Skills Gap“ gesprochen wird – also von einem Mangel an spezifischen Fertigkeiten bei den Bewerbern –, zeigen aktuelle Umfragen und Berichte, dass das Problem oft anders gelagert ist. Viele Berufstätige und Jobsuchende sehen vielmehr eine Ausbildungslücke, eine sogenannte „Training Gap“, denn fehlende Kompetenzen. Sie beklagen vor allem, dass Unternehmen kaum noch bereit sind, Mitarbeiter an- und auszubilden.
Stattdessen verlangen viele Arbeitgeber fertige Fachkräfte, die sofort einsatzfähig sind, ohne Bereitschaft oder Kapazitäten, Weiterbildungen anzubieten. Dieses Phänomen wirft wichtige Fragen zu den Erwartungen des modernen Arbeitsmarktes und den Herausforderungen bei der Personalentwicklung auf. Die Entwicklung zeigt, warum ein Umdenken in Richtung mehr praxisnahes Lernen und Flexibilität dringend erforderlich ist. Aktuelle Umfragen und Studien belegen diesen Trend eindrücklich: Eine kürzlich veröffentlichte Befragung von Express Employment Professionals unter mehr als 1.000 US-amerikanischen Arbeitnehmern ergab, dass fast acht von zehn Befragten der Meinung sind, es gebe keinen echten Mangel an Fähigkeiten, sondern dass Arbeitgeber schlichtweg zu wenig in die Ausbildung und das Onboarding neuer Mitarbeiter investieren.
Diese Erkenntnis bringt eine ernsthafte Kritik an bisher dominierenden Methoden der Personalrekrutierung zum Ausdruck. Anstelle nur nach bereits perfektionierten Qualifikationen zu suchen, sollten Unternehmen viel stärker in Lernprogramme und Trainings investieren, um Talente zu fördern und in das eigene Team zu integrieren. Ein weiterer wichtiger Punkt der Umfrage zeigt, dass 87 % der Befragten der Auffassung sind, dass Bewerbungen anhand von Fähigkeiten erfolgen sollten und nicht nur von formalen Abschlüssen oder Jahren an Berufserfahrung. Dies stellt einen klaren Widerspruch zu teils veralteten Jobprofilen dar, die starre Anforderungen, beispielsweise an Hochschulabschlüsse oder langjährige Praxiserfahrung, voraussetzen. Für viele Jobsuchende ist die Forderung nach einem Wandel in den Einstellungsstrategien damit evident.
Unternehmen, die solche Veränderungen wagen, könnten davon langfristig profitieren. Denn die gleiche Umfrage zeigt auch, dass etwa 90 % der Arbeitnehmer gerne länger in Firmen bleiben würden, die bewusst in Weiterbildung und Entwicklung investieren. Dies bedeutet, dass nachhaltige Trainingsangebote nicht nur die Qualifikation der Mitarbeiter verbessern, sondern auch die Mitarbeiterbindung erhöhen können – ein entscheidender Vorteil angesichts des heutigen Fachkräftemangels und der hohen Fluktuation vieler Branchen. Besonders für Berufsanfänger, Quereinsteiger oder Menschen mit nicht-traditionellen Bildungswegen ist die fehlende Trainingsbereitschaft oft ein großer Hinderungsgrund. Viele junge Talente oder Personen, die eine berufliche Neuorientierung anstreben, verfügen über Motivation und grundlegende Fähigkeiten, doch werden sie oft abgelehnt, weil sie nicht jedes einzelne Kriterium einer Stellenausschreibung erfüllen.
Dieses Vorgehen verschärft die Situation und führt zu einer Unterauslastung von potenziellen Arbeitskräften. Auf Arbeitgeberseite gibt es eine gewisse Diskrepanz in der Wahrnehmung: Eine separate Umfrage bei über 1.000 Personalverantwortlichen in den USA ergab, dass 69 % der Manager den Kompetenzmangel als so groß wie nie zuvor einschätzen. Interessanterweise geben 84 % dieser Entscheider an, dass ihr Unternehmen die notwendigen Ressourcen besitzen würde, um die Lücke durch gezielte Weiterbildung zu schließen. Dennoch sehen sich viele Führungskräfte mit Unsicherheiten bezüglich neuer Einstellungspraktiken konfrontiert, insbesondere wenn es darum geht, Qualifikationen wie Online-Kurse, Zertifikate oder alternative Bildungsnachweise zu bewerten.
Hier besteht also nach wie vor ein Bedarf an klaren Bewertungsstandards und Vertrauen in alternative Bildungswege. Die Herausforderung, die sich daran anschließt, ist die Einführung von Skills-Based Hiring, also der Einstellung von Mitarbeitern basierend auf ihren nachweisbaren Fähigkeiten anstelle von formalen Ausbildungsnachweisen. Viele Firmen beginnen erste Schritte in Richtung einer solchen Personalpolitik, beispielsweise durch Skills Mapping oder die Schaffung von Anreizsystemen, die konkrete Kompetenzerweiterungen belohnen. Solche Maßnahmen sind ein wichtiger Teil moderner Talentstrategien und haben das Potenzial, Talente besser zu erkennen und zu fördern. Auch aus Sicht der Digitalisierung und durch den wachsenden Einfluss von Künstlicher Intelligenz ergeben sich neue Anforderungen.
Die sogenannte „Future-Readiness“, also die Fähigkeit von Unternehmen und ihrer Belegschaft, sich auf die Arbeitswelt der Zukunft vorzubereiten, schneidet in Studien häufig schlecht ab. Laut einem Bericht der Adecco Group verfügen neun von zehn Unternehmen noch nicht über umfassende Strategien, um Mitarbeiter gezielt auf die Herausforderungen durch KI und Automatisierung vorzubereiten. Dabei ist gerade in diesem Bereich kontinuierliches Lernen und flexible Weiterbildung entscheidend, damit Mitarbeiter mit neuen Technologien und verändertem Arbeitsumfeld Schritt halten können. Die Bereitschaft von Arbeitgebern, eine aktive und praktische Rolle in der Vermittlung neuer Kompetenzen zu übernehmen, ist oftmals der Knackpunkt. Große Investitionen in Weiterbildung, Begleitung durch Coaching und Mentoring sowie eine gelebte Unternehmenskultur, die Lernen fördert, sind unerlässlich.
Diese Maßnahmen können sowohl bestehende Teams fit halten als auch neuen Mitarbeitern den erfolgreichen Einstieg ermöglichen. In der Praxis bedeutet dies, dass Unternehmen über reines Recruiting hinausdenken und das Lernen als integralen Bestandteil der Personalstrategie begreifen müssen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der vielzitierte Fachkräftemangel nicht allein an fehlenden Fähigkeiten der Bewerber liegt, sondern maßgeblich durch den Mangel an praxisorientierten Trainingsmöglichkeiten verursacht wird. Arbeitnehmer erwarten heute von Arbeitgebern ein Angebot an Ausbildungsmöglichkeiten und nachweisliche Investitionen in ihre professionelle Entwicklung. Auf der anderen Seite müssen Unternehmen flexibler und aufgeschlossener gegenüber alternativen Bildungswegen und Kompetenzen werden, um den Wandel im Arbeitsmarkt erfolgreich zu gestalten.