In den letzten Jahren hat sich die Gesetzeslandschaft in Europa hinsichtlich Barrierefreiheit und Produktsicherheit in der Spieleentwicklung stark verändert. Zwei wichtige Regelwerke, die European Accessibility Act (EAA) und die General Product Safety Regulation (GPSR), treten seit 2024 und 2025 in Kraft und stellen neue Anforderungen an Entwickler und Anbieter von Spielen, die auf dem europäischen Markt angeboten werden. Diese Vorschriften haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Gestaltung und den Vertrieb von Spielen, insbesondere im Hinblick auf Inklusion, Sicherheit und Nutzerfreundlichkeit. Der European Accessibility Act ist ein zentrales Gesetz der Europäischen Union zur Förderung der Barrierefreiheit bei Produkten und Dienstleistungen. Zwar ist die EAA umfangreich und mit fast 115 Seiten recht komplex, doch ihre Kernbotschaften sind für die Gaming-Industrie entscheidend.
Vor allem Spiele mit Kommunikationsfunktionen, wie etwa Chat-Möglichkeiten zwischen Spielern, und Spiele, die Mikrotransaktionen oder andere Formen von elektronischem Handel innerhalb von Web- oder mobilen Apps anbieten, sind betroffen. Die gesetzliche Vorgabe ist klar: Kommunikations- und E-Commerce-Angebote müssen barrierefrei sein. Barrierefreiheit bedeutet nach der EAA konkret, dass alle Benutzer – einschließlich Menschen mit Behinderungen – uneingeschränkten Zugang zu den Funktionen haben müssen. Wenn ein Spiel also beispielsweise Sprachchat bietet, muss zwingend eine alternative Form der Kommunikation, etwa Textchat, zur Verfügung stehen. In puncto E-Commerce verlangt die Verordnung, dass wichtige Elemente wie Identifikation, Sicherheitsprüfungen und Bezahlvorgänge zugänglich gestaltet sind.
Zudem müssen sowohl Webseiten als auch mobile Anwendungen, die diesen Service bereitstellen, hohe Barrierefreiheitsstandards erfüllen. Ein weiterer Punkt sind systematische Dokumentationen und festgelegte Prozesse, mit denen die Einhaltung der Vorgaben nachgewiesen werden muss. Für viele Entwickler von Spielen mag es überraschend sein, dass auch Internetseiten, die Spiele verkaufen, von der EAA betroffen sind. Ebenso gilt die Pflicht zur Barrierefreiheit für kleinste Anbieter nur bedingt, denn sogenannte Mikro-Unternehmen mit sehr geringem Umsatz und wenigen Mitarbeitenden sind von diesen Pflichtanforderungen ausgenommen. Dennoch ist es für die Mehrheit der Unternehmen unerlässlich, sich intensiv mit den Vorgaben auseinanderzusetzen und Compliance sicherzustellen.
Parallel zu den Anforderungen der Barrierefreiheit steht die Sicherheit von Spielen im Fokus der europäischen Gesetzgebung, insbesondere durch die General Product Safety Regulation (GPSR), die seit Dezember 2024 rechtskräftig ist. Die GPSR legt fest, dass Spiele als Produkte sicher sein müssen und keine Gesundheitsgefährdungen für die Nutzer darstellen dürfen. Ein prominentes Beispiel für diese Sicherheitsanforderungen ist das Thema photosensible Epilepsie: Spiele müssen so gestaltet sein, dass sie keine Anfälle auslösen können. Standards, die sich bereits seit Jahrzehnten bewährt haben, wie zum Beispiel Richtlinien zur Vermeidung von epileptischen Triggern im Spiel, gelten nun als wichtige Orientierungshilfe und sichern die Einhaltung der GPSR. Darüber hinaus fordert die GPSR, dass Spiele, die für den europäischen Markt bestimmt sind, einen sogenannten Sicherheitsbeauftragten mit Adresse in Europa benennen.
Dieser muss Kontaktdaten bereitstellen, die sowohl den Spielern als auch den Aufsichtsbehörden zugänglich gemacht werden. Ebenso verpflichtet die Verordnung dazu, eine Sicherheitsrisikobewertung durchzuführen und diese transparent in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Spiels zu dokumentieren. Das Ziel ist eine lückenlose Nachverfolgbarkeit von Sicherheitsmaßnahmen und ein frühzeitiges Erkennen potenzieller Gefahrenquellen. Neben physischen Risiken betont die GPSR auch die Bedeutung der psychischen Gesundheit, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, die online verbundene Produkte nutzen. Entwickler müssen deshalb auch Risiken für psychische Beeinträchtigungen evaluieren und minimieren.
Dies ist ein bedeutender Schritt, da mentale Gesundheitsaspekte in der Videospielbranche bisher oft vernachlässigt wurden. Unternehmen, die bereits Erfahrungen mit früheren gesetzlichen Vorgaben gesammelt haben, beispielsweise im Zuge des US-amerikanischen CVAA (21st Century Communications and Video Accessibility Act), können oftmals auf bewährte Prozesse und strenge Dokumentationen zurückgreifen. Ebenso haben Firmen, die seit langem interdisziplinäre Maßnahmen für Barrierefreiheit wie Menü-Navigation per Screenreader oder In-Game-Narration implementieren, einen deutlichen Vorsprung bei der Umsetzung der EAA-Anforderungen. Die Implementierung dieser gesetzlichen Standards ist keine bloße Pflichtübung, sondern bietet auch zahlreiche Chancen. Barrierefreie Spiele erreichen eine deutlich größere Zielgruppe, weil sie für Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten zugänglich sind.
Das eröffnet neue Märkte und stärkt die Reputation von Entwicklern, die sich aktiv für Inklusion einsetzen. Darüber hinaus führen Verbesserungen bei der Zugänglichkeit häufig zu einer allgemein besseren Nutzererfahrung für alle Spieler. Die rasante Entwicklung technischer Möglichkeiten in der Spieleentwicklung erleichtert mittlerweile die Integration barrierefreier Funktionen. Moderne Engines bieten zunehmend eingebaute Tools, um beispielsweise Bildschirmlesbarkeit oder alternative Kommunikationswege zu realisieren. Kombinationen aus künstlicher Intelligenz, Spracherkennung und adaptivem Design revolutionieren die Zugänglichkeit – vorausgesetzt, Entwickler nutzen diese Potenziale bewusst und gezielt.
Trotz der klaren gesetzlichen Vorgaben und Vorteile für Entwickler herrscht in der Branche noch immer ein signifikanter Wissensmangel. Viele Studios unterschätzen die komplexen Anforderungen oder halten sie für nicht relevant, insbesondere kleinere Anbieter. Dabei ist gerade für diese und für Start-ups eine frühzeitige Auseinandersetzung mit EAA und GPSR essenziell, um kostspielige Nachbesserungen oder gar rechtliche Sanktionen zu vermeiden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Zusammenarbeit innerhalb der Branche: Entwickler müssen nicht nur intern Prozesse anpassen, sondern auch mit Publishern, Plattformbetreibern und Tool-Anbietern kooperieren, um alle beteiligten Bereiche auf die neuen Standards auszurichten. Die IGDA Game Accessibility Special Interest Group (SIG) unterstützt die Branche seit über zwanzig Jahren mit Ressourcen, Events und Beratungen, um die Akzeptanz und Umsetzung von Barrierefreiheit voranzutreiben.
Für Unternehmen, die heute noch zögern, gilt die alte Weisheit vieler Accessibility-Experten: Der bessere Zeitpunkt zur Integration von Barrierefreiheit war vor zehn Jahren, der zweitbeste ist jetzt. Gesetzgeber werden den Druck zukünftig weiter erhöhen, und wer frühzeitig reagiert, gestaltet seine Spiele nachhaltiger und zukunftssicher. Zusammenfassend sind die EAA und GPSR elementare Schritte der Europäische Union, um digitale Inklusion und Produktsicherheit im wachsenden Markt der Videospiele sicherzustellen. Erfolgversprechende Entwickler sollten diese Anforderungen nicht als Einschränkungen, sondern als Chance begreifen, innovative und inklusive Spielerlebnisse zu schaffen. Die Zukunft der Spieleindustrie wird barrierefrei und sicher sein – wer heute aktiv mitgestaltet, gewinnt morgen.
Damit die Vision barrierefreier, sicherer Spiele Wirklichkeit wird, ist es unerlässlich, dass die gesamte Community der Spieleentwickler, Publisher und Plattformanbieter zusammenarbeitet. Nur so kann die digitale Welt für alle Menschen zugänglich, sicher und bereichernd gestaltet werden.