In einer Welt, die von Unsicherheit und ständigen Krisen geprägt ist, ist die Vorstellung eines gesellschaftlichen Zusammenbruchs oft etwas, das wir auf ferne Länder oder historische Konflikte projizieren. Doch was passiert, wenn diese Realität direkt vor unserer Haustür liegt? Als jemand, der den Zusammenbruch eines Staates unmittelbar miterlebt hat, möchte ich einen Einblick geben, wie sich dieses Phänomen im täglichen Leben anfühlt und warum Amerika längst auf diesem Weg ist. Während meiner Zwanzigerjahre lebte ich in Sri Lanka, zu einer Zeit, als der Bürgerkrieg in sein letztes, blutiges Stadium trat. Damals begann die Waffenruhe zu zerbrechen, Bombenanschläge und Gewaltakte waren Alltag, ein Zustand, der viele Menschen lähmte, doch das Leben ging weiter – auf merkwürdige Weise fast normal. Man stand auf, ging zur Arbeit, traf Freunde, verliebte sich und plante die Zukunft, obwohl der Tod unentwegt neben einem lauerte.
Genau hier liegt der Kern dessen, was viele in Amerika heute nicht verstehen: Zusammenbruch ist nicht gleichbedeutend mit kompletten, chaotischen Zuständen, in denen die Gesellschaft scheinbar instantan zusammenbricht. Es ist vielmehr ein schleichender Prozess, ein Akkumulation von alltäglichen Widrigkeiten, Verlusten und einer wachsenden Abstumpfung gegenüber der allgegenwärtigen Tragödie. Es ist das Gefühl, dass zwar überall schlechte Nachrichten auftreten, man selbst aber am Sonntag im Supermarkt steht und überlegt, was es zum Abendessen geben soll. Nimmt man sich alte Fotos aus jener Zeit in Sri Lanka vor, entsteht ein bizarrer Mix: Ein verbrannter Körper liegt vor meinem Büro, doch nur wenige Momente später sitze ich mit Freunden beim Scrabble. Rauchwolken steigen vor dem Einkaufszentrum auf, dann bin ich auf einem Konzert.
Es gibt lange Warteschlangen an der Tankstelle und am Abend gehen wir in einen Nachtclub. Das alles geschah innerhalb von zwei Wochen. Das Leben läuft normal, während die Gesellschaft unter Ausschluss der meisten ihren Zusammenbruch erlebt. In Amerika ist diese Erfahrung längst Alltag geworden. Die ständigen Skandale, die politischen Verwerfungen, die Ölpest an der Küste, Massenerschießungen, eine Pandemie, die Millionen das Leben kostete, und eine fortschreitende soziale Spaltung – all das ist Teil eines Zustands, der für viele nicht mehr vorstellbar ist.
Doch für diejenigen, die den Zusammenbruch erlebt haben, ist gerade das der Beweis: Amerika ist dort angekommen, wo andere Nationen vor Jahren oder Jahrzehnten in den Abgrund stürzten. Der Unterschied besteht darin, dass diese Entwicklungen sich langsam in den Alltag schleichen, während die Bevölkerung eine Art Schutzmechanismus gegen das permanente Unheil entwickelt. Es ist eine Abstumpfung gegenüber Leid und Verlust, vergleichbar mit einer Herde von Gazellen, die weiter grast, während ein Raubtier ein anderes frisst. Der Schmerz, der Tod, die Verzweiflung werden zum stillen Begleiter, bleiben aber oft unsichtbar für die meisten. Das Leben ändert sich nicht von heute auf morgen.
Man trifft sich weiterhin auf Partys, diskutiert Politik, arbeitsintensive Tage gehen vorüber, während gleichzeitig Bombenanschläge und politische Morde Alltag sind. Manche Menschen sind direkt betroffen, andere erleben es nur aus der Ferne – doch unterm Strich lebt jeder in einem Zustand, der faktisch bereits Zusammenbruch bedeutet. Für die Betroffenen ist diese Lage oft belastend und traumatisch, doch sie lernen auch, mit ihr zu leben. Sie setzen ihre Prioritäten neu, legen den Fokus auf Familie, Gemeinschaft und den kleinen Moment des Glücks im Chaos. In den USA beobachten wir, wie die Zahl der Toten durch Gewalt, Krankheiten und soziale Ursachen täglich steigt.
Besonders die letzten Monate zeigen, dass mehr Menschen starben als in vielen langjährigen Konflikten anderer Länder. Trotzdem scheint die Gesellschaft weitgehend unfähig oder unwillig, dieses Leid zu verarbeiten. Nationale Trauer ist selten, individuelle Schicksale verblassen im Rauschen der Nachrichten und sozialen Medien. Diese Art von Normalität im Angesicht des Untergangs zeigt, dass Amerika bereits mitten in einem Prozess steckt, den viele als Zusammenbruch bezeichnen würden. Es geht nicht um nächtliche Straßenschlachten alle paar Stunden, sondern um das konstante Gefühl, dass die Gesellschaft ihre Grundlagen verliert.
Das politische System schwächelt, wirtschaftliche Ungleichheiten wachsen, Vertrauensbrüche häufen sich und die soziale Kluft wird immer tiefer. Das Bewusstsein darüber, wo man sich genau befindet, ist dabei unerlässlich, um aus dieser Krise herauszufinden. Wer den Zusammenbruch leugnet oder ihn als unmöglich abtut, wird den Wandel nicht aktiv mitgestalten können. In Sri Lanka endete mein Erleben des Bürgerkriegs erst, als ich fast 30 war. Doch die Narben blieben.
Ich kam mit einem neuen Verständnis zurück: Zusammenbruch ist keine explosive Katastrophe, sondern ein stiller Prozess, der sich über Jahre und oft Jahrzehnte zieht. Er eröffnet neue Realitäten, wie man gesellschaftliches Leben, Solidarität und Überleben begreift. Amerika steht mittlerweile an einem ähnlichen Scheideweg. Die Frage ist nicht, ob der Zusammenbruch stattfindet, sondern wie die Bevölkerung darauf reagieren wird. Ob es gelingt, die Wunden zu heilen, soziale Gräben zu überwinden und politische Verantwortung neu zu definieren, steht noch offen.
Für Außenstehende mag die Situation chaotisch und hoffnungslos erscheinen, doch für Menschen, die solche Zeiten überlebt haben, gibt es auch Ankerpunkte. Gemeinschaft ist einer davon, das Festhalten an kleinen Freude und das Bewusstsein, dass trotz aller Widrigkeiten das Leben weitergeht. Die Lektion aus Ländern wie Sri Lanka ist zugleich eine Warnung und ein Aufruf: Gesellschaftlicher Zusammenbruch kommt nicht in Form eines dramatischen Ereignisses, sondern schleift sich in den Alltag ein. Wer das versteht, kann eher Wege finden, sich gegen den Zerfall zu stemmen. Wer es nicht sieht, wird unvermeidlich von seinen Folgen getroffen.
Die amerikanische Realität weist alle Merkmale eines solchen Prozesses auf. Die Frage ist, ob dieses Land lernen kann, diese Herausforderungen anzunehmen und zu überwinden – oder ob es den langsamen aber sicheren Verfall hinnehmen wird. Unsere Aufgabe ist es, hinzuschauen, zu verstehen und zu handeln, bevor das scheinbar Normale unwiderruflich zur Normalität des Zerfalls wird. Wer den Zusammenbruch einmal erlebt hat, weiß: Es gibt keinen einfachen Neustart, keine Rückkehr zum Vorher. Es gibt nur den Weg nach vorn.
Und dieser beginnt mit dem ehrlichen Blick auf den Zustand, in dem man sich befindet.