In der amerikanischen Stadt Austin, Texas, steht eine Eiche, die über Jahrhunderte gewachsen ist und eine Geschichte erzählt, die tausende von Menschen berührt hat. Die Treaty Oak, eine prächtige und beinahe 600 Jahre alte Eiche, ist nicht nur ein Baum, sondern ein lebendiges Stück Geschichte, ein Naturdenkmal und ein Symbol für Beständigkeit und Überleben. Im Jahr 1989 erschütterte ein ungewöhnlicher und bedrückender Fall die Stadt und die Medien weltweit: Ein Mann versuchte, diesen ehrwürdigen Baum zu ermorden – durch gezielte Vergiftung mit einem starken Herbizid. Die Geschichte dieses Vorfalls zeigt, wie ein Baum zur Hauptperson eines kriminalistischen Krimis wurde und wie die Gemeinschaft und Experten gemeinsam alles daransetzten, das Naturdenkmal zu retten und der Umweltzerstörung entgegenzuwirken. Die Treaty Oak ist ein außergewöhnliches Exemplar ihrer Art und wurde bereits in den 1920er Jahren von der American Forestry Association als das „perfekteste Exemplar“ eines Baumes Nordamerikas bezeichnet.
Mit einer Ausbreitung von fast 30 Metern ist sie majestätisch und älter als die Stadt selbst. Der Baum besitzt sogar das Land, auf dem er steht, nachdem die Bürger Austin per Spendenkampagne den Park erworben hatten. Eine Besonderheit, die den symbolischen Status des Baumes zusätzlich stärkt. Für die indigenen Völker wie die Tonkawa und die Comanche besitzt diese Eiche eine sakrale Bedeutung. Generationen von Anwohnern nutzen ihren Schatten nicht nur im Sommer, sondern verbinden sich auch spirituell mit ihr.
John Giedraitis, ehemaliger Stadtförster von Austin, beschreibt die Treaty Oak als einen Ort voller Bedeutung, der sogar persönliche Meilensteine wie seinen Heiratsantrag trägt. Es war daher unvorstellbar, dass jemand diese Eiche vorsätzlich zu schädigen versuchen würde. Der Beginn des Verbrechens wurde zunächst kaum ernst genommen. Im Frühjahr 1989 bemerkte Giedraitis während einer Führung mit anderen Förstern verdorrtes Gras um den Baum. Anfangs wurde dies nur als Nachlässigkeit seitens der Parkmitarbeiter interpretiert.
Doch die Situation verschlechterte sich: die Blätter zeigten Vergiftungssymptome, und das Baumsterben setzte ein. Laboruntersuchungen bestätigten, dass die Treaty Oak mit Velpar vergiftet worden war – einem Herbizid von DuPont, das zur Abtötung von Laubbäumen auf Kiefernplantagen verwendet wird und hochgiftig für bestimmte Baumarten ist. Diese Nachricht sorgte schnell für Schlagzeilen. Die ungewöhnliche Tatsache, dass ein Baum regelrecht „ermordet“ wurde, erweckte weltweites Interesse. Zeitungen wie die New York Times berichteten über den Fall, und Magazine wie National Geographic sowie People kümmerten sich um die Geschichte der bedrohten Eiche.
Die Treaty Oak wurde plötzlich zur berühmtesten Eiche der Welt. Unterstützt von der medienwirksamen Aufmerksamkeit mobilisierte der Fall Menschen aus allen Lebensbereichen. Von Skeptikern bis zu spirituellen Gruppen kamen Besucher, um dem Baum beizustehen, ihn zu segnen oder einfach ihre Anteilnahme zu zeigen. Ein besonders bemerkenswerter Unterstützer war H. Ross Perot, ein in Texas bekannter Milliardär und Geschäftsmagnat, der sich bereit erklärte, sämtliche Kosten der Untersuchung zu übernehmen.
Mit ihm gewann die Behandlung und Schutzaktion eine ganz neue Dynamik. Experten aus der ganzen Welt wurden zu Rate gezogen, um die richtige Behandlung für den Baum zu bestimmen. Dies war ein absolut neuartiger Fall – Experten kannten so etwas in der Kriminalgeschichte bis dahin nicht. Die Rettungsversuche waren vielfältig und zeigten den unbeugsamen Willen, das Naturdenkmal zu bewahren. Neben der Gabe von Salznatron zur Gegengabe des Gifts, wurden Zuckerlösungen eingesetzt, um die Blattproduktion anzuregen, Schattenbarrieren errichtet und ständiges Frischwasser besprüht, um den Wurzelbereich zu unterstützen.
Trotz dieser Anstrengungen war der Baum schwer angeschlagen und laut Experten nur noch zu maximal 35 Prozent zu retten. Doch die Treaty Oak erwies sich als widerstandsfähiger, als viele angenommen hatten und konnte Jahre später, obwohl beschädigt, weiterleben und sogar wieder viele Eicheln tragen. Auf Seiten der Ermittler begann ein spannender Kriminalfall. Die Polizei von Austin stufte den Fall zunächst als „kriminellen Unfug“ ein und einige Beamte hielten die ganze Angelegenheit für einen Witz. Doch John Jones, ein damaliger Detektiv, erkannte schnell, dass es um mehr als nur einen Baum ging.
Für ihn wurde die Suche nach dem Täter zu einem seiner ersten bedeutenden Fälle in der Ermittlungsarbeit. Die Ermittlung verlief schwierig, denn es gab keine Zeugen, keine Spuren am Tatort, keine Sicherheitskameras und keine DNA-Proben. Als jedoch eine Belohnung von 11.000 US-Dollar gemeinsam von der Forstbehörde und der DuPont-Firma ausgelobt wurde, kamen vermehrt Hinweise und Informationen rein. Der Fall entwickelte sich sogar zu einem internationalen Phänomen.
Jones bekam Anrufe aus Japan, England und Kanada – das Interesse an dem Fall war riesig. Die Menschen zeigten eine emotionale Bindung und beteuerten ihre Unterstützung. Besucher aus verschiedenen religiösen und spirituellen Gruppierungen, einschließlich evangelischer Christen, buddhistischer Mönche und New-Age-Anhänger, kamen, um den Baum zu unterstützen. Ein entscheidender Schritt war das Auftauchen von Cindy Blanco, die behauptete, Informationen zu einem Verdächtigen zu besitzen. Sie war mit Paul Stedman Cullen in einem Auto unterwegs, der offenbar starke emotionale Probleme hatte, insbesondere wegen unerwiderter Liebe zu seiner Therapeutin.
Laut Blanco hatte Cullen nach magischen Ritualen und Hexenbüchern gesucht, um seine Liebe mit einem Zauber zu beeinflussen. Dabei soll er beschlossen haben, seine Liebe „zu töten“, indem er einen lebenden Organismus – in diesem Fall die größte Eiche – vergiftet. Cullen wurde mit Hilfe von Blanco unter Beobachtung gestellt, ihre Aussagen wurden aufgezeichnet und dienten als Grundlage für einen Haftbefehl. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung fanden die Ermittler verschiedene Bücher über Religion und Quantenmechanik, ein Gewehr vom Kaliber .22 und Bodenproben, die auf eine Verbindung zu dem Herbizid hindeuteten.
Trotz der belastenden Beweise, einschließlich seiner Tonbandaufnahmen, verteidigte Cullen seine Unschuld vor Gericht. Aufgrund einer früheren Verurteilung wurde er mit einer möglichen lebenslangen Haft konfrontiert, doch letztendlich wurde er zu neun Jahren Gefängnis verurteilt. Cullen verbüßte allerdings nur drei Jahre und verstarb 2001 in Kalifornien. Heute steht die Treaty Oak weiterhin in der Fifth Street in Austin und ist ein Symbol der Widerstandskraft und Erneuerung. Sie zeigt zwar noch immer die Spuren des Anschlags – fehlende Rinde, entfernte Äste – doch sie wächst und gedeiht weiter.