Der Em-Dash, häufig fälschlicherweise als „ChatGPT-Hyphen“ bezeichnet, erlebt in jüngster Zeit eine bemerkenswerte Aufmerksamkeit – und das nicht unbedingt im positiven Sinne. Die Diskussion rund um dieses langgezogene Gedankenstrich-Zeichen offenbart einerseits viel Skepsis gegenüber künstlich generierter Literatur, andererseits zeigt sie auch, wie wenig viele Menschen mit dieser seit Jahrhunderten etablierten Interpunktionsform vertraut sind. Dabei ist der Em-Dash ein stilistisches Werkzeug, das die sprachliche Ausdrucksfähigkeit enorm bereichern kann und keineswegs eine Erfindung oder exklusive Kennzeichnung von KI-Texten darstellt. Im Folgenden beleuchten wir die Entstehung der Kontroverse, den historischen Hintergrund des Em-Dash und ergänzen mit Einsichten über die Herausforderungen im Umgang mit AI-generiertem Content in der modernen Sprachwelt. Der Ursprung des Em-Dash geht weit über die Anfänge von ChatGPT oder moderner KI hinaus.
Schon im 19. Jahrhundert verwendeten bedeutende literarische Gestalten wie Emily Dickinson oder Friedrich Nietzsche den Gedankenstrich als stilistisches Mittel, um Pausen, Einschübe oder Spannungen auszudrücken. Auch die amerikanische Grammatiktradition hat dem Em-Dash eine Sonderrolle zugesprochen, trotz seines Rufes als „eines der am meisten unterschätzten Satzzeichen“. Es ist deshalb inkorrekt und eine unterschätzte Vereinfachung, diesen Strich ausschließlich mit maschinell erzeugten Texten in Verbindung zu bringen. Die jüngsten Debatten über die vermeintliche „ChatGPT-Hyphen“-Epidemie rühren maßgeblich vom menschlichen Bedürfnis her, AI-generierten Text zu erkennen und von menschlicher Schreibarbeit abzugrenzen.
Die Angst, dass Autorschaften durch automatisierte Systeme entwertet werden könnten, führt teilweise zu misstrauischen Bewertungen – und der Em-Dash wurde sinnbildlich für eine vermeintliche AI-Handschrift erkoren. Ein LinkedIn-Nutzer berichtete etwa von auffällig langen Gedankenstrichen in Posts, die als KI-behaftet identifiziert wurden. Auch im ChatGPT-Subreddit wurde diskutiert, dass vermeintliche AI-E-Mails vermehrt diesen Strich verwenden würden, was die Sensibilität für diesen Aspekt weiter verstärkte. Doch die tatsächliche Verwendung des Em-Dash variiert stark je nach Autor, Kontext und Stilrichtung. Neuere Versionen von ChatGPT und vergleichbaren AI-Modellen sind mittlerweile darauf trainiert, grammatikalische und stilistische Feinheiten einfließen zu lassen, wodurch sich die Interpunktion stark an die jeweilige Tonalität anpassen kann.
Ein übermäßiger oder standardisierter Einsatz von Em-Dashes ist folglich nicht mehr zwangsläufig ein Hinweis auf maschinelle Textproduktion. Das AI-System selbst weist darauf hin, dass Em-Dashes allein keine valide Methode sind, um eine Textquelle zu identifizieren. Somit ist die Annahme, dass langgezogene Bindestriche per se „verräterisch“ sind, höchst fragwürdig und mit Vorsicht zu betrachten. Die Kontroverse zeigt eine gewisse Diskrepanz zwischen öffentlicher Wahrnehmung und linguistischer Realität. Jene, die den Em-Dash kaum aus eigenen Leseerfahrungen kennen, könnten ihn als ungewohnt oder künstlich empfinden und deshalb mit Technik und Maschinensprachprogrammen assoziieren.
Zugleich zeigt sich, dass professionell erstellte Texte häufig genau solche stilistischen Mittel nutzen, um Rhythmus und Betonung zu erzeugen – dies trifft besonders auf Werbetexte, journalistische Arbeiten und literarische Werke zu. Der Gedanke, gut aufgebaute und fehlerfreie Inhalte müssten automatisch aus robotergenerierter Feder stammen, entbehrt nicht nur jeder soliden Grundlage, sondern verkennt auch den Aufwand und die Kreativität hinter menschlichem Schreiben. Ein weiterer Punkt, der im Zusammenhang mit dem Em-Dash und ChatGPT oft übersehen wird, ist die Rolle der Lesbarkeit und Redaktion. Viele Nutzer kritisieren Bots oft nicht wegen der „falschen“ Zeichensetzung, sondern weil sie eine Art fehlenden „menschlichen Schliff“ empfinden – das fehlt etwa bei der Vermeidung von Wiederholungen, der Einbindung persönlicher Anekdoten oder originärer Ideen. Dass beim Schreiben mit AI-Tools eine Nachkorrektur sinnvoll sein kann, wird allgemein empfohlen.
Das bedeutet aber nicht, dass etwa eine Verwendung des Gedankenstrichs zwangsläufig zu beanstanden sei. Hinzu kommt, dass Em-Dashes nicht nur ästhetisch eine wichtige Rolle spielen, sondern auch grammatikalisch sinnvoll sind. Sie können Nebensätze einleiten, Einschübe verstärken oder den Satzfluss unterbrechen, ohne die Struktur zu zerstören. Daher sind sie ein unverzichtbarer Teil der modernen Schriftsprache, der weder verboten noch irgendwie stigmatisiert werden sollte. Die Bezeichnung „ChatGPT-Hyphen“ wirkt demgegenüber eher wie ein Schlagwort, das mehr Verunsicherung als Klarheit stiftet.
Aus gesellschaftlicher Perspektive lässt sich auch eine verstärkte Paranoia ablesen, die mit der Verbreitung von AI-Textgeneratoren einhergeht. Es ist verständlich, dass viele Menschen im Zeitalter hochentwickelter Algorithmen genauer hinschauen wollen, doch es ist problematisch, wenn stilistische Feinheiten fälschlicherweise als sichere Indikatoren für Computertexte herhalten müssen. In Wahrheit bewegen sich AI-Modelle auf einer expressiven Ebene, die stark an menschliche Schreibmuster angepasst ist und daher keine trivialen „Fußabdrücke“ hinterlässt. Nur die Kombination zahlreicher Indikatoren – Ton, Kreativität, Fehlerstruktur – kann eine fundierte Einschätzung ermöglichen, nicht ein einzelnes Satzzeichen. Trotz der Skepsis gegenüber KI ist zu betonen, dass der Em-Dash eben kein Symbol für Automatisierung ist, sondern für kreative Freiheit im geschriebenen Wort.
Dass eine große Modefirma in ihrem Social-Media-Statement ausdrucksstark auf den Gedankenstrich setzte, ist nichts Außergewöhnliches oder schlecht. Im Gegenteil, solche Entscheidungen unterstreichen genau, dass Menschen bewusst Stilmittel wählen, um Inhalte lebendig und einprägsam zu gestalten. Die automatische Gleichsetzung längerer Gedankenstriche mit AI-Text macht somit nicht nur sprachlich wenig Sinn, sondern verkennt auch die Dynamik von Lektüre und schriftlicher Kommunikation. Die Zukunft der Textproduktion wird zweifellos weiterhin von einer Mischung aus menschlicher Intelligenz und maschineller Unterstützung geprägt sein. Wichtiger als die Fixierung auf vermeintliche „Signalzeichen“ wie den Em-Dash ist es, kritische Medienkompetenz und Kenntnisse über Sprache zu stärken.
Lesende sollten vor allem lernen, die Qualität eines Textes ganzheitlich zu bewerten und nicht vorschnell an einzelnen Stilmerkmalen festzumachen, ob eine Passage von einem Menschen oder einem Algorithmus stammt. Autoren wiederum können von der bewussten und gezielten Nutzung von Interpunktionszeichen profitieren, um ihre Botschaften nuanciert zu vermitteln und ihre Handschrift zu schärfen – unabhängig davon, ob sie KI-Hilfen nutzen oder traditionell schreiben. Abschließend lässt sich also festhalten, dass der sogenannte „ChatGPT-Bindestrich“ mehr ein kulturelles Missverständnis denn ein technischer Fehler ist. Die Kontroverse um den Em-Dash zeigt, wie sehr Sprachwandel und technologische Innovationen gesellschaftliche Unsicherheiten und Ängste spiegeln. Statt jedoch das wertvolle Instrument der Interpunktion zu verteufeln, sollte man es als Bereicherung begreifen und die Debatte um maschinengestützte Texte differenziert führen, mit einem Verständnis für die Nuancen von Sprache, Stil und kreativem Ausdruck.
Nur so können wir in einer zunehmend digitalisierten Welt die Vielfalt und Qualität des geschriebenen Wortes bewahren und fördern.