Die Strategie der alliierten Luftstreitkräfte, sich während des Zweiten Weltkriegs gezielt auf die deutsche Ölindustrie zu konzentrieren, stellt eine der entscheidendsten Aktionen dar, die wesentlich zum Niedergang des nationalsozialistischen Regimes beitrugen. Im Gegensatz zu anderen Bombardierungsmassnahmen, die häufig zivilen Schaden verursachten oder auf weit gestreute Industriestandorte zielten, fokussierte sich die sogenannte „Strategische Öl-Bombardierungskampagne“ auf wenige, jedoch äußerst empfindliche Ziele – die petrochemischen Anlagen, welche die Kriegsmaschinerie Deutschlands am Laufen hielten. Die Konzentration auf diese Schlüsselindustrie verdeutlichte die Erkenntnis der Alliierten, dass die Schwächung der Treibstoffversorgung unmittelbar zum Zusammenbruch sämtlicher militärischer Operationen führen würde. Die deutsche Kriegsführung war stark abhängig von synthetischen Kraftstoffen, die aus Kohle gewonnen wurden. Aufgrund des Mangels an natürlichen Erdölvorkommen innerhalb Deutschlands war die sogenannte Kohleverflüssigung, insbesondere Wasserstoffierungsanlagen, der Dreh- und Angelpunkt für die Herstellung von Flugbenzin, Dieselkraftstoff sowie Schmierölen.
Diese Anlagen befanden sich – aufgrund der Notwendigkeit der Nähe zu Kohlereserven – in überschaubarer Anzahl und konzentrierten sich auf wenige geographische Knotenpunkte. Diese relative Konzentration machte die Ölindustrie trotz des hohen Schutzaufwands durch die Wehrmacht für alliierte Bomberflugzeuge zu einem lohnenden, wenn auch gefährlichen Ziel. Das Offensivprogramm begann im Frühjahr 1944 und erreichte im November desselben Jahres seinen Höhepunkt. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es bewusst zivile Opferzahlen reduzierte und sich stattdessen auf die schwächsten industriellen Glieder konzentrierte. Im Unterschied zu den großflächigen Bombardierungen von Städten wie Dresden, war die strategische Öl-Kampagne präziser und vor allem auf maximale Wirkung bei minimalem Streuverlust ausgelegt.
Die Folge war eine dramatische Verknappung des Kraftstoffs, die zu erheblichen Einschränkungen der deutschen Luftwaffe und Panzertruppen führte. Die Planung dieser Kampagne erforderte eine sorgfältige Priorisierung potentieller Ziele. Neben Öl spielten viele andere Faktoren eine Rolle, etwa die Stromversorgung, Lebensmittelproduktion, Transportwege und die industriellen Fertigungskapazitäten. Strom verteilte sich über zahlreiche, unabhängige Anlagen, die schwer und kostenintensiv vollständig auszuschalten waren. Lebensmittelanlagen störten zwar die Versorgung, konnten aber nicht in dem Maße zerstört werden, dass sie unmittelbar die Kriegsfähigkeit beeinträchtigten.
Transportsysteme wiederum bedurften vollständiger Luftüberlegenheit, um effektiv angegriffen zu werden, da Straßen und Schienennetze weitverzweigt waren. Die Ölindustrie jedoch bildete den „Nerv“ der deutschen Kriegswirtschaft, da ohne Treibstoff weder Fahrzeuge, Panzer noch Flugzeuge effektiv eingesetzt werden konnten. Die alliierten Geheimdienste profitierten von umfassenden Informationen über die deutsche Treibstoffinfrastruktur. Diese Kenntnisse basierten auf einer Vielzahl von Quellen, darunter vormals verbündete Unternehmensbeziehungen in der Vorkriegszeit, Spionage und umfangreiche Auswertungen von Aufklärungsflügen. Besonders überraschend ist, dass einige britische und amerikanische Firmen vor Kriegsausbruch am Aufbau deutscher Anlagen beteiligt waren – ein Umstand, der der militärischen Nachkriegsaufklärung zugutekam.
Ein Wendepunkt innerhalb der Luftkriegsstrategie ergab sich zudem durch die Einführung fortschrittlicher Begleitjäger wie der P-51 Mustang. Diese Maschinen boten im Vergleich zu ihren Vorgängerjägern deutlich bessere Reichweiten und Kampffähigkeiten, was die Effektivität der Bomberverbände schützte und die Überlebensrate der Angriffsflüge gegen stark verteidigte Anlagen erheblich steigerten. Die taktische Neuausrichtung, bei der Begleitjäger über den Bombern flogen und feindliche Abfangjäger aggressiv angriffen, erlaubte es den Alliierten, die Luftüberlegenheit allmählich endgültig zu gewinnen. Trotz der enormen Anstrengungen war das vollständige Zerstören der Ölindustrie keineswegs einfach. Oft konnten deutsche Reparaturteams beschädigte Anlagen schnell instand setzen, wodurch die Produktion zügig wieder aufgenommen wurde.
Hier bewährte sich die Strategie der wiederholten Bombardierung: Mehrere Angriffe in schneller Folge zehnfachten den Schaden und erschwerten oder verhinderten die Wiederaufnahme der Produktion. Besonders kritische Einrichtungen wie Hochdruckpumpenanlagen waren Schlüsselziele, da deren Beschädigung eine sofortige und oft dauerhafte Produktionsunterbrechung verursachte. Die Auswirkungen auf das deutsche Militär waren gravierend und vielschichtig. Die drastischen Treibstoffengpässe führten zu einer Einschränkung des Pilotentrainings, was nicht nur in einer sinkenden Qualität neuer Piloten resultierte, sondern auch in einer verminderten Einsatzfähigkeit der Luftwaffe insgesamt. Eine schlechte Treibstoffqualität beeinträchtigte zusätzlich die Betriebssicherheit und Leistungsfähigkeit moderner Flugzeugmotoren, was besonders die neu entwickelten, jedoch noch experimentellen Strahljäger betraf.
Die Logistik litt ebenso unter Treibstoffmangel, was die Mobilität von Panzereinheiten und die Versorgung an der Front stark einschränkte. Interessanterweise versäumten es die Alliierten, bestimmte Produktionseinrichtungen im Zusammenhang mit der Herstellung von hochoktanigem Flugbenzin vollständig zu zerstören. Dies betraf insbesondere Anlagen für Tetraethylblei und Ethylendibromid, die als Additive für Flugzeugbenzin essentiell waren. Die Gründe hierfür sind bis heute nicht vollständig geklärt. Hinweise deuten auf wirtschaftliche und politische Interessen sowie die Rolle pharmazeutisch-industrieller Komplexe hin, deren Enge Verflechtung mit Geheimdiensten eine mehrfache Nutzung von Insiderwissen ermöglichte.
Nichtsdestotrotz blieb der Gesamteffekt verheerend für die deutsche Kriegsproduktion. Die Aussage deutscher Zeitzeugen bestätigt den Stellenwert der Ölproduktion im nationalsozialistischen Kriegsapparat. Albert Speer, der Rüstungsminister, betonte in einer Führerkonferenz im Juni 1944 die unersetzliche Rolle der Wasserstoffierungsanlagen und verdeutlichte damit, dass ihre Vernichtung de facto das Kriegsende bedeuten würde. Auch der Kommandant der deutschen Marine, Karl Dönitz, hielt die Beeinträchtigung der Treibstoffversorgung für den Hauptgrund für die massive Schwächung der Seekriegsführung. Insgesamt beeinträchtigte die Öl-Bombardierungskampagne die deutsche Wirtschaft auf vielfältige Weise.
Die Produktion von Düngemitteln und Sprengstoffen sank aufgrund der Knappheit an Ammoniak und Stickstoff erheblich. Eng verbunden mit der Ölindustrie war also nicht nur die Treibstoffversorgung, sondern auch die Produktionsbasis für Munition und Nahrungsmittel, was den deutschen Kriegswillen und die Kampffähigkeit nachhaltig schwächte. Trotz all dieser Erfolge war die Kampagne nicht ohne Schwächen. Ein großer Fehler war es, die Bombardierungen vor D-Day auszusetzen und erst danach wieder intensiv fortzuführen. Ebenso blieb die Vernichtung der erwähnten Additivanlagen aus, wodurch Deutschland zwei Produktionslinien verteidigen konnte.
Die Hauptursache für die Fähigkeit, die Ölversorgung so lange aufrechtzuerhalten, lag in der deutschen Fähigkeit zur Reparatur und Umleitung von Produktionskapazitäten, sowie in der Verteidigung der Anlagen durch Flugabwehr und Schutzmaßnahmen. Rückblickend lässt sich sagen, dass die strategische Fokussierung auf die Ölindustrie einen entscheidenden Faktor im alliierten Gesamtkonzept darstellte. Die Zerstörung dieser wenigen, aber essentiellen Anlagen führte dazu, dass trotz aller militärischen Stärke die deutsche Kriegsmaschinerie zum Stillstand kam. Die Kampagne legte den Grundstein für den schnellen Zusammenbruch der Wehrmacht nach der Landung in der Normandie und das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. Die Lehren aus dieser Kampagne sind zahlreich.
Sie verdeutlichen, wie wichtig präzise Zielwahl, hochwertige Geheimdienste und technische Innovationen im Luftkrieg sind. Gleichzeitig zeigen sie, dass militärische Ziele zunehmend in einem komplexen industriellen Netzwerk eingebettet sind und nur dann effektiv getroffen werden können, wenn dieses Netzwerk verstanden und konsequent angegriffen wird. Die strategische Öl-Bombardierungskampagne gilt daher heute als Paradebeispiel für moderne Luftkriegsführung und strategische Planung, deren Prinzipien die heutigen militärischen Doktrinen maßgeblich beeinflusst haben.