Der Mai gilt seit Langem als Wendemonat an den Aktienmärkten. Die bekannte Börsenregel 'Sell in May and go away' basiert auf der historischen Beobachtung, dass die Aktienmärkte in den Sommermonaten tendenziell schwächeln. Doch wie aussagekräftig ist diese Regel im Jahr 2025? Aktuelle Entwicklungen und geopolitische Dynamiken stellen Investoren vor neue Herausforderungen und Chancen, die ein bloßes Festhalten an alten Faustregeln infrage stellen. Der Aktienmarkt in den USA und weltweit zeigt zu Beginn des Monats Mai eine überraschende Stärke, die viele Marktbeobachter verwundert. Ein wesentlicher Grund dafür ist die sich abzeichnende Entspannung im Handelskrieg zwischen den USA und China, die Hoffnung auf eine Reduzierung der Spannungen im Welthandel weckt.
Diese Aussicht hat eine Erleichterungsrally an den Börsen ausgelöst, die vor allem technologieorientierte Unternehmen begünstigt. Das Plus einiger Technologieriesen wie Microsoft und Meta zeigt, dass die Investoren trotz einiger Unsicherheiten weiterhin Vertrauen in die Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit der Branche setzen. Dennoch zeigt das Bild innerhalb der Big-Tech-Sparte auch Divergenzen: Apple musste enttäuschen und gab an, dass die Verlagerung der Lieferketten die Kosten in diesem Quartal erheblich belasten wird, was dem Aktienkurs entsprechend zusetzte. Ebenso dämpften schwächere Cloud-Geschäftszahlen und vorsichtige Prognosen bei Amazon die Anlegerstimmung. Die aktuellen Daten zu Arbeitsmarkt und Produktion fügen eine weitere Facette hinzu.
Der April-Bericht zur Beschäftigung wird als entscheidendes Element für die Einschätzung der Nachhaltigkeit des jüngsten Kursanstiegs angesehen. Rückläufige Arbeitslosenzahlen konnten keinen eindeutigen Aufwärtstrend in der Wirtschaftsentwicklung signalisieren, da saisonale Effekte und uneinheitliche Unternehmenszahlen stark gegeneinander abwogen. Die jüngste Erhebung des ISM zur Fertigungsindustrie dokumentiert weiterhin eine Schrumpfung in diesem Bereich, wenn auch weniger stark als ursprünglich erwartet. Diese Ergebnisse spiegeln ein wirtschaftliches Umfeld wider, das von Unsicherheiten geprägt ist und in dem positive Entwicklungen oft als „könnte schlimmer sein“ interpretiert werden müssen, anstatt von klaren Wachstumsimpulsen zu sprechen. Neben den Wirtschaftsindikatoren spielen auch handelspolitische Maßnahmen eine gewichtige Rolle für die Marktdynamik.
Die Ankündigung der US-Regierung, die zollfreie Einfuhr kleinerer Warensendungen aus China und Hongkong zu beenden, schafft neue Herausforderungen für E-Commerce-Unternehmen und Handelsplattformen. Diese Änderung wirkt sich auf Unternehmen wie Shein oder Temu aus und könnte mittelfristig zu einer Verteuerung und damit zu Nachfragerückgängen führen. Gleichzeitig trägt die öffentliche Debatte über die Zuverlässigkeit der auf den US-Entity-List stehenden chinesischen und Hongkonger Firmen zur Unsicherheit beiderseits des Pazifik bei. Eine beträchtliche Anzahl dieser Unternehmen weist falsche oder veraltete Informationen auf, was regulatorische Komplikationen und Misstrauen fördert. Insbesondere in Zeiten politischer Spannungen wird die Sorge vor wirtschaftlichen Eskalationen nicht kleiner.
Hinzu kommen weitere geopolitische Faktoren wie die Taiwan-Frage oder unterschiedliche Positionen zu Energiepolitik und globalen Klimazielen, die auf die Märkte als Ganzes abstrahlen. Auch die Rolle der großen Auslandsgläubiger, allen voran Japan, darf in der Betrachtung nicht unterschätzt werden. Japans Überlegungen, seine massiven US-Staatsanleihebestände als Verhandlungsmasse im Handelsstreit zu nutzen, zeigen eindrücklich, wie internationale Kapitalflüsse und geopolitische Interessen ineinandergreifen. Aus Sicht eines Anlegers bedeutet all dies ein Umfeld, in dem die alte Börsenweisheit vom Mai nicht mehr uneingeschränkt gilt. Die Marktteilnehmer sollten das Situationsbild genau analysieren und nicht allein auf saisonale Effekte vertrauen.
Die gemeldeten Quartalsergebnisse großer Unternehmen, die politischen Rahmenbedingungen sowie makroökonomische Daten sind entscheidende Indikatoren, um die weitere Marktentwicklung abzuschätzen. Langfristig orientierte Investoren könnten in der gegenwärtigen Phase Chancen sehen, attraktive Einstiege zu finden, vor allem wenn sich die Handelsgespräche weiter beruhigen und technologische Innovationen Fortschritte machen. Andererseits bleibt die Volatilität hoch, da unvorhersehbare politische Entscheidungen oder enttäuschende Konjunkturdaten jederzeit zu Rückschlägen führen können. Insgesamt ist der Mai 2025 ein Monat, der eindrucksvoll zeigt, wie komplex die Beziehung zwischen Politik, Wirtschaft und Märkten geworden ist. Traditionelle Börsenregeln haben zwar weiterhin ihre Bedeutung, müssen aber immer im Kontext aktueller Entwicklungen bewertet werden.
Ein aktives Risikomanagement gepaart mit genauer Marktbeobachtung ist für Investoren unerlässlich. Die Nähe zur NATO und EU, der anhaltende Konkurrenzkampf der Weltmächte sowie die Innovationskraft der Wirtschaft sind Schlüsselfaktoren, die die Börsenkurse auch in den kommenden Wochen bestimmen werden. Wer als Anleger flexibel bleibt und fundiert informiert agiert, hat gute Chancen, den Höhen und Tiefen der Handelssaison gewinnbringend zu begegnen.