In der heutigen schnelllebigen und technologisch komplexen Welt sehen sich Unternehmen bei der Entwicklung innovativer Produkte oftmals mit tiefgreifenden Herausforderungen konfrontiert. Besonders in spezialisierten Marktsegmenten, in denen technische Details und fachspezifisches Wissen essenziell sind, zeigt sich, dass klassisches Produktmanagement an seine Grenzen stößt. Für eine erfolgreiche Produktentwicklung reicht es nicht mehr aus, nur entweder fachliche Expertise oder Managementkompetenz zu besitzen. Die Antwort auf diese Herausforderung kann in einem Co-Leadership-Modell liegen – einem kollaborativen Führungsansatz, bei dem ein erfahrener Produktmanager und ein fachlich versierter Experte gemeinsam die Leitung übernehmen. Dieses Zusammenspiel bringt zahlreiche Vorteile mit sich, ist jedoch auch mit gewissen Voraussetzungen und Herausforderungen verbunden.
Das grundlegende Problem liegt in der Diskrepanz zwischen tiefgreifendem Domänenwissen und der Anwendung moderner Produktentwicklungsprozesse. Experten, die über umfassendes technisches Wissen und ein tiefes Verständnis der Zielgruppen verfügen, bringen wertvolle Einblicke in die Produktgestaltung ein. Gleichzeitig fehlt ihnen oft die Erfahrung mit etablierten Produktmanagement-Methoden, wie etwa agilen Arbeitsweisen, Nutzerforschung oder datengetriebenen Entscheidungen. Andererseits verfügen Product Owner oder Produktmanager über ein breites Wissen zu Entwicklungsframeworks, Markteinführungsstrategien und Kundenfeedback-Integration, benötigen aber in komplexen technischen Feldern meist viel Zeit, um Fachwissen zu erwerben. Das Zusammenspiel dieser beiden Kompetenzbereiche ist selten in einer Person vereint.
Die Suche nach geeigneten Talenten, die sowohl in der technischen Tiefe als auch im Produktmanagement gleichermaßen versiert sind, gestaltet sich schwierig. Hinzu kommt, dass selbst langjährig erfahrene Produktmanager in hochspezialisierten Branchen oft nicht alle branchenspezifischen Nuancen und Wettbewerbsdynamiken vollständig erfassen können. Aus diesem Grund hat sich die Co-Leadership als pragmatischer Ansatz etabliert, der Synergien zwischen Experten und Produktmanagern schafft. In der Praxis bedeutet Co-Leadership, dass zwei Führungspersönlichkeiten mit unterschiedlichen Stärken gemeinsame Verantwortung tragen. Der Produktmanager übernimmt in der Regel die Leitung des Entwicklungsprozesses, steuert agile Abläufe, definiert MVPs und sorgt für die Einbindung von Kundennutzen in die Produktentwicklung.
Parallel konzentriert sich der Subject Matter Expert auf technische Entscheidungen, die Strategie für das jeweilige Fachgebiet und bringt umfassendes Wissen zu Zielgruppen mit ein. Diese Arbeitsteilung ermöglicht, dass beide Seiten ihre Kompetenzen voll ausschöpfen, während sie sich gegenseitig ergänzen und von den Perspektiven des jeweils anderen profitieren. Die Vorteile dieses Modells sind vielschichtig. Zunächst führt die enge Zusammenarbeit zu einer besseren Entscheidungsfindung. Wenn unterschiedliche Blickwinkel – technischer und methodischer Art – regelmäßig aktiviert und integriert werden, entstehen innovativere und zugleich praxisnahe Lösungen.
Die Risiken von Fehlentscheidungen, etwa aufgrund unzureichender Marktkenntnisse oder technischer Unzulänglichkeiten, werden minimiert. Darüber hinaus fördert Co-Leadership das gegenseitige Lernen: Produktmanager erweitern ihr technisches Verständnis, während Fachexperten ihre Fähigkeiten im Bereich von Nutzerorientierung und agilen Prozessen ausbauen. Ein weiterer wichtiger Aspekt liegt in der Steigerung der Glaubwürdigkeit innerhalb des Teams und gegenüber Stakeholdern. Die beteiligten Fachkräfte respektieren häufig den technischen Experten als Autorität, während andere Bereiche und Entscheidungsträger auf die Kompetenz des Produktmanagers vertrauen. Wenn beide Rollen authentisch ausgefüllt werden und eine klare Kommunikation stattfindet, kann dies Spannungen reduzieren und fördert eine harmonische Zusammenarbeit.
Natürlich birgt das Co-Leadership-Modell auch Herausforderungen. Es setzt eine hohe Vertrauensbasis und klare Abgrenzung der Zuständigkeiten voraus. Konflikte können entstehen, wenn beide Führungskräfte ihre Rollen nicht ausreichend definieren oder wenn ein zu großes Überschneidungsfeld an Verantwortlichkeiten vorliegt. Auch die Gefahr von Machtkämpfen ist präsent, vor allem wenn es an gegenseitigem Respekt oder der Bereitschaft zu Kompromissen mangelt. Eine offene Feedbackkultur und regelmäßiger Austausch sind daher essenziell, um eine kontinuierliche Abstimmung zu gewährleisten und gemeinsame Ziele im Fokus zu behalten.
Darüber hinaus ist das Co-Leadership nicht für alle Produkte gleichermaßen geeignet. In weniger komplexen Projekten oder solchen, die sich in der Endphase ihres Lebenszyklus befinden, kann unter Umständen ein einzelner Produktverantwortlicher ausreichend sein, ohne dass die Doppelspitze zu großer Abstimmungsaufwände führt. Deswegen ist die Entscheidung für oder gegen ein Co-Leadership-Modell immer im Kontext des Produkts, des Unternehmens und der Zielmärkte zu treffen. Ein praxisnahes Beispiel hierfür findet sich in der Automobilindustrie, in der Fahrzeugentwicklungen oft hunderte bis tausende Mitarbeiter umfassen. Dort arbeiten verschiedene Sub-Projektleiter für Bereiche wie Technik, Einkauf oder Fertigung eng zusammen.
Diese Struktur ähnelt einem Co-Leadership auf mehreren Ebenen, bei der Fachexperten für spezifische Einheiten mit Projektmanagern kooperieren, um den Gesamtprozess effizient und zielgerichtet zu gestalten. Für Unternehmen, die Co-Leadership in der Produktentwicklung einführen möchten, ist eine sorgfältige Vorbereitung empfehlenswert. Voraussetzungen für den Erfolg sind unter anderem die Auswahl der passenden Partner mit komplementären Fähigkeiten, die Etablierung klarer Kommunikations- und Entscheidungswege sowie die Förderung einer Kultur des gegenseitigen Respekts und der Offenheit. Führungskräfte sollten gezielt in ihrer Zusammenarbeit geschult werden, um Rollenklärung und Konfliktmanagement zu stärken. Zudem empfiehlt sich der Einsatz unterstützender Tools und Prozesse, die gemeinsame Planung und Transparenz fördern.
Agile Praktiken wie regelmäßige Synchronisationen, gemeinsame Backlog-Pflege oder retrospektive Meetings können dazu beitragen, dass beide Führungspersönlichkeiten stets auf demselben Stand bleiben und Entscheidungen kontinuierlich validiert werden. Durch eine strukturierte Dokumentation und ein abgestimmtes Reporting wird auch das gesamte Produktteam eingebunden und die Akzeptanz des Modells erhöht. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die Bereitschaft aller Beteiligten, sich auf die Besonderheiten des Co-Leadership einzulassen. Führung auf Augenhöhe bedeutet auch, das eigene Ego zurückzustellen und nicht in einer Konkurrenzsituation zu verharren. Stattdessen entsteht eine Partnerschaft, die vom Vertrauen, Respekt und einer gemeinsam getragenen Vision für das Produkt geprägt ist.