Turbulenz zählt zu den komplexesten und faszinierendsten Phänomenen in der Physik und Mathematik zugleich. Seit Jahrhunderten beschäftigen sich Wissenschaftler mit den scheinbar chaotischen Bewegungen von Flüssigkeiten und Gasen, von Luftströmen bis hin zu Wasserfällen. Obwohl die Bewegung von idealen, glatten Flüssigkeiten gut durch die klassischen Gleichungen beschrieben werden kann, stößt man bei turbulenten Strömungen an fundamentale Grenzen des mathematischen Verständnisses. Die verästelten Wirbel, sogenannten Eddys, die sich auf immer kleineren Skalen ausbilden und ineinander verwoben sind, machen es extrem schwierig vorherzusagen, wie sich einzelne Partikel oder Objekte innerhalb des Fließmediums bewegen werden. Vor kurzem ist es einem internationalen Team von Mathematikern gelungen, einen entscheidenden Durchbruch im Verständnis dieser Phänomene zu erzielen: Sie haben erstmals einen rigorosen Beweis für das Phänomen der Superdiffusion in einem vereinfachten Modell turbulenter Flüssigkeiten erbracht.
Dieser Beweis öffnet die Tür zu einem besseren mathematischen Verständnis der Turbulenz und ihrer weitreichenden Anwendungen in Natur- und Ingenieurwissenschaften. Das Konzept der Turbulenz ist historisch eng mit dem Physiker Lewis Fry Richardson verbunden, der Anfang des 20. Jahrhunderts die Bewegungen von Objekten in turbulenten Atmosphären untersuchte, unter anderem anhand von Ballonrennen. Richardson beobachtete, dass Partikel, die in einer turbulenten Strömung „freigesetzt“ werden, sich nicht einfach zufällig ausbreiten, sondern eine beschleunigte, überdurchschnittlich schnelle Streuung beschreiben, das sogenannte Superdiffusionsverhalten. Diese Vorstellung war zwar physikalisch plausibel und wurde in der Folge von Physikern durch intelligente, jedoch mathematisch nicht strikt bewiesene Methoden wie der Renormierung gestützt, eine rigorose mathematische Bestätigung fehlte jedoch bisher.
Insbesondere verhinderte die extreme Komplexität und das hohe Maß an Unordnung in turbulenten Medien die Anwendung klassischer mathematischer Werkzeuge wie der Homogenisierung. Homogenisierung ist eine mächtige Methode in der Mathematik, die es erlaubt, Systeme mit vielen kleinen, zufälligen Unregelmäßigkeiten auf kleinen Skalen zu analysieren und daraus ein vereinfachtes Verhalten auf größeren Skalen herzuleiten. Bisher war die Methode jedoch nur anwendbar, wenn die kleinen Störungen innerhalb enger Grenzen blieben – was bei der echten Turbulenz nicht der Fall ist. Die Herausforderung bestand darin, die Homogenisierungsmethode so zu erweitern, dass sie auch in stark verrauschten, turbulenten Umgebungen gilt, in denen Wirbel und Strudel verschiedenster Größenordnungen vernetzt sind und sich gegenseitig beeinflussen. Das Forscherteam bestehend aus Scott Armstrong, Tuomo Kuusi und Ahmed Bou-Rabee machte sich daran, dieses Problem in Angriff zu nehmen.
Dabei verfolgten sie einen innovativen Ansatz. Indem sie die turbulente Flüssigkeit mit einem immer gröberen Gitter überlagerten, konnten sie die Aufenthaltszeiten von Partikeln in einzelnen Gitterfeldern analysieren und feststellen, wie unterschiedlich diese Werte auf benachbarten Feldern ausfielen. Über viele Iterationen hinweg gelang es ihnen, nachzuweisen, dass auf zunehmend größeren Skalen die Unterschiede in den Partikeleigenschaften abnahmen und das System sich sozusagen „glättete“. Dieses Induktionsverfahren bestand darin, die Komplexität und Unordnung Schritt für Schritt zu ordnen und somit eine Grundlage für den Methodenbogen der Homogenisierung zu schaffen, wo zuvor nur chaotisches Verhalten vermutet wurde. Der enorme mathematische Aufwand und die Komplexität ihrer Arbeit zeigen sich auch in dem Umfang der veröffentlichten Arbeiten: Über 300 Seiten an Beweisen und Berechnungen sowie hartnäckige, monatelange Forschungsarbeit, die von einer starken Teamdynamik und Disziplin geprägt war.
Dieser rigorose Beweis schuf somit die ersehnten Verbindungen zwischen den physikalischen Annahmen aus der Physik und den strengen Anforderungen der Mathematik und half dabei, das lange erwartete Superdiffusionsphänomen erstmals eindeutig zu belegen. Warum aber ist diese mathematische Entdeckung so bedeutsam? Zum einen stellt die Turbulenz einen der größten ungelösten Bereiche nicht nur der klassischen Physik, sondern auch der angewandten Mathematik dar. Die zugrundeliegenden Navier-Stokes-Gleichungen, die bei der Beschreibung von Fluiden essenziell sind, können theoretisch turbulente Zustände beschreiben, allerdings fehlt bis heute ein Gesamtbild von deren Verhalten bei Turbulenz. Die Fähigkeit, Superdiffusion nachweisen zu können, erlaubt es nun, zumindest innerhalb vereinfachter Modelle Aussagen zu treffen, die nahe an die Realität heranreichen. Zum anderen hat das Konzept Auswirkungen auf viele reale Anwendungen: In der Meteorologie, der Ozeanographie, der Umwelttechnik oder der Ingenieurwissenschaft ist die präzise Vorhersage von Transportprozessen in turbulenten Medien zentral.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Verbindung zwischen der mathematischen Theorie und den physikalischen Konzepten der Renormierung. Diese Methode, die vor allem in der Teilchenphysik angewandt wird, war wegen ihrer nicht-rigorosen Natur lange Zeit umstritten. Durch den neuen Beweis ist es nun möglich, Renormierungstechniken mit mathematischer Strenge zu verbinden und so eine neue Brücke zwischen abstrakter Mathematik und angewandter Physik zu bauen. Dies könnte nicht nur das Verständnis turbulenter Strömungen revolutionieren, sondern auch in anderen Disziplinen, die komplizierte multiskalige Phänomene aufweisen, Anwendung finden. Aus Sicht der beteiligten Wissenschaftler und Mathematiker ist das Ergebnis mehr als ein Einzelfall.
Die neuen Methoden könnten potenziell auf einer Vielzahl von Gebieten Anwendung finden, die mit stark vernetzten, stochastischen oder chaotischen Prozessen zu tun haben. Gerade die Idee, lokale Unordnung Schritt für Schritt zu ordnen und anhand von zunehmend größeren Skalen zu analysieren, ist ein vielversprechender Ansatz für die Zukunft. Dies betrifft neben Fluiddynamik und Teilchenphysik auch Bereiche wie Materialwissenschaft oder Biologie, wo komplexe dynamische Systeme ebenfalls von multiskaligen Wechselwirkungen geprägt sind. Zudem unterstreicht der Durchbruch das Zusammenspiel von theoretischer Mathematik, physikalischer Intuition und moderner Computermethoden. Während physikalische Modellexperimente und Simulationen seit Jahrzehnten Informationen über turbulente Strömungen liefern, fehlte es oft an mathematischer Fundierung.