Die Kernenergie gilt seit Jahrzehnten als eine der zuverlässigsten und emissionsarmen Energiequellen, die maßgeblich zur Versorgungssicherheit und zum Klimaschutz beitragen kann. Dennoch befindet sich die Atomkraft in den Vereinigten Staaten in einer schwierigen Phase. Strenge Sicherheitsstandards, die auf jahrzehntelanger Forschung und Vorsorge basieren, gelten als großes Hindernis für den Ausbau neuer Reaktoren. Die Trump-Administration hat nun mit einer Reihe von Präsidialverordnungen eine kontroverse Neuausrichtung der Strahlenschutzvorschriften eingeleitet, die weitreichende Auswirkungen auf die Zukunft der Kernenergie haben könnten. Diese Maßnahmen entfachen nicht nur eine intensive Debatte über die Wissenschaft hinter der Strahlenexposition, sondern werfen auch grundlegende Fragen zum Verhältnis zwischen wirtschaftlichen Interessen und Gesundheitsschutz auf.
Seit dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere nach den Atomkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima sind die Risiken ionisierender Strahlung genauestens untersucht und gesetzlich stark reguliert. Die geltenden Sicherheitsmodelle basieren auf dem sogenannten Linear Non-Threshold-Modell (LNT), das davon ausgeht, dass jede, auch kleinste Strahlendosis ein potenzielles Krebsrisiko birgt. Demnach gibt es keine unbedenkliche Mindestexposition, weshalb alle Strahlenbelastungen so gering wie möglich gehalten werden müssen. Diese Vorsorgephilosophie hat die Arbeit der amerikanischen Nuclear Regulatory Commission (NRC) seit ihrer Gründung im Jahr 1975 maßgeblich geprägt. Mit der Folge, dass die Zulassung neuer Reaktoren äußerst strikt und langwierig verläuft.
Seit den 1970er-Jahren wurden in den USA lediglich fünf neue Anlagen genehmigt, von denen nur zwei tatsächlich gebaut wurden. Die Zahl der aktiven Kernkraftwerke ist heute auf 94 Reaktoren zurückgegangen, die rund 19 Prozent der landesweiten Stromversorgung abdecken. Das Weiße Haus hebt in seinen jüngsten Erlassen hervor, dass die bisherigen Modelle und Regelungen unverhältnismäßig streng seien und unnötig hohe Kosten verursachten. So müssten Kernkraftwerke Sicherheitsmaßnahmen gegen Strahlung ergreifen, die unter den natürlich vorkommenden Hintergrundwerten lägen. Diese Übervorsicht, argumentieren Befürworter, verhindere Investitionen und Innovationen, die für den Ausbau der Kernenergie unverzichtbar seien – insbesondere im Kontext steigender Stromnachfrage, etwa durch den exponentiellen Ausbau von Rechenzentren zur Unterstützung von Künstlicher Intelligenz.
Kritiker warnen indes davor, dass eine Lockerung der Strahlenschutzstandards die Gesundheit der Bevölkerung aufs Spiel setzen könnte. Während die Befürworter auf alternative wissenschaftliche Studien verweisen, die individuelle positive Effekte geringer Strahlendosen vermuten (Hormese-Effekt), sind viele Experten skeptisch und verweisen auf die Unsicherheiten und das Fehlen belastbarer Belege. Die Angst vor langfristigen krebserzeugenden Auswirkungen bleibt virulent. Die Nuclear Regulatory Commission hatte bereits 2021 Petitionen, die eine Aufweichung der Grenzwerte forderten, abgelehnt. Es fehle an überzeugenden wissenschaftlichen Daten, die eine Abkehr vom LNT-Modell rechtfertigten.
Mit dem neuen politischen Kurs fordert Präsident Trump jedoch eine kritische Neubewertung der Strahlungsrisiken innerhalb von 18 Monaten, die auch eine Veränderung des bisher gültigen Grundsatzes "as low as reasonably achievable" vorsehen soll. Umfassende Zusammenarbeit zwischen NRC, Umweltbehörde EPA und den Ministerien für Energie sowie Verteidigung wird angeordnet, um eine neue wissenschaftliche Basis für künftige Grenzwerte zu schaffen. Die geplanten Änderungen werden voraussichtlich über ein formelles Anhörungsverfahren zur öffentlichen Beteiligung laufen und könnten auf vielfältigen juristischen Widerstand stoßen, unter anderem wegen der Verpflichtung, Risiken für Leben und Eigentum zu minimieren, die im Atomic Energy Act von 1954 festgeschrieben ist. Die Reaktionen auf die Ankündigung sind vielfältig. Vertreter der Kernenergieindustrie begrüßen die Initiative als notwendigen Schritt, um die USA als weltweite Führungsmacht im Nuklearsektor zu positionieren.
Uranförderunternehmen hoffen auf gestiegene Produktion undInvestitionen, während einige Experten den Wandel als Chance für mehr Innovationsfreude und Risikobereitschaft interpretieren. Andererseits schließen sich Wissenschaftler und Gesundheitsforscher zusammen, die vor einem potenziellen Verfall der Sicherheitsstandards warnen und betonen, dass Gesundheitsschutz nicht wirtschaftlichen Interessen geopfert werden dürfe. Die Debatte zeigt exemplarisch, wie energiepolitische Ziele, wirtschaftliche Interessen und gesundheitliche Vorsorge miteinander in Konflikt geraten können. Die Kernenergie ist trotz aller Risiken ein wichtiger Baustein der zukünftigen Energieversorgung, besonders im Hinblick auf die Reduktion von Treibhausgasemissionen. Dennoch muss der Schutz von Mensch und Umwelt oberste Priorität behalten.
Ob und wie sich die neuen Strahlenschutzregeln durchsetzen lassen, wird nicht nur für die Zukunft der amerikanischen Atomindustrie entscheidend sein, sondern auch Modellcharakter für internationale Regelungen haben. Langfristig stehen die USA vor der Herausforderung, innovative Technologien schnell und sicher zu fördern, ohne die öffentlichen Gesundheitsrisiken zu vernachlässigen. Die Diskussion um die korrekte Dosierung und Gefährdung durch ionisierende Strahlung könnte künftig noch intensiver geführt werden – und bedarf einer fundierten, transparenten wissenschaftlichen Bewertung sowie eines gesellschaftlichen Konsenses. Wie sich die Balance zwischen Nuklearenergie-Ausbau und Strahlenschutz entwickeln wird, bleibt ein hochbrisantes Thema, das sowohl Fachkreise als auch die breite Öffentlichkeit beschäftigt.