Die Debatte um die effektivsten Mittel zur Verbesserung der psychischen Gesundheit und Suizidprävention ist aktuell wie nie zuvor. Während Antidepressiva seit Jahrzehnten als Standardbehandlung bei Depressionen etabliert sind, rücken zunehmend soziale und ökonomische Faktoren in den Fokus, die maßgeblichen Einfluss auf die mentale Gesundheit haben. Kann die Verteilung von kostenlosem Geld, beispielsweise in Form von bedingungslosen Geldzahlungen, mehr Leben retten als Antidepressiva? Diese Frage wirft tiefgreifende Erkenntnisse und neue Perspektiven auf den Zusammenhang zwischen Armut, sozialer Ungleichheit und psychischer Gesundheit auf.Daiane Borges Machado, Epidemiologin und Forschungsexpertin in den Bereichen mentale Gesundheit und Suizidprävention, deren Karriere von ihrer Herkunft in einem brasilianischen Stadtteil mit niedrigem Einkommen geprägt wurde, beschreibt eindrücklich, wie Lebensumstände bereits von Geburt an die Chancen und Risiken für psychische Erkrankungen mitbestimmen. Ihr Forschungsfokus liegt auf den sozialen Dimensionen von Suizid und Depression, insbesondere in Low- und Middle-Income Countries (LMICs), die deutlich überproportional von Suiziden betroffen sind.
Vor der Corona-Pandemie entfielen über 77 Prozent aller weltweiten Suizide auf diese Länder. Die pandemiebedingt verschärften sozialen, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Belastungen haben diese Situation nicht verbessert, sondern verschärft. Sozioökonomische Ungleichheiten, Armut, Unsicherheit und Perspektivlosigkeit sind Schlüsselfaktoren, die das Risiko für Depressionen und Suizid dramatisch erhöhen können. Psychopharmaka wie Antidepressiva wirken vor allem auf neurochemische Prozesse im Gehirn, doch sie adressieren nicht unmittelbar die Umwelt- und Lebensumstände, die die psychische Gesundheit mitbestimmen. In Ländern mit hoher Armut und sozialer Ungerechtigkeit haben viele Menschen weder Zugang zu ausreichenden medizinischen Ressourcen noch die Möglichkeit, ihre Grundbedürfnisse zu sichern.
Hier greifen Medikamente zu kurz, wenn psychische Belastungen durch existenzielle Sorgen entstehen.Bedingungslose Geldzahlungen, auch bekannt als Universal Basic Income (UBI) oder direkte Cash Transfers, stellen einen innovativen Ansatz dar, der genau diese strukturellen Faktoren direkt anspricht. Pilotprojekte in verschiedenen Teilen der Welt zeigen, dass Menschen, die regelmäßig eine direkte finanzielle Unterstützung erhalten, signifikante Verbesserungen in Lebensqualität, Stressreduktion und psychischer Gesundheit erfahren können. Das Prinzip dahinter ist einfach: Wenn existenzielle Ängste vor Nahrungsmangel, Wohnungslosigkeit und medizinischer Versorgung abgebaut werden, sinken automatisch die Belastungen, die eine Depression begünstigen.Ein Blick auf empirische Studien, etwa aus Afrika und Lateinamerika, zeigt, dass Cash Transfers nicht nur kurzfristig die wirtschaftliche Sicherheit erhöhen, sondern auch langfristig zur Stabilisierung der mentalen Gesundheit beitragen können.
Die Möglichkeit, selbstbestimmt über Geld verfügen zu können, stärkt das Gefühl von Autonomie und Kontrolle, was nachweislich depressive Symptome mindert. Im Gegensatz dazu wirken Antidepressiva meist nur symptomatisch und ohne Veränderung der zugrundeliegenden Umweltbedingungen.Auch in Industrieländern gewinnen Studien rund um das bedingungslose Grundeinkommen an Bedeutung. Experimente in Kanada, Finnland oder den USA legen nahe, dass regelmäßige Geldzahlungen Ängste verringern, soziale Isolation mildern und das Wohlbefinden steigern. Zudem gibt es Hinweise, dass Betroffene weniger sozialangstauslösend reagieren und ihre Lebenszufriedenheit merklich steigt.
Dabei wird immer wieder betont, dass Geld allein kein Allheilmittel ist, sondern Teil eines umfassenden Maßnahmenpakets zur Förderung psychischer Gesundheit sein muss.Die traditionelle Sichtweise von psychischen Erkrankungen als rein biologisch bedingte Störungen mit chemischen Ungleichgewichten im Gehirn wird durch diese Erkenntnisse zunehmend relativiert. Ein systemisches Verständnis von Depression und Suizid berücksichtigt neben neurobiologischen Ursachen auch soziale, wirtschaftliche und kulturelle Einflüsse. Der Zugang zu sicherem Einkommen und sozialer Unterstützung wirkt dabei lähmenden Angst- und Hoffnungslosigkeitsgefühlen entgegen, die ja oft im Zentrum der Depression stehen.Allerdings gibt es auch kritische Stimmen, die vor einem zu simplen Vergleich von Geldzahlungen und Medikamenten warnen.
Antidepressiva können für bestimmte Patientengruppen lebensrettend sein und Symptome wie lähmende Antriebslosigkeit oder schwere Angstzustände deutlich lindern. Zudem kann der Erfolg von finanziellen Transfers stark von der Höhe und Stabilität der Zahlungen sowie von der sozialen Infrastruktur des Landes abhängen.Die wirtschaftliche Dimension ist ebenfalls nicht zu vernachlässigen: Befürworter von kostenlosen Geldtransfers argumentieren, dass die Investition in die soziale Absicherung langfristig Kosten im Gesundheitswesen, durch vermiedene Krankenhausaufenthalte, Rehabilitation und Arbeitsausfälle, reduziert. Gesundheitspolitisch bedeuten solche Ansätze zudem, psychische Erkrankungen nicht länger als individuelles Versagen zu betrachten, sondern als gesellschaftliches Problem, das gezielte politische Maßnahmen erfordert.Zusammenfassend lässt sich sagen, dass kostenlose Geldzahlungen ein äußerst vielversprechender Hebel sind, um die Ursachen psychischer Erkrankungen an der Wurzel zu packen und potenziell mehr Leben zu retten als eine rein medikamentöse Behandlung.
Sie beseitigen zwar nicht alle psychischen Probleme, fördern aber die soziale Stabilität und mindern durch die Reduktion ökonomischer Belastungen viele Risikofaktoren, die Depression und Suizid begünstigen.Ein ganzheitlicher Ansatz zur Verbesserung der psychischen Gesundheit sollte daher sowohl pharmakologische als auch sozialstrukturelle Interventionen umfassen. Während Antidepressiva weiterhin eine wichtige Rolle in der individuellen Therapie spielen, ist der Ausbau sozialer Sicherungssysteme, die Einführung von bedingungslosem Grundeinkommen oder gezielten Cash-Transfer-Programmen unverzichtbar, wenn es darum geht, die öffentlichen Gesundheitsziele nachhaltig und auf breiterer gesellschaftlicher Ebene zu erreichen.Die Arbeit von Expertinnen wie Daiane Borges Machado lenkt den Blick darauf, dass unser Geburtsort, soziales Umfeld und wirtschaftliche Lage wesentlich mitbestimmen, wie gesund wir mental bleiben. Die Verbesserung psychischer Gesundheit erfordert somit neben medizinischem Fortschritt vor allem mehr soziale Gerechtigkeit und die Chance auf ein Leben ohne existenzielle Not.
Kostenlose Geldzahlungen könnten ein Schlüssel dazu sein, dass diese Chance künftig mehr Menschen zuteilwird – und damit auch mehr Leben gerettet werden.