Die Kommunikation zwischen Menschen und Tieren ist seit jeher ein faszinierendes und herausforderndes Forschungsfeld. Besonders Delfine gelten als äußerst intelligente Tiere mit komplexen Sozialstrukturen und ausgefeilter Lautsprache. Nun wurde ein bemerkenswerter Fortschritt bei der Entschlüsselung der Delfin-Kommunikation erreicht: Ein Forscherteam rund um die Meeresbiologin Laela Sayigh erhielt für ihre Arbeit den renommierten Coller-Dolittle Preis, der mit 100.000 US-Dollar dotiert ist. Dieser Preis wird an Teams verliehen, die durch innovative Ansätze den Dialog zwischen verschiedenen Spezies ermöglichen.
Die jüngsten Ergebnisse bieten nicht nur faszinierende Einblicke in die Sprache der Delfine, sondern eröffnen auch neue Perspektiven für die Entwicklung interspezifischer Kommunikationssysteme mit Tieren. Die Arbeit konzentrierte sich auf die sogenannten „non-signature whistles“, eine Kategorie von Delfinlauten, die bislang unzureichend verstanden war, obwohl sie etwa die Hälfte aller von den Tieren erzeugten Geräusche ausmacht. Im Gegensatz zu den individuellen „Signaturpfiffen“, die oft als Namensähnliche Identifikatoren fungieren, sind diese non-signature whistles offenbar gemeinschaftlich genutzt und enthalten unterschiedliche Botschaften, die jedoch bislang kaum erforscht waren. Das Team um Sayigh arbeitete eng mit der Sarasota Dolphin Research Program zusammen, einer Institution, die in den Gewässern um Sarasota, Florida, seit mehr als vier Jahrzehnten Delfine erforscht. Die Projektmitglieder kombinierten traditionelles Feldstudium mit modernster Technik, unter anderem mit Unterwasser-Mikrofonen, sogenannten Hydrofonen, und digitalen akustischen Tags, die den Delfinen mittels Saugnäpfen zeitweise angeheftet werden, um deren Gesänge und pfiffe präzise zu dokumentieren.
Darüber hinaus kamen Drohnen zum Einsatz, die den Forschern neue Perspektiven bei der Beobachtung und Analyse des Verhaltens der Delfine ermöglichten. Die bislang unveröffentlichten Studienergebnisse zeigen, dass die Forscher mindestens zwanzig verschiedene Typen von non-signature whistles identifiziert haben, von denen zwei Typen von mindestens 25 Individuen simultan verwendet wurden. Der Einsatz von vorspielen dieser Signale an Delfine zeigte, dass ein bestimmter Ruf eine Abwehrreaktion provozierte, was nahelegt, dass es sich um eine Art Alarmruf handeln könnte – ein Signal, das Gefahr ankündigt oder zur Vorsicht mahnt. Der andere Ruf rief eine Reihe unterschiedlicher Verhaltensweisen hervor, die auf Überraschung oder das Auftauchen von unerwarteten Ereignissen hinweisen könnten. Diese Entdeckung ist bedeutend, da sie erstmals funktionale Hinweise für bisher unbekannte kommunikative Signale der Delfine liefert.
Sie zeigt, dass Delfine nicht nur individuelle Namen nutzen, sondern eine ausgeprägte gemeinsame Lautsprache besitzen, mit differenzierten Bedeutungen, die soziale Interaktionen und das Gruppenverhalten steuern. Die Erforschung dieser Signale gilt als Meilenstein auf dem Weg zu einer tieferen Verständigung mit marinen Säugetieren. Die Jury des Coller-Dolittle Preises lobte insbesondere die umfassende Datensammlung der Forscher, die mit über 40 Jahren kontinuierlicher Beobachtung und Aufzeichnung eine herausragende Basis für maschinelles Lernen und detaillierte Analysen schafft. Die Anwendung moderner KI-Technologien bietet enorme Chancen, aus den gesammelten Daten die komplexen Muster und Bedeutungen herauszufiltern. So könnten künftig Algorithmen entwickelt werden, die es erlauben, mit Delfinen auf einer noch nie dagewesenen Ebene zu kommunizieren.
Jonathan Birch, ein Philosoph von der London School of Economics und Jurymitglied, betonte, dass es im Bereich der Tierkommunikation vor allem an großen, reichhaltigen Datensätzen mangele – ähnlich den umfangreichen Datenmengen, die beispielsweise zur Schulung von Sprachmodellen wie ChatGPT notwendig sind. Die langjährige Arbeit der Sarasota Dolphin Research Program schafft genau das Fundament, um in Zukunft tiefere Einblicke in die Sprache von Delfinen zu gewinnen und womöglich eine Brücke zwischen Mensch und Meeressäuger zu schlagen. Der Preis ist Teil eines größeren Forschungswettbewerbs, der auch eine Grand-Prix-Auszeichnung in Aussicht stellt. Dieses Hauptpreisgeld von bis zu zehn Millionen Dollar oder 500.000 Dollar Barprämie wird für die Entwicklung eines Algorithmus ausgelobt, der es einem Tier ermöglicht, völlig autonom und ohne bewusstes Erkennen des Kommunikationspartners mit Menschen zu interagieren.
Diese Vision, inspiriert von der Turing-Test-Philosophie für künstliche Intelligenz, markiert einen ambitionierten Schritt in Richtung echter bidirektionaler Verständigung zwischen Spezies. Der Einsatz von nicht-invasiven Technologien zur Erforschung der Delfinlaute zeigt auch den wachsenden Einfluss moderner Methoden in den Umweltwissenschaften. Von digitalen akustischen Geräten über Drohnen bis hin zu fortschrittlichen Algorithmen wird die Art und Weise, wie wir Tiere beobachten und verstehen, revolutioniert. Dabei bleibt ein sensibler Umgang mit den Tieren und deren Lebensräumen zentral, um Forscherethik und Artenschutz gleichermaßen gerecht zu werden. Die Ergebnisse der aktuellen Studie werfen spannende Fragen auf, etwa wie sich Kultur und Sprache bei Delfinen entwickeln oder wie sich lebenslange Lernprozesse in ihren Unterwasser-Gesellschaften manifestieren.
Die Sprache der Delfine könnte in vielerlei Hinsicht komplexer sein als lange angenommen – mit Kombinationen aus individuellen Signalen, Gruppenrufen und differenzierten Verhaltenshinweisen. Außerdem eröffnen diese Erkenntnisse praktische Anwendungen für den Schutz der Meeressäuger. Alarmrufe, die bestimmte Gefahren ankündigen, könnten das Monitoring von Delfinpopulationen verbessern und bei der Vermeidung von Bedrohungen wie Schiffsverkehr oder Umweltverschmutzung helfen. Eine tiefere Kenntnis der Delfinsprache unterstützt zudem Aufklärungsarbeit und fördert das öffentliche Bewusstsein für den Wert und die Intelligenz dieser Tiere. Für die Zukunft verspricht sich die Wissenschaft von der Verbindung aus Datenanalyse, Technik und intuitiver Feldforschung weitere Durchbrüche.