Die Videospielbranche durchlebt aktuell eine schwierige Phase. Nach Jahren des Wachstums und zunehmendem Bewusstsein für Barrierefreiheit scheint die Industrie nun einen Rückschlag hinzunehmen, der ausgeprägte Auswirkungen auf inklusive Spiele hat. Die Bemühungen, Games zugänglicher für Menschen mit Behinderungen zu machen, geraten ins Stocken – ein Umstand, der auf das schrumpfende Budget, Entlassungen und veränderte Prioritäten in der Branche zurückzuführen ist. Diese Entwicklungen setzen die ursprüngliche Hoffnung, Barrierefreiheit als festen Bestandteil der Spielekultur zu etablieren, ernsthaft aufs Spiel. Seit dem Jahr 2020 hatte das Thema enorm an Bedeutung gewonnen.
Mit dem Aufkommen großer und preisgekrönter Spiele, die vorbildliche Zugänglichkeitsfunktionen boten, wurde Barrierefreiheit nicht mehr als Randnotiz behandelt, sondern stand im Fokus der öffentlichen Diskussion. Titel wie The Last of Us Part II erhielten für ihr Engagement in diesem Bereich viel Aufmerksamkeit, was positive Impulse für weitere Projekte setzte. Doch rückblickend ist klar, dass diese Welle des Fortschritts nachhaltig aufrechterhalten werden muss, um bleibende Veränderungen zu erzielen. Die Pandemie und der damit verbundene Lockdown führten zu einer verstärkten Hinwendung zu Spielen, die barrierefreie Elemente hervorhoben. Ein Titel wie Animal Crossing: New Horizons wurde zu einem Symbol für die Zugänglichkeit in einer schwierigen Zeit, und die Hoffnung darauf war groß, dass diese Sensibilität dauerhaft bestehen bleibt.
Stattdessen erfolgte jedoch eine Rückkehr zu den Standards und Abläufen vor der Pandemie, die in puncto Barrierefreiheit häufig unzureichend waren. Auslöser für den Rückschritt sind vor allem wirtschaftliche Zwänge, die mit der allgemeinen Verlangsamung der Branche zusammenhängen. Viele Studios haben begonnen, ihre Budgets zu kürzen, was insbesondere spezialisierte Barrierefreiheits-Abteilungen und die dafür zuständigen Berater trifft. Häufig sind es genau diese wichtigen Rollen, die als erstes eingespart werden, wenn Kosten reduziert werden müssen. Dies führt nicht nur zum Verlust wertvoller Expertise, sondern auch zu einer Verlagerung hin zu konservativen Strategien, die auf Kostensenkung statt auf Innovation setzen.
In diesem Umfeld kämpfen Barrierefreiheitsberater nicht nur darum, neue Features durchzusetzen, sondern müssen oftmals schon etablierte Standards verteidigen. Die Erschöpfung in der Community wächst, da immer wieder die gleichen Themen diskutiert werden und wenig Fortschritt sichtbar ist. Zusätzlich erschwert wird die Situation dadurch, dass die mediale Aufmerksamkeit für das Thema spürbar nachlässt. Positive Berichterstattung hatte in der Vergangenheit eine wichtige Rolle gespielt, um das Bewusstsein bei Publishern und Entwicklern zu schärfen und Investitionen anzustoßen. Wenn solche Erfolgsgeschichten und Schlagzeilen seltener werden, nimmt nach Expertenmeinung auch die Bereitschaft ab, neue inklusive Features zu finanzieren oder bestehende auszubauen.
Die weniger frequentierte Präsenz in der Presse entspricht einem generellen Bedeutungsverlust des Themas in der öffentlichen Wahrnehmung. Vor allem die differenzierte Auseinandersetzung mit Inklusion und Barrierefreiheit fällt zunehmend weg. Es bleibt meist bei oberflächlichen Erwähnungen, ohne dass ein echtes Interesse besteht, die Komplexität oder die vielfältigen Bedürfnisse von Spielern mit Behinderungen umfassend zu verstehen. Diese Entwicklung ist gefährlich, denn sie nimmt der Barrierefreiheit wichtige Impulse für Innovation und Sichtbarkeit. Parallel zum Rückzug der Berater und Experten sind viele von ihnen gezwungen, sich beruflich neu zu orientieren oder in andere Branchen zu wechseln.
Damit geht wertvolles Wissen verloren, das bislang nachhaltig zur Verbesserung der Zugänglichkeit beigetragen hat. Auch der Trend zu projektbezogenen Verträgen anstatt zu Festanstellungen fördert den Wissensverlust, da Erkenntnisse und Best Practices nicht ausreichend dokumentiert und unter den Teams weitergegeben werden. Ein noch ungelöstes Problem ist die unzureichende Vernetzung und Kommunikation innerhalb von Studios. Beratende Experten werden oft getrennt voneinander an einzelnen Projekten eingesetzt, ohne dass die dort gewonnenen Erfahrungen systematisch geteilt werden. Das Resultat ist das wiederholte Vermitteln derselben Inhalte, was nicht nur ineffizient, sondern auch frustrierend ist und den Fortschritt hemmt.
Trotz dieser Herausforderungen gibt es nach wie vor Hoffnungsschimmer. Einige Studios setzen weiterhin auf eine breite Palette von Barrierefreiheitsoptionen und zeigen, dass das Thema keineswegs aus der Mode gekommen ist. Spiele wie South of Midnight bieten beispielsweise innovative Funktionen wie das Überspringen von Bosskämpfen an, ein Feature, das besonders zugänglichkeitsorientiert ist und zahlreichen Spielerinnen und Spielern entgegenkommt. Auch große Hersteller wie Nintendo signalisieren mit der Ankündigung der Switch 2 eine vorsichtige Öffnung gegenüber Barrierefreiheit und arbeiten daran, inclusivere Angebote zu schaffen. Zudem haben sich wichtige Publisher wie Nintendo of America dazu verpflichtet, klarere und einheitlichere Informationen zu Barrierefreiheitsmerkmalen auf ihren digitalen Verkaufsplattformen bereitzustellen.
Diese Nebenentwicklungen sind kleine, aber bedeutende Schritte, um der Lethargie in der Branche entgegenzuwirken. Um den Rückschritt langfristig zu stoppen, ist es entscheidend, kontinuierlich, wenn auch wiederholend, um die Integration und Normalisierung von Barrierefreiheitsfeature zu kämpfen. Nur durch konsequentes Einfordern und Bewusstmachen kann ein nachhaltiger Wandel erreicht werden. Dabei ist Druck sowohl von Seiten der Community als auch der Medien notwendig, um Barrierefreiheit als unverzichtbaren Standard in der Spieleentwicklung zu etablieren. Es bleibt eine gewaltige Herausforderung, die angesichts der wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen nicht einfacher wird.
Insbesondere der Einfluss politischer Entwicklungen in den USA, einem zentralen Markt der Gamingindustrie, sorgt für weitere Unsicherheiten. Maßnahmen gegen Diversitäts- und Inklusionspolitik, sowie internationale Spannungen und Reisebeschränkungen erschweren den direkten Austausch und die Zusammenarbeit wichtiger Akteure im Barrierefreiheitsbereich. Dennoch zeigt die gegenwärtige Situation eindringlich, wie massiv Barrierefreiheit in Videospielen von äußeren Faktoren wie wirtschaftlicher Gesundheit und gesellschaftlichem Klima abhängig ist. Die Erkenntnis, dass Barrierefreiheit nicht als Luxus verstanden werden darf, sondern als Grundpfeiler einer modernen und offenen Spielekultur, muss sich wieder stärker in allen Unternehmensentscheidungen widerspiegeln. Spielerinnen und Spieler mit Behinderungen verdienen es, vollständig Teil dieser Welt zu sein – ohne ständig für einfache Zugänglichkeitsfunktionen kämpfen zu müssen.