Die Bauindustrie steht vor gewaltigen Herausforderungen: Einerseits wächst die Nachfrage nach robusten, langlebigen Baustoffen, andererseits steigt der Druck, umweltfreundlichere Technologien zu entwickeln und den CO2-Ausstoß zu reduzieren. In diesem Zusammenhang gewinnt der Bio-Beton zunehmend an Bedeutung, da er das Potenzial besitzt, traditionelle Betonarten nicht nur zu substituieren, sondern sie auch in puncto Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit zu übertreffen. Besonders die Entwicklung von hochfestem Bio-Beton öffnet neue Horizonte für die Produktion von Bauelementen mit hoher Tragfähigkeit und großer Formvielfalt. Bio-Beton basiert auf dem faszinierenden Prozess der mikrobiell induzierten Calciumcarbonat-Fällung, kurz MICP (Microbially Induced Calcium Carbonate Precipitation). Hierbei wird durch ureaseaktive Bakterien eine Biokristallisation von Calciumcarbonat ausgelöst, das als natürlicher Bindemittelersatz fungiert.
Diese biologische Methode vermeidet die während der Zementherstellung freigesetzten CO2-Emissionen, da bei der Biomineralisation kein Prozess-CO2 entsteht, sondern sogar CO2 in Form von Carbonaten gebunden wird. Somit könnte man Bio-Beton als CO2-neutral, wenn nicht sogar CO2-negativ bezeichnen, wenn der Gesamtprozess entsprechend gestaltet wird. Eine große Hürde bestand lange Zeit darin, Bio-Beton mit den für das Bauwesen erforderlichen mechanischen Eigenschaften, insbesondere der Druckfestigkeit, in ausreichender Bauteiltiefe herzustellen. Konventionelle Betone erreichen je nach Zusammensetzung Druckfestigkeiten im Bereich von 20 bis über 50 Megapascal (MPa), abhängig vom Einsatzbereich. Mit den jüngsten Forschungsfortschritten ist es nun gelungen, Bio-Beton mit Druckfestigkeiten über 50 MPa herzustellen, verbunden mit einer cementationstiefe von bis zu 140 Millimetern – Werte, die bisher unerreicht waren und das Einsatzspektrum erheblich erweitern.
Der Schlüssel zu dieser Verbesserung liegt in mehreren Aspekten der Materialentwicklung und Herstellungstechnologie. Zunächst wurde an der Optimierung der Korngemische gearbeitet. Durch eine gezielte Zusammenstellung unterschiedlicher Sandkörnungen lässt sich die Packungsdichte erhöhen, sodass das Volumen der Hohlräume zwischen den Aggregaten minimiert wird. Je dichter die Aggregate gepackt sind, desto geringer ist der Bedarf an Bindemittel und desto stabiler ist die Struktur. Ein gut abgestimmtes Korngefüge sorgt also für eine höhere Dichte und verbessert damit die mechanischen Eigenschaften des fertigen Bio-Betons.
Darüber hinaus ersetzt die Verwendung von ureaseaktivem Calciumcarbonat-Pulver (UACP) anstelle von reinen Bakterienzellen den bisherigen limitierenden Faktor im Biomineralisationsprozess. UACP besteht aus Calciumcarbonatkristallen, die ureaseaktive Mikroorganismen enthalten und so als Katalysatoren fungieren. Die Vorteile sind unter anderem eine verbesserte Lagerfähigkeit des Materials, die reduzierte Auswaschung der biologischen Komponenten während der Verarbeitung sowie eine gleichmäßigere und gleichzeitig intensivere Calciumcarbonatbildung. So wird eine kontinuierliche und homogene Bindung in der gesamten Bauteiltiefe gewährleistet. Innovative Herstellungsverfahren tragen ebenfalls zur Effektivität bei.
Statt gewöhnlicher Durchströmungsverfahren wird eine automatisierte, druckgestützte Stop-Flow-Injektion des Zementsuspensionslösung eingesetzt. Dabei wird die Zementlösung in regelmäßigen, kontrollierten Intervallen in den verdichteten Sand-UACP-Mix injiziert und bleibt jeweils einige Stunden in diesem, bevor ein neuer Durchfluss erfolgt. Dieses Verfahren verhindert ein ungleichmäßiges Auswaschen, das häufig bei stetigem Fließen auftritt, und fördert eine gleichmäßige Verteilung und gezielte Bindungsbildung in größeren Bauteiltiefen. Die Bedeutung der Biochemie und Mikrobiologie hinter MICP darf in diesem Kontext nicht unterschätzt werden. Das ureaseaktive Enzym hydrolysiert Harnstoff und führt zur Bildung von Carbonat- und Bicarbonat-Ionen, die zusammen mit Calcium-Ionen Calciumcarbonat ausfällen.
Dabei wirken die Bakterien als Kristallisationskerne, an denen stabile und fest haftende Kristalle wachsen. Die dabei entstehenden Bindemittelverbindungen ähneln natürlich vorkommendem Kalkstein und Sandstein, was dem Material eine mineralische Grundstruktur und damit ein langfristig stabiles Gefüge verleiht. Nicht nur die Druckfestigkeit, sondern auch weitere mechanische Eigenschaften spielen für den praktischen Einsatz eine Rolle. Eigens durchgeführte Ultraschallmessungen zeigen, dass Bio-Beton zwar eine gewisse Anisotropie aufweisen kann, vergleichbar mit natürlichen Sandsteinen, doch eine gezielte Verdichtung und gleichmäßige Verteilung verbessern die Homogenität erheblich. Die elastischen Eigenschaften des Bio-Betons liegen mit Modulen um 11 bis 12 Gigapascal im Bereich poröser Keramiken, was für zahlreiche Bauteilanwendungen ausreichend ist.
Bei Bedarf können durch spezielle Aggregateinstellungen oder zusätzliche Verfestigungsschritte weitere Optimierungen erzielt werden. Die Frage der Umweltverträglichkeit umfasst nicht nur die CO2-Bilanz während der Herstellung, sondern auch die Beschaffung und Wiederverwertung der eingesetzten Rohstoffe sowie die potenzielle Umweltbelastung durch Nebenprodukte. So ist beispielsweise die Verwendung von industriell erzeugtem Harnstoff zwar effizient, jedoch energieintensiv. Alternativ bietet etwa das Recycling von menschlichem Urin eine innovative, nachhaltige Alternative zur Bereitstellung von Harnstoff und anderen für MICP notwendigen Stoffen. Gleichzeitig fallen beim Prozess ammonium- und chloridhaltige Restlösungen an, deren verantwortungsvoller Umgang für eine umweltverträgliche Technologie unabdingbar ist.
Denkbar sind Kreislauflösungen, bei denen die Reststoffe zurückgewonnen und in unterschiedlichen Industriezweigen erneut genutzt werden, etwa in der Düngemittelproduktion. Die hohe Festigkeit und die damit verbundene Tragfähigkeit des neuen Bio-Betons eröffnen die Möglichkeit, ihn in vorrangig industriellen Anwendungen einzusetzen, in denen standardisierte, vorgefertigte Bauelemente gefertigt werden. Dazu gehören Bauteile wie tragende Wände, Stützen oder Architekturelemente. Aufgrund des modularen, temperaturkontrollierten und automatisierten Herstellungsprozesses eignen sich derartige Elemente optimal für die Serienproduktion. Die Aspekte der ökologischen Verträglichkeit und die mögliche CO2-Einsparung im Vergleich zur klassischen Betonherstellung machen Bio-Beton attraktiv für Bauvorhaben mit erhöhten Nachhaltigkeitsanforderungen.
Neben der reinen Materialentwicklung sind auch technische Herausforderungen bei der großtechnischen Umsetzung zu berücksichtigen. So erfordert die automatisierte Druckinjektion präzise dosierte Einbringung der Mischung und die Vermeidung von Verstopfungen im Zementationsprozess. Auch die Handhabung und Entformung der Bauteile müssen mechanisch abgestimmt werden, um Schäden an den fragilen Baustoffverbindungen zu vermeiden. Erste Versuche zeigen, dass beispielsweise auf Korrosion unbeeinflusste Faserverstärkungen wie Basaltfasern als Bewehrung denkbar sind, um die mechanischen Eigenschaften bei Belastung nachhaltig zu verbessern. Nicht zuletzt könnte Bio-Beton einen wichtigen Beitrag zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen leisten.