In den frühen 1980er Jahren befand sich die Welt des Grafikdesigns an einem Wendepunkt. Traditionelle Techniken wurden zunehmend von technologischen Innovationen herausgefordert, die neue Möglichkeiten öffneten und Künstler sowie Designer in ihren kreativen Arbeitsprozessen unterstützen sollten. Inmitten dieser Entwicklung entstand das Aesthedes-System, ein Computer-Aided-Design (CAD)-System, das speziell darauf ausgerichtet war, die Bedürfnisse von Grafikdesignern zu erfüllen, die auf eine intuitive und leistungsstarke digitale Arbeitsumgebung angewiesen waren. Dieses revolutionäre System wurde von Claessens Product Consultants, einem Unternehmen mit Sitz in Hilversum, Niederlande, konzipiert und entwickelt und kam offiziell 1984 auf den Markt. Aesthedes sollte vor allem eines ermöglichen: Designern ohne tiefgehende Computerkenntnisse direkt und unkompliziert den Zugang zur digitalen Gestaltung zu eröffnen.
Die Vision von Dominique Claessens, der Gründer und kreative Kopf hinter dem Projekt, war es, eine native und fließende Arbeitsweise zu schaffen, bei der Künstler ihr kreatives Potenzial ungehindert entfalten konnten, ohne von technischen Barrieren abgelenkt zu werden. Im Unterschied zu üblichen Computerprogrammen seiner Zeit besaß das Aesthedes-System eine eigens entwickelte Tastatur, die sich in Layout und Ergonomie an die üblichen Arbeitsmittel eines Designers anlehnte. Ziel war es, jede Funktion so zu platzieren, dass sie unmittelbar und ohne langes Suchen erreichbar war. Zudem war das System mit gleich sechs parallelen Bildschirmen ausgestattet, die eine völlig neue Ebene der Benutzerfreundlichkeit und Übersicht ermöglichten. Drei der Bildschirme dienten der detaillierten Visualisierung der Projekte: Sie zeigten einerseits die Gesamtansicht der Arbeiten, andererseits auch zoombare Detailbereiche und einzelne Ebenen, auf denen gearbeitet wurde.
Die zusätzlichen drei kleineren Datenbildschirme lieferten wichtige Informationen zu Projektdaten, Farbwerten und zuletzt ausgeführten Befehlen. Dieses anspruchsvolle Setup war bahnbrechend und zeigte schon damals, wie wichtig ganzheitliche und effiziente Bedienkonzepte in der digitalen Gestaltung sind. Technisch basierte das erste Modell des Aesthedes auf zehn Motorola 68000-Prozessoren, eine enorme Leistung für die damalige Zeit. Im Jahr 1985 wurde das System kommerziell eingeführt und konnte mit seinen drei 20-Zoll-Farbmonitoren brillanten 16-Millionen-Farben und einer Auflösung von 512 mal 512 Pixeln darstellen. Als Grafikprozessoren kamen die Thomson EF9365 Chips zum Einsatz, die für das präzise Rendering von Kurven und die Manipulation von B-Splines in Echtzeit verantwortlich waren.
Mit einer Vielzahl von 64 einzelnen Arbeitsebenen sowie einer skalierten Arbeitsfläche, die bis zu 64000 mal 64000 Einheiten umfasste, ermöglichte das System eine Flexibilität, die neue Maßstäbe setzte. Diese Einheiten konnten dabei individuell an die Anforderungen eines Projekts angepasst werden – von mikroskopisch kleinen Details für Briefmarken gestaltete Designs bis hin zu großformatigen Drucken in Lebensgröße. Ein legendäres Beispiel ist die Maßstabsdefinition, mit der eine Karte der Niederlande in Originalgröße auf dem Bildschirm angezeigt wurde, sodass reale Kilometerangaben direkt gemessen werden konnten. Damit war Aesthedes seiner Zeit nicht nur technisch weit voraus, sondern auch in Bezug auf den praktischen Nutzen für komplexe Gestaltungsgeschehen. Das Aesthedes-System fand schnell Anerkennung in verschiedenen Branchen und bei namhaften Kunden.
In den Niederlanden war die staatliche Druckerei SDU einer der ersten, die das System einsetzten – insbesondere bei der Gestaltung sicherheitsrelevanter und schwer fälschbarer Druckarbeiten wie Banknoten. Beispielsweise wurde mit Aesthedes der Entwurf für einen Teil der 25-Gulden-Banknote, der sogenannten "Rotkehlchen"-Serie von Jaap Drupsteen, realisiert. Ebenso gehörten bekannte Marken wie Heineken und Amstel zu den Nutzern des Systems, die ihre ikonischen Getränkeflaschenetiketten mithilfe von Aesthedes gestalten ließen. Auf internationaler Ebene wurde Aesthedes in Großbritannien unter anderem bei Marks & Spencer für die Gestaltung von Schildern und Lebensmittelverpackungen verwendet. Auch Supermärkte wie Asda und verschiedenste Designagenturen entdeckten die Vorzüge des Systems.
Dennoch sollte die technologische Entwicklung bereits wenige Jahre später neue, massenmarkttauglichere und nutzerfreundlichere Systeme hervorbringen, die das Aesthedes-Konzept zumindest kommerziell in den Schatten stellten. Der entscheidende Wendepunkt kam mit dem Aufkommen des Apple Macintosh, der in den späten 1980er Jahren die Grafikbranche revolutionierte. Mit seiner benutzerfreundlichen Oberfläche und vergleichsweise günstigen Hardware wurde der Macintosh schnell zum bevorzugten Werkzeug vieler Designer und machte die bis dahin spezialisierten Systeme wie Aesthedes erst einmal obsolet. Trotz dieses Wandels hat das Aesthedes-System in der Geschichte des Grafikdesigns einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Es war eines der ersten Systeme, das sich ganz auf die Bedürfnisse kreativer Gestalter konzentrierte und mit seiner leistungsfähigen Hardware sowie durchdachten Benutzeroberfläche einen neuen Standard setzte.
Die Entwicklung von Aesthedes zeigt eindrucksvoll, wie technologische Innovationen das kreative Arbeiten fördern können, insbesondere wenn sie den Menschen in den Mittelpunkt stellen und nicht die Technik selbst. Darüber hinaus ist der Einfluss von Aesthedes bis heute spürbar: Konzepte der Multiscreen-Ansichten, intuitive Bedienkonzepte und die nahtlose Integration von High-End-Grafikberechnungen lassen sich als direkte Vorläufer moderner CAD- und Grafiksoftware verstehen. Die Firma Claessens Product Consultants, die den Aesthedes entwickelte, wurde später von Barco übernommen, einem Unternehmen, das ebenfalls in der Entwicklung von hochwertigen Displaysystemen eine führende Rolle einnimmt. Die Erhaltung und Präsentation von Aesthedes-Systemen in Computermuseen und Sammlungen unterstreicht zudem die Bedeutung des Systems als Meilenstein der Computergeschichte. Die jahrzehntelange Begeisterung und das Interesse von Technik- und Designliebhabern sorgen dafür, dass das Erbe von Aesthedes lebendig bleibt und weiterhin als Inspirationsquelle für Innovationen im Bereich der digitalen Gestaltung dient.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Aesthedes mehr war als nur ein technisches Werkzeug – es war ein Pionierprojekt, das Design und Computertechnik in einer Art und Weise zusammenführte, die neue kreative Horizonte eröffnete. Seine komplexe, aber zugleich zugängliche Gestaltungsmöglichkeit setzte Maßstäbe für alle nachfolgenden Systeme und ist daher ein wichtiger Bestandteil der Geschichte des Grafikdesigns und digitalen Designs im Allgemeinen. In einer Zeit, in der digitale Kreativität eine zentrale Rolle spielt, lohnt sich ein Blick zurück auf das Aesthedes-System, um die Wurzeln und Anfänge moderner digitaler Designprozesse besser zu verstehen und zu würdigen.