Arduino gilt heute als eine der einflussreichsten Plattformen, die den Zugang zur Elektronik und Programmierung für Designer, Künstler und Technikbegeisterte revolutioniert hat. Doch hinter dem großen Erfolg verbirgt sich eine Geschichte, die oft missverstanden, verzerrt oder nur unvollständig erzählt wird. Die eigentliche Entwicklung dieser bedeutenden Technologie begann weit vor dem bekannten Namen Arduino – mit einem Projekt namens Wiring, initiiert von Hernando Barragán im Jahr 2003 während seiner Masterarbeit am Interaction Design Institute Ivrea (IDII) in Italien. Die Grundidee von Wiring war es, eine einfache und zugängliche Plattform zu schaffen, die vor allem Künstlern und Designern den Einstieg in die Welt der Mikrocontroller und Elektronik erleichtern sollte. Damals waren die vorhandenen Tools vor allem für Ingenieure und Roboterexperten ausgelegt und daher kaum für Laien oder kreative Berufsgruppen geeignet.
Barragán erkannte, dass komplexe technische Details viele von der Nutzung elektronischer Prototypen abhielten. Daher entwickelte er eine integrierte Entwicklungsumgebung (IDE), die auf Processing.org basierte, und eine darauf abgestimmte Programmiersprache, um das Programmieren einfacher und intuitiver zu machen. Ein entscheidendes Merkmal war die klare, leicht zu erlernende Befehlssprache von Wiring, die später von Arduino übernommen wurde. Funktionen wie pinMode(), digitalRead(), digitalWrite() und analogRead() sind heute Standard in der Mikrocontroller-Programmierung und stammen direkt aus Barragáns Arbeit.
Diese Befehle abstrahierten die Hardware-Komplexität und ermöglichten es Anwendern, sich auf ihre kreativen Projekte zu konzentrieren statt auf technische Details wie Register oder Low-Level-Codierung. Die Entwicklung der Hardware war eine ebenso wichtige und schwierige Herausforderung. Verschiedene Prototypen wurden mit unterschiedlichen Mikrocontrollern ausprobiert, angefangen mit dem Parallax Javelin Stamp, das jedoch aufgrund geschlossener, proprietärer Compiler und Werkzeuge verworfen wurde. Später folgten Prototypen mit dem Atmel ARM-basierten AT91R40008 und schließlich dem populären Atmel ATmega128, der viel besser für Bastler geeignet war und über eine offene Toolchain verfügte. Die Wahl des FTDI-Chips ermöglichte die Kommunikation über USB und die Nutzung auf mehreren Betriebssystemen, was die Zugänglichkeit weiter verbesserte.
2004 begann Barragán bereits, die ersten 25 Platinen selbst zu löten und testete Wiring erfolgreich an der Designschule IDII. Es folgten größere Produktionsläufe, unter anderem mit einer Charge von 100 Platinen, um physikalische Computertechnik an Studierenden zu lehren. Projekte wie "Strangely Familiar" belegten den Erfolg von Wiring als bewährte Plattform zur Förderung kreativer Elektronikprojekte. Die Weiterentwicklung von Wiring wurde trotz der Schulschließung 2005 fortgeführt, als Barragán nach Kolumbien zurückkehrte und an der Universidad de Los Andes unterrichtete. Währenddessen setzte Massimo Banzi, einer der damaligen Betreuer von Barragán, gemeinsam mit weiteren Beteiligten eine Abspaltung („Fork“) von Wiring um, die im Jahr 2005 als Arduino-Plattform an den Start ging.
Hierbei wurden Anpassungen vorgenommen, insbesondere die Unterstützung für günstigere Mikrocontroller wie den ATmega8, um die Produktionskosten zu senken. Barragán erklärt, dass es keine Notwendigkeit für eine Abspaltung der Projekte gab, da er bereit gewesen wäre, diese Ergänzungen selbst umzusetzen. Dennoch wurde das Projekt ohne seine direkte Mitwirkung fortgeführt. Interessanterweise übernahmen viele Verbesserungen aus Wiring später den Weg in die Arduino-Software. Trotz des offensichtlichen Ursprungs von Arduino in Wiring hat die Arduino-Gemeinschaft bis heute die Rolle von Barragán und dessen ursprünglicher Arbeit nur begrenzt anerkannt.
Ein weiterer Punkt, der die Verwirrung rund um die Geschichte von Arduino nährt, ist die nur unzureichende Erwähnung und Klarstellung der Rolle von Programma2003 – ein weiterer Vorläufer, der jedoch von Massimo Banzi initiiert wurde und nicht den gleichen umfassenden Softwareansatz wie Wiring verfolgte. Programma2003 nutzte unter anderem die Programmiersprache JAL (Just Another Language) und war aufgrund seiner eingeschränkten Funktionalität und proprietärer Abhängigkeiten nur begrenzt einsetzbar. Die mediale Darstellung der Arduino-Gründungsgeschichte ist vielfach ungenau oder einseitig. Berichte, Dokumentationen und Interviews zeichnen ein Bild von Arduino als einem Projekt, das in wenigen Tagen entwickelt und quasi aus dem Nichts geboren wurde. Diese Darstellung übersieht die jahrelange Vorarbeit und das komplexe Umfeld, in dem Wiring entstand.
Hernando Barragán kritisiert diese Auslassungen und weist auf die Bedeutung von Transparenz und Anerkennung in kreativen und akademischen Projekten hin. Die juristischen Streitigkeiten zwischen Arduino LLC und Arduino S.R.L., die vor allem die Rechte an der Marke und Technologie betreffen, sorgen zusätzlich für Verwirrung und Missverständnisse um die Ursprünge und Eigentumsverhältnisse.
Barragán fühlt sich durch Aussagen, die seine Arbeit entweder kleinreden oder unrechtmäßig als fremdes Eigentum ausgeben, in seiner Integrität verletzt. Trotz dieser Kontroversen hat die Arbeit von Hernando Barragán, insbesondere die Plattform Wiring, einen unverkennbaren Einfluss auf die moderne Open-Source-Elektronikbewegung und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass heutige Hobbyisten, Künstler und Entwickler auf der ganzen Welt einfache und leistungsfähige Werkzeuge für ihre Projekte vorfinden. Seine Vision, Technologie für Nicht-Techniker zugänglich zu machen, prägt noch immer die Art und Weise, wie Arduino und ähnliche Plattformen entwickelt werden. Die Geschichte von Arduino ist somit nicht nur eine Geschichte der technischen Innovation, sondern auch eine Geschichte über Zusammenarbeit, Anerkennung und die ethischen Fragen rund um geistiges Eigentum in der offenen Gemeinschaft. Für eine fundierte Sicht auf die Entstehung dieser Technologie ist es unerlässlich, den Beitrag von Wiring und Hernando Barragán anzuerkennen und sich eingehend mit den historischen Fakten auseinanderzusetzen.
Für alle, die sich mit Arduino beschäftigen oder einfach an der Entwicklung von Open-Source-Hardware interessiert sind, lohnt es sich, die tiefere und bisher wenig bekannte Geschichte zu erforschen. Sie zeigt nicht nur, wie wichtig ein offener und kollaborativer Geist für Innovation ist, sondern erinnert auch daran, dass hinter jeder großen Idee Menschen stehen, deren Arbeit es verdient, gesehen und gewürdigt zu werden.