Die Oxford Electric Bell, auch als Clarendon Dry Pile bekannt, ist eines der langlebigsten wissenschaftlichen Experimente der Welt und ein faszinierendes Zeugnis der frühen Forschung zur Elektrizität. Seit ihrer Einrichtung um das Jahr 1840 hat sie nahezu pausenlos getönt – ein tonloses Klingeln, das weiterhin Wissenschaftler, Studenten und Technikbegeisterte weltweit in Staunen versetzt. Das geheimnisvolle Instrument befindet sich im Clarendon-Labor der Universität Oxford und hat mit einer besonders ausgeklügelten Konstruktion die Zeit fast zweihundert Jahre lang überdauert. Ihr anhaltender Betrieb verdeutlicht nicht nur die Fortschritte bei der Nutzung von elektrochemischen Zellen, sondern auch die Beharrlichkeit der Wissenschaftsgemeinde, die das Experiment seit Generationen pflegt und überwacht. Die Konstruktion der Oxford Electric Bell ist relativ einfach, doch durchdacht und effizient.
Sie besteht aus zwei Messingglocken, die jeweils unter einer sogenannten trockenen Elektrozelle, dem sogenannten Dry Pile, positioniert sind. Diese Trockenbatterien liefern den elektrischen Antrieb für die Glocken. Zwischen den beiden Batteriepaaren befindet sich ein kleiner Metallball - der Klöppel - mit einem Durchmesser von etwa vier Millimetern, der zwischen den zwei Glocken hin und her schwingt. Die Glocken sind in Reihe geschaltet und die Dry Piles geben ihnen gegensätzlich geladene elektrische Ladungen. Die Funktionsweise beruht im Wesentlichen auf elektrostatischen Kräften: Sobald der Klöppel eine Glocke berührt, nimmt er deren elektrische Ladung auf und wird dadurch abgestoßen.
Er bewegt sich daraufhin zur anderen Glocke, die entgegengesetzt geladen ist, wird von ihr angezogen, berührt sie und lädt sich erneut auf. Dieser Vorgang wiederholt sich kontinuierlich, wodurch das stetige Läuten der Glocke erzeugt wird. Die Besonderheit der Oxford Electric Bell liegt in der Art der Dry Piles, deren genaue Zusammensetzung bis heute nicht vollständig bekannt ist. Historische Untersuchungen deuten darauf hin, dass sie mit geschmolzenem Schwefel versiegelt wurden, um die Isolierung zu verbessern und die Selbstentladung zu minimieren. Dabei handelt es sich vermutlich um sogenannte Zamboni-Piles, frühe elektrische Batteriezellen, die mit hohen Spannungen arbeiten, aber nur geringe elektrische Ströme abgeben.
Diese besondere Eigenschaft erklärt, warum die Bell trotz der langen Laufzeit immer noch funktionsfähig ist – sie benötigt eine sehr kleine Menge an elektrischer Ladung, um zu funktionieren, wodurch die Batterien kaum entladen werden. Das Experiment ist ein anschauliches Beispiel für das Prinzip der elektrochemischen Zellen und illustriert gleichzeitig, wie schon im 19. Jahrhundert mit begrenzten Mitteln langlebige Energielösungen möglich waren. Auch wenn das Glockenspiel heute nahezu unhörbar ist, weil sie hinter zwei Glasscheiben platziert ist, hat es seit über 180 Jahren praktisch ununterbrochen getönt. Wissenschaftler schätzen, dass die Bell bis heute etwa zehn Milliarden Mal geklungen hat.
Der Clou: Es handelt sich bei der Oxford Electric Bell nicht um eine Form des Perpetuum Mobile, sondern um ein sehr gut durchdachtes und extrem langlebiges elektrisches System. Irgendwann wird die Glocke stillstehen, wenn sich die Ladungen der Dry Piles ausgeglichen haben oder mechanische Teile des Klöppels erschöpft sind. Das Experiment spielte auch eine wichtige Rolle in der Geschichte der Physik. Es war maßgeblich daran beteiligt, die damals umstrittenen Theorien zur elektrischen Wirkung zu überprüfen und half, die chemische Elektrodynamik von anderen damaligen Modellen wie der Kontaktspannung zu unterscheiden. Diese historischen Aspekte machen die Oxford Electric Bell zu einem bedeutenden Forschungsobjekt, das im Grundsatz tiefergehende Erkenntnisse über elektrische Prozesse lieferte.
Neben der historischen Bedeutung besitzt die Oxford Electric Bell auch eine symbolische Funktion für die Forschung selbst. Sie steht für die Ausdauer und Geduld der Forschung, die manchmal über Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte wertvolle Erkenntnisse sammelt, lange nachdem das ursprüngliche Experiment konzipiert wurde. Ähnliche Langzeitprojekte gibt es mittlerweile einige, wie die berühmte Pitch Drop Experiment oder die Beverly Clock, die ebenfalls mit ihrer außergewöhnlichen Laufzeit beeindrucken. Die Oxford Electric Bell zeigt zudem die Bedeutung der Materialwahl, des Designs und der Isolationsmethoden in der Elektroinstallation auf. Die Verwendung der alkalisch trockenen Zellen und der speziellen Isolierung mit Schwefel führten dazu, dass die Apparatur nicht nur funktioniert, sondern dies über solchermaßen lange Zeiträume hinweg kontinuierlich tut.
Diese Aspekte sind auch für moderne Technologien von Relevanz, wenn es darum geht, langlebige Energiespeicher und Mikrogeräte zu entwickeln. Die lange Laufzeit wurde nur durch minimale Unterbrechungen beeinflusst, oft durch äußere Umwelteinflüsse wie hohe Luftfeuchtigkeit, die die Funktion temporär einschränkten. Das Experiment wird von der Universität Oxford betreut, regelmäßig überwacht und die Geschichte wird dokumentiert. Die Glocke ist zwar nicht zugänglich für die Öffentlichkeit, doch wird sie häufig in wissenschaftlichen Diskussionen und Vorlesungen als Anschauungsobjekt für physikalische Prinzipien und für die Geschichte der Elektrochemie herangezogen. Für Liebhaber der Physik, der Geschichte der Wissenschaft und für Technikinteressierte bietet die Oxford Electric Bell eine faszinierende Verbindung von historischen Wurzeln und experimenteller Forschung.
Es ist ein lebendes, oder besser gesagt klingendes, Symbol für den Fortschritt der Wissenschaft. Die Kombination aus historischem Wert, technischem Anspruch und dem fast mystischen Aspekt eines Glockenspiels, das über Generationen hinweg fortdauert, macht dieses Experiment zu einem einzigartigen Phänomen. Das Erbe der Oxford Electric Bell bedeutet nicht nur, dass sie als Bestätigung der damaligen wissenschaftlichen Arbeit gesehen wird, sondern auch, dass sie als Ansporn für zukünftige Innovationen gilt. Sie erinnert daran, dass mit präzisem Verständnis und konstanter Pflege selbst einfache physikalische Systeme bemerkenswerte Leistungen vollbringen können. Auch heute können Forscher von den Prinzipien lernen, die bei ihrer Konstruktion beachtet wurden.