Im südlichen kolumbianischen Departement Cauca, genauer im Ort Puerto Tejada, existiert eine der letzten Bastionen einer faszinierenden und bedeutungsvollen Kampfkunst: das afro-kolumbianische Machetenfechten, auch bekannt als Grima. Diese Kunst hat ihren Ursprung in der Zeit der Kolonialisierung und verbindet afrikanische Kampftraditionen mit europäischen Fechttechniken. Heute kämpfen nur noch wenige Meister darum, diese traditionelle Fertigkeit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Dabei geht es nicht nur um eine sportliche Disziplin, sondern auch um die Bewahrung eines kulturellen Erbes, das für viele Afro-Kolumbianer nicht nur Kampfkunst, sondern ein Ausdruck von Freiheit, Identität und Widerstand ist. Grima ist mehr als nur das Schwingen eines Macheten; es ist eine lebendige Verbindung zu den Vorfahren, die in einer Zeit der Unterdrückung und Sklaverei ihre Würde und Freiheit verteidigten.
Die Geschichte von Grima ist eng mit dem kolonialen Erbe Kolumbiens verwoben. Als afrikanische Sklaven in großer Zahl in die Region gebracht wurden, bedeutete der Machete nicht nur ein Werkzeug zur Arbeit auf den Zuckerrohrplantagen, sondern auch eine Waffe der Selbstverteidigung und des Widerstands. Aus der Verschmelzung afrikanischer Kampftechniken und der europäischen Fechtausbildung entstand eine einzigartige Form des Machetenfechtens, bei der in der einen Hand der Machete gehalten und in der anderen ein sogenannter Bordón, ein Verteidigungsstab, geführt wurde. Diese Kombination war sowohl praktischer Schutz als auch kulturelles Symbol. Sie wurde über Generationen hinweg weitergegeben und entwickelte sich zu einem festen Bestandteil afro-kolumbianischer Kultur.
Heute ist Grima jedoch vom Aussterben bedroht. Die älteren Meister werden immer weniger und viele junge Afro-Kolumbianer wenden sich zunehmend dem urbanen Lebensstil und der vorherrschenden Mestizo-Kultur zu. Zudem fehlt Grima bis heute jegliche offizielle Anerkennung als immaterielles Kulturerbe Kolumbiens, was die Schwierigkeiten verstärkt, Fördermittel zu erhalten oder in Bildungseinrichtungen integriert zu werden. Dennoch gibt es engagierte Menschen, wie die erfahrenen Meister Miguellourido und Porfirio, die unermüdlich dafür kämpfen, ihr Wissen zu bewahren und weiterzugeben. In der sogenannten „House of Cacao“, einem kulturellen Zentrum in Puerto Tejada, trainieren sie Schüler und geben ihre Techniken und die damit verbundenen Geschichten an die nächste Generation weiter.
Die Praxis von Grima ist geprägt von Schnelligkeit, Präzision und Agilität. Sparring-Matches enden oft schnell, da es auf schnelle, entschlossene Aktionen ankommt. Der Fokus liegt dabei nicht nur auf körperlicher Kraft, sondern auf Beweglichkeit und taktischem Geschick. Die verwendeten Macheten sind zumeist stumpf gemacht, um Verletzungen zu vermeiden, und das Training findet überwiegend mit den Bordones statt. Diese kampftechnische Gestaltung spiegelt die jahrhundertelange Erfahrung wider, in der diese Kampfkunst stets auf praktischen Nutzen und Selbstschutz ausgelegt war.
Für die afro-kolumbianische Gemeinschaft steht Grima für weit mehr als eine reine Kampfkunst. Es repräsentiert eine Form geistiger und kultureller Freiheit, die sich in Zeiten der äußersten Unterdrückung entwickelte. Viele der Kämpfer waren aktiv an den Unabhängigkeitskämpfen gegen die spanische Kolonialherrschaft beteiligt oder haben in späteren Bürgerkriegen für Freiheit und Rechte gekämpft. Diese historische Dimension macht Grima zu einem Symbol des Widerstandes und der Resilienz. In Zeiten, in denen kulturelle Identitäten oft von globalen und urbanen Einflüssen bedroht sind, ist die Pflege dieser Tradition ein Akt der Selbstbehauptung und des kulturellen Stolzes.
Daneben stellt Grima eine Verbindung zu weiteren kulturellen Aspekten dar. Sie ist eng verknüpft mit der afro-kolumbianischen Musikkultur, der traditionellen Küche, mündlichen Überlieferungen und handwerklichen Fertigkeiten. Dies zeigt, wie tief verwurzelt Grima in der Gesamtidentität der Gemeinschaft ist. Die chancenreiche Förderung dieser Kampfkunst könnte daher nicht nur ihre reine Erhaltung sichern, sondern auch zur Stärkung einer breiteren kulturellen Renaissance beitragen. Die Forderung der Grima-Meister und ihrer Unterstützer nach Anerkennung ist ein zentraler Schritt, um der Tradition ein dauerhaftes, offizielles Fundament zu geben.
Eintragungen im nationalen oder gar internationalen Kulturerbe könnten staatliche Förderungen, öffentliche Aufmerksamkeit und Bildungschancen eröffnen und so den Fortbestand sichern. Allerdings birgt dieser Weg auch Herausforderungen und Risiken: Negative Auswirkungen von Heritage-Programmen, wie Verlust der Eigenständigkeit, Kommerzialisierung oder soziale Spannungen in den Gemeinschaften, wurden bereits bei anderen afro-kolumbianischen Traditionen, beispielweise beim alkoholischen Viche, beobachtet. Es erfordert daher einen sensiblen und gemeinschaftsorientierten Ansatz, um diese wertvolle Kultur gerecht und nachhaltig zu fördern. Trotz dieser Hindernisse wird die Zukunft von Grima von der Leidenschaft und dem Engagement der verbliebenen Meister bestimmt. Sie sehen es als ihre Pflicht, die Tradition nicht nur lebendig zu halten, sondern die Bedeutung dieser Kampfkünste in der nationalen wie internationalen Öffentlichkeit hervorzuheben.
Die Geschichten, die sie erzählen, die Techniken, die sie vermitteln, formen ein lebendiges kulturelles Erbe, das über die reine Kampfkunst hinausgeht und eine tiefgreifende Botschaft von Freiheit, Widerstand und Identität vermittelt. Grima ist somit ein unschätzbares kulturelles Erbe, das nicht nur Kolumbien, sondern die ganze Welt bereichert. In einer Zeit, in der die Wahrung kultureller Vielfalt und der Schutz von Minderheitenidentitäten immer wichtiger werden, ist der Erhalt dieser alten afro-kolumbianischen Kampfkunst ein Symbol für Respekt und Anerkennung afro-diasporischer Traditionen. Die letzten Meister leisten mit ihrem Einsatz einen wertvollen Beitrag dazu, diesen Schatz vor dem Vergessen zu bewahren und hoffnungsvoll in die Zukunft zu führen.