Kanadas Premierminister Mark Carney hat kürzlich bekräftigt, dass Kanada bis zum 1. Juli dem umfassenden europäischen Verteidigungsprojekt ReArm Europe beitreten möchte. Dieses Vorhaben ist Teil eines ambitionierten Plans, die Verteidigungsausgaben in Europa in den nächsten fünf Jahren drastisch zu erhöhen, um einer sich verschärfenden Sicherheitslage in einer zunehmend unsicheren Welt besser begegnen zu können. Dabei geht es vor allem darum, die seit langem bestehende übermäßige militärische Abhängigkeit Kanadas von den USA zu verringern und die eigene strategische Souveränität zu stärken. Das Vorhaben zeichnet sich durch weitreichende politische und sicherheitspolitische Bedeutung aus, die weit über Kanada und Europa hinausreicht.
Carney kritisierte in einem Interview mit dem CBC, dass derzeit rund 75 Cent von jedem kanadischen Verteidigungsdollarausgaben direkt an die USA fließen. Diese hohe Abhängigkeit sei "nicht klug", gerade vor dem Hintergrund zunehmend angespannten Verhältnissen zwischen Washington und Ottawa. Die jüngsten Spannungen, unter anderem ausgelöst durch Äußerungen und Drohungen von US-Präsident Donald Trump, haben Berichten zufolge die kanadische Regierung dazu veranlasst, neue Verteidigungsstrategien zu evaluieren. Trotz dieser Spannungen zeigte sich Carney offen für eine potenzielle Teilnahme an Trumps vorgeschlagenem Raketenabwehrprojekt „Golden Dome“, wenn auch mit klaren Grenzen hinsichtlich der wahren Unabhängigkeit und Souveränität Kanadas. Der vorgeschlagene Beitritt Kanadas zur europäisch geführten Initiative ReArm Europe soll nicht nur Schutz vor äußeren Bedrohungen gewährleisten, sondern auch die Zusammenarbeit mit europäischen Staaten im Verteidigungsbereich intensivieren.
Dabei wird das Projekt von Nato-Generalsekretär Mark Rutte mit Nachdruck begleitet, der die Mitglieder seiner westlichen Verteidigungsallianz dazu auffordert, ihre Verteidigungsausgaben auf 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen – eine erhebliche Steigerung gegenüber dem bisherigen Ziel von 2 Prozent. Diese Erhöhung wird als notwendig erachtet, um sich gegen die wachsende militärische Aufrüstung von Gegnern wie Russland, China, Nordkorea und dem Iran zu wappnen. Kanada sieht sich somit politischem und öffentlichem Druck ausgesetzt, seine Verteidigungskapazitäten deutlich zu erweitern. Letztes Jahr wurde Kanada von US-Haussprecher Mike Johnson für sein unzureichendes Engagement kritisiert und beschuldigt, auf Kosten der amerikanischen Militärmacht zu profitieren. Demgegenüber signalisiert Carneys Regierung, in naher Zukunft verstärkt auf heimische Rüstungsindustrie und militärische Ausrüstung aus kanadischer Produktion zu setzen.
Entsprechende Verpflichtungen und Zusagen wurden bereits im Rahmen der jüngsten politischen Rede vom Thron seitens König Charles III. vorgetragen, die den Fokus Kanadas auf den Schutz seiner nationalen Souveränität und den Ausbau der Verteidigungsfähigkeit unterstrich. Für den kanadischen Verteidigungsminister David McGuinty sind die globalen Sicherheitsbedrohungen eine unmittelbare Realität. In seiner Rede vor einer militärischen Fachmesse hob er hervor, dass die Sicherheitslage „heute volatil und unsicher“ sei, wobei Konflikte wie der Krieg Russlands gegen die Ukraine und das diplomatische Auftreten Chinas als besonders besorgniserregend gelten. Darüber hinaus legt Kanada einen verstärkten Augenmerk auf den arktischen Raum, wo zunehmend konkurrierende Nationen die kanadische Souveränität herausfordern.
Die strategische Bedeutung dieser Region wächst aufgrund neuer Handelsrouten, Ressourcen und militärischer Möglichkeiten erheblich. Der Beitritt zum ReArm Europe-Projekt soll Kanadas Fähigkeiten stärken, diesen Herausforderungen eigenständig begegnen zu können. Es ist davon auszugehen, dass durch die Kooperation mit europäischen Partnern nicht nur Ressourcen und Informationen effizienter geteilt werden, sondern auch technologische Entwicklungen und strategische Planungen besser abgestimmt werden können. Angesichts der sich wandelnden weltpolitischen Lage ist ein vereintes Vorgehen westlicher Staaten im Verteidigungsbereich wichtiger denn je, um Stabilität und Sicherheit am internationalen Parkett zu sichern. Die transatlantischen Beziehungen geraten aktuell durch die von US-Präsident Trump vorgeschlagenen und teils konfrontativen politischen Maßnahmen zusätzlich unter Druck.
Seine Idee, Kanada beispielsweise durch wirtschaftlichen und militärischen Druck zu einer engeren Einbindung beziehungsweise sogar Eingliederung als 51. Bundesstaat in die USA zu bewegen, stößt in Kanada auf vehemente Ablehnung. Carney unterstreicht die Unabhängigkeit und Souveränität Kanadas vehement, was auch im diplomatischen Schlagabtausch auf sozialen Netzwerken deutlich wird. Solche Spannungen verdeutlichen, wie wichtig für Kanada ein eigener, eigenständiger Sicherheits- und Verteidigungsansatz geworden ist. Neben der militärischen Aufrüstung spielt auch die wirtschaftliche Komponente eine wesentliche Rolle.
Kanadische Wirtschaftsführer fordern verstärkte staatliche Investitionen in die heimische Verteidigungsindustrie, um Arbeitsplätze zu sichern und neue technologische Entwicklungen voranzutreiben. Die Regierung zeigt sich bereit, vorrangig kanadische Unternehmen bei der Beschaffung neuer Rüstungsgüter und militärischer Technik zu berücksichtigen, um zugleich die nationale Wirtschaft zu stärken und die strategische Unabhängigkeit auszubauen. Die NATO-Mitgliedstaaten werden sich im Juni auf einem Gipfeltreffen in den Niederlanden mit den neuen Verteidigungszielen befassen. Kanada steht dabei vor der Herausforderung, seinen Beitrag substantiell zu erhöhen, nicht nur um den eigenen Verpflichtungen gerecht zu werden, sondern auch um eine glaubwürdige Partnerschaft auf Augenhöhe einzugehen. Die Aufnahme in ReArm Europe könnte hierbei ein entscheidender Schritt sein.
Karney hat bereits Gespräche mit den USA über eine mögliche Teilnahme am Raketenabwehrsystem „Golden Dome“ angekündigt, wobei weiterhin Umfang und Bedingungen solcher Kooperationen offen sind. Kanada muss dabei stets seine Unabhängigkeit wahren und vermeiden, zu stark in US-amerikanische Verteidigungsstrukturen integriert zu werden, was politisch auf innen- wie außenpolitischer Ebene umstritten wäre. Insgesamt steht Kanada an einem Wendepunkt seiner Verteidigungspolitik. Das Vorhaben, Mitglied eines zentralen europäischen Verteidigungsplans zu werden, signalisiert den Willen zu mehr Eigenständigkeit und strategischer Diversifikation. Damit reagiert Kanada auf sich verändernde geopolitische Realitäten und setzt ein Zeichen für stärkere Zusammenarbeit mit Europa.
Gleichwohl müssen dazu innerhalb der kanadischen Politik und Gesellschaft noch viele Detailfragen geklärt werden, um eine langfristig erfolgversprechende, nachhaltige und politisch akzeptierte Verteidigungsstrategie zu gewährleisten. Die kommenden Monate werden zeigen, wie Kanadas Schritt in die europäische Verteidigungskooperation gelingt und welche Auswirkungen dies auf die transatlantischen Beziehungen und die globale Sicherheitsarchitektur haben wird. Eins ist jedoch sicher: Kanadas Position in der internationalen Verteidigungspolitik könnte durch den Eintritt in ReArm Europe deutlich an Bedeutung gewinnen, was sowohl für das Land selbst als auch für seine Verbündeten von großer Relevanz ist.