Im Februar 2025 hat die amerikanische Steuerbehörde IRS einen überraschenden und wegweisenden Schritt unternommen: Sie hat den Quellcode ihres kostenlosen Steuererklärungsprogramms Direct File auf GitHub öffentlich zugänglich gemacht. Diese Veröffentlichung ist mehr als nur ein technischer Akt. Sie repräsentiert einen bedeutenden Wandel in der Art und Weise, wie staatliche Organisationen mit digitaler Staatsführung und insbesondere mit der oft komplexen Materie des Steuerrechts umgehen. Durch die Open-Source-Freigabe schafft die IRS Transparenz, die in der Verwaltung selten ist, und ermöglicht es verantwortlichen, Entwicklern und der Allgemeinheit, die Logik hinter automatisierten Steuerentscheidungen zu verstehen, zu prüfen und weiterzuentwickeln. Das Herzstück dieses Quellcodes ist ein System namens Fact Graph, das als revolutionäre Logikmaschine gilt und die Grundlage für die Verarbeitung von Steuersachverhalten bildet.
Die Steuererklärung ist traditionell ein schwer verständliches Unterfangen, das für viele Steuerpflichtige ein regelrechter Irrgarten ist. Softwareanwendungen privater Anbieter sind oft undurchsichtig, weil die darin angewandten Algorithmen und Regeln geheim gehalten oder hinter Paywalls versteckt sind. Die IRS geht nun einen anderen Weg und stellt den Code, der das Rückgrat des Direct File-Programms bildet, in die öffentliche Domäne. Der Fact Graph selbst ist eine Kombination aus XML und der Programmiersprache Scala, die so programmiert ist, dass sie einzelne Datenpunkte analysiert und deren Beziehungen untereinander logisch herleitet. Er dient als eine Art wissensbasierte Regelmaschine, die nicht nur fest kodierte Anweisungen abarbeitet, sondern selbstständig Inhalte aus Eingaben erkennt, fehlende Informationen hervorhebt und mögliche Widersprüche aufzeigt.
Dies ist besonders wichtig für Steuerpflichtige, deren individuelle steuerliche Verhältnisse oft vielschichtig und ambivalent sind. Beispielsweise kann der Fact Graph erkennen, wenn Selbstständige nur ihr Einkommen angeben, aber keine Betriebsausgaben, und weist dann auf diesen Umstand hin. Diese Fähigkeit, nicht-linear und kontextsensitiv zu arbeiten, unterscheidet das System von herkömmlichen Programmen, die starr Schritt für Schritt abgearbeitet werden. Das eröffnet neue Möglichkeiten, Steuerrecht als dynamisches System zu verstehen, das flexibel verschiedene Umstände und Ausnahmen berücksichtigt. Vor allem aber steht die Offenlegung des Quellcodes für eine neue Ära der öffentlichen Kontrolle staatlicher Algorithmen.
In Zeiten, in denen Künstliche Intelligenz und automatisierte Entscheidungssysteme immer häufiger das Leben der Menschen beeinflussen, sind Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Regeln essentiell. Indem die IRS ihren Code veröffentlicht, signalisiert sie, dass Regeln und Algorithmen keine undurchsichtigen Monolithen sein dürfen, sondern offen überprüfbare und anfechtbare Grundlagen staatlicher Entscheidungen bilden sollen. Diese Vorgehensweise könnte ein Modell für andere Behörden sein – nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf Landes- und Kommunalebene. Anwendungen im Sozialbereich, bei Leistungsansprüchen oder gar in der automatisierten Rechtssetzung könnten von ähnlicher Offenheit profitieren. Selbst wenn Direct File als Programm möglicherweise nicht in gleicher Form fortbestehen sollte, legt die Veröffentlichung des Quellcodes den Grundstein für künftige Innovationen.
Entwickler können den Code weiterentwickeln, an lokale Gegebenheiten anpassen oder neue Lösungen schaffen, die den Bürgerinnen und Bürgern zugutekommen. Das Steuerrecht bleibt trotz aller Technologien komplex und wird komplex bleiben. Aber der Zugang zur Logik, mit der diese Komplexität bearbeitet wird, ist eine erhebliche Verbesserung in Sachen Transparenz und Rechtssicherheit. Die Digitalisierung der Steuerverwaltung gestaltet sich somit nicht nur technisch, sondern auch gesellschaftlich. Offene Systeme fördern das Vertrauen und ermöglichen es Bürgern und Experten gleichermaßen, die Rechtsanwendung aktiv mitzugestalten.
Die IRS zeigt, dass Innovation und Offenheit Hand in Hand gehen können und setzt damit einen ungewöhnlichen, mutigen Impuls in einem oft als träge empfundenen Verwaltungsbereich. Während die Steuerzahler noch immer ihre Steuerformulare ausfüllen und mit For-Profit-Software hantieren, wartet im Hintergrund ein System, dessen Programmiercode und logisches Fundament nun für alle sichtbar sind. Eine solche Entwicklung ist nicht nur für steuerrechtlich Interessierte bedeutend, sondern auch für Anhänger von Open Government, Transparenz und moderner Digitalisierung. Letztlich könnte die Veröffentlichung von Direct File ein Vorbild sein, dem weitere staatliche Softwareprojekte folgen und eine neue Ära der digitalen Staatsführung einläuten. Damit steht die IRS als Leuchtturm eines offenen, zugänglichen und verantwortlichen Regierungshandelns im 21.
Jahrhundert, das Bürgerrechte wahrt und zugleich Innovationen fördert.