Die Diskussion um Arbeitsanforderungen in sozialen Sicherungssystemen gewinnt zunehmend an Bedeutung, insbesondere im Kontext von Programmen wie Medicaid und dem Supplemental Nutrition Assistance Program (SNAP). Diese Programme sollen bedürftige Familien mit Gesundheitsversorgung und Ernährungshilfe unterstützen. Aktuell erwägen Gesetzgeber in den USA, die Anforderungen an Arbeitsstunden für die Anspruchsberechtigung zu verschärfen oder auszuweiten. Doch angesichts der besonderen Arbeitsbedingungen in der Dienstleistungsbranche drohen solche Maßnahmen ungewollt zu Benachteiligungen vieler Beschäftigter. Die Dienstleistungsbranche – von der Gastronomie über den Einzelhandel bis hin zu Reinigungs- und Pflegeberufen – ist heute der dominante Arbeitsmarkt für viele Familien mit geringem Einkommen.
Während nur knapp ein Fünftel aller Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor beschäftigt sind, steigt dieser Anteil innerhalb einkommensschwacher Haushalte mit Kindern deutlich auf über 40 Prozent. Das verdeutlicht, wie zentral diese Branche für die soziale Stabilität ist. Charakteristisch für viele Berufe in diesem Sektor ist die hohe Volatilität der Arbeitszeit. Anders als in traditionellen Industrie- oder Fabrikjobs, die oft feste Schichten kennen, sind Dienstleistungsarbeiten stark von schwankender Kundennachfrage abhängig. Faktoren wie Wetter, sportliche Großveranstaltungen oder saisonale Ereignisse führen dazu, dass Arbeitgeber die Stundenpläne ihrer Mitarbeitenden flexibel anpassen müssen.
Diese Dynamik führt dazu, dass Beschäftigte häufig unregelmäßige Arbeitszeiten und instabile Einkommensverhältnisse aufweisen. Genau diese instabile Arbeitszeitgestaltung wird jedoch in politischen Debatten oft vernachlässigt. Die Vorschläge zur Einführung fester monatlicher Mindestarbeitsstunden – wie beispielsweise eine Forderung von 80 Stunden pro Monat für den Erhalt von SNAP-Leistungen – basieren auf einem starrem Verständnis von Erwerbsarbeit, das sich eher an klassischen Vollzeitjobs orientiert. Für viele Beschäftigte im Dienstleistungssektor ist es jedoch unmöglich, stetig diese Mindestanforderungen zu erfüllen, obwohl sie insgesamt gesehen durchaus signifikante Arbeitsstunden leisten. Untersuchungen zeigen, dass rund zwei Drittel der Beschäftigten im Niedriglohn-Dienstleistungssektor in mindestens einem Monat im Jahr weniger als 80 Arbeitsstunden ableisten.
Besonders betroffen sind Beschäftigte mit Betreuungsverpflichtungen, beispielsweise Eltern mit schulpflichtigen Kindern. Selbst bei kontinuierlicher Beschäftigung und einer durchschnittlichen monatlichen Arbeitszeit von 80 Stunden oder mehr, fällt es etwa einem Drittel der Arbeitnehmenden in zumindest einem Monat schwer, die geforderte Stundenzahl zu erreichen. Dies liegt nicht an mangelndem Engagement, sondern an der schwankenden Nachfrage und den flexiblen Arbeitszeitvorgaben durch Arbeitgeber. Darüber hinaus führt die hohe Fluktuation in der Branche dazu, dass viele Arbeiter zeitweise sogar ganz ohne Job dastehen. In einem typischen Jahr erleben knapp 40 Prozent der Beschäftigten mindestens eine Phase von Arbeitslosigkeit spanning mehrere Wochen.
Da Zeit, die für Arbeitssuche verwendet wird, bei den aktuellen Anforderungen nicht als Arbeitszeit gilt, droht vielen Betroffenen der Verlust von Sozialleistungen trotz aktiver Arbeitsmarktteilnahme. Diese Regelungen setzen den Fokus auf eine regelrechte „Stundenzahl-Bürokratie“ und missachten die Realität des Arbeitsmarkts in volatilen Berufen. Die Folge ist eine doppelte Belastung: Einerseits ist die soziale Sicherung für viele gefährdet, andererseits geraten sie unter erheblichen Druck, ihre Arbeitszeiten und Verfügbarkeiten zu stabilisieren, obwohl dies unter den gegebenen Bedingungen kaum möglich ist. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass ein Großteil der betroffenen Beschäftigten mehr Stunden arbeiten möchte, als ihnen tatsächlich zugeteilt werden. Die unregelmäßigen Schichten resultieren überwiegend aus den Arbeitgeberbedürfnissen und nicht aus persönlicher Präferenz.
Dies unterstreicht, dass fehlende Arbeitsstunden nicht auf die Arbeitenden zurückzuführen sind, sondern vielmehr strukturelle Charakteristika des Dienstleistungsarbeitsmarktes widerspiegeln. Die politische Zielsetzung, durch Arbeitsanforderungen die Erwerbsarbeit zu fördern und damit finanzielle Ressourcen der Familien zu verbessern, verfehlt angesichts der Arbeitsmarktrealität ihre Wirkung. Studien legen nahe, dass solche Anforderungen die Beschäftigung kaum erhöhen, aber erhebliche negative Effekte auf die Stabilität und das Wohlergehen der Betroffenen ausüben können. Im Falle eines wirtschaftlichen Abschwungs oder einer Rezession könnten die negativen Auswirkungen noch stärker ins Gewicht fallen. Aufgrund der Natur der Dienstleistungsbranche würden Arbeitsstunden in solchen Phasen voraussichtlich weiter zurückgehen, wodurch noch mehr Beschäftigte die arbeitsstundenbasierte Anspruchsberechtigung verlieren könnten.
Dies gefährdet nicht nur das Einkommen, sondern auch den Zugang zu lebenswichtiger Gesundheitsversorgung und Ernährungshilfe. Es ist daher essenziell, dass politische Entscheidungsträger ein differenzierteres Verständnis vom Arbeitsmarkt entwickeln und sozialpolitische Maßnahmen an die Realität der volatilen Beschäftigungssituation anpassen. Flexiblere Kriterien, die saisonale und monatliche Schwankungen berücksichtigen, sowie eine Anerkennung von Arbeitssuche und unregelmäßigen Beschäftigungsverhältnissen könnten helfen, Härten zu vermeiden. Darüber hinaus könnten Programme implementiert werden, die Beschäftigten in volatilen Branchen gezielt unterstützende Leistungen bieten, etwa durch Kombinationsmöglichkeiten mit Kinderbetreuung, Weiterbildungsmöglichkeiten und Beratung zur Einkommenssicherung. Ein solches Vorgehen würde nicht nur die soziale Absicherung verbessern, sondern auch den Arbeitsmarkt entlasten und langfristige Erwerbschancen stärken.