Proton Mail galt lange als die Vorzeigelösung für verschlüsselte und datenschutzorientierte E-Mail-Kommunikation. Seit seiner Gründung gewann der Dienst zahlreiche Nutzer, die ihre digitale Privatsphäre schützen wollten und als Alternative zu großen Konzernen wie Google oder Microsoft suchten. Doch im Jahr 2024 zeichnet sich immer deutlicher ab, dass ein signifikanter Teil der Nutzerbasis den Dienst verlassen möchte oder bereits verlassen hat. Die Gründe hierfür sind vielschichtig und geben interessante Einblicke in die Herausforderungen eines Unternehmens, das ambitionierte Ziele in der digitalen Privatsphäre verfolgt, aber nicht immer mit der Marktdynamik und den Nutzererwartungen Schritt hält. Eines der zentralen Argumente vieler ehemaliger Proton-Mail-Nutzer ist, dass die Kernfunktionen der Plattform in den letzten Jahren nur wenig Fortschritt gemacht haben.
Trotz zahlreicher Kundenrückmeldungen und der Hoffnung auf fortlaufende Verbesserungen bleibt die Performance des Dienstes hinter den Erwartungen zurück. Insbesondere die Geschwindigkeit der E-Mail-Zustellung und die allgemeine Reaktionsfähigkeit der Weboberfläche sind Punkte, die immer wieder kritisiert werden. Während die End-to-End-Verschlüsselung naturgemäß mehr Rechenzeit beansprucht als herkömmliche E-Mail-Dienste, hätten viele Nutzer zumindest eine spürbare Optimierung seit Einführung des Dienstes erhofft, die jedoch nicht in ausreichendem Maße umgesetzt wurde. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Benutzeroberfläche, die als wenig ausgereift empfunden wird. Besonders im Dunkelmodus treten immer wieder Darstellungsfehler auf, bei denen die Texte nahezu unsichtbar werden, indem sie dieselbe Farbe wie der Hintergrund annehmen.
Solche Fehler beeinträchtigen die Benutzerfreundlichkeit erheblich und zeugen von mangelnder Pflege und Fehlerbehebung seitens des Unternehmens. Die Tatsache, dass solche Probleme nach Jahren bestehen bleiben, vermittelt vielen Nutzern den Eindruck, dass der Fokus von Proton Mail nicht auf die Verbesserung des Kernprodukts liegt. Dieser Eindruck wird durch die Einführung neuer, zum Teil unnötiger Funktionen noch verstärkt. So wurde in letzter Zeit die Integration eines KI-gestützten Assistenten namens Scribe angekündigt und ausgerollt. Viele Nutzer empfinden diesen Schritt skeptisch und unpassend, da sie sich von Proton Mail vor allem ein stabiles, sicheres und schlankes E-Mail-Erlebnis wünschen und nicht den Einsatz künstlicher Intelligenz, die sich teilweise eher wie ein Trend-Following anfühlt.
Die Priorisierung von neuen Features auf Kosten der grundlegenden Produktqualität führt bei einem Teil der Nutzer zur Frustration und verstärkt ihre Entscheidung, sich nach alternativen Anbietern umzusehen. Nicht nur bei der E-Mail-Lösung selbst finden die Nutzer Mängel, auch bei anderen Diensten im Proton-Ökosystem gibt es Kritik. Proton bietet mit Proton Calendar, Proton Drive und Proton VPN weitere Dienste an, die das Ziel verfolgen, Anwender vollständig aus dem Google- oder Microsoft-Kosmos zu befreien. Allerdings erfüllen diese Dienste laut Nutzermeinungen nicht immer ihren Zweck in vollem Umfang. Die Kalender-App wird beispielsweise als zu simpel und nicht zuverlässig für den professionellen Gebrauch eingeschätzt, was vielfach dazu führt, dass Anwender weiterhin klassische Tools wie Google Kalender nutzen.
Proton Drive hebt sich positiv hervor und erhält mehr Anerkennung, allerdings gilt dies nicht für Proton VPN, das sich im direkten Vergleich zu Konkurrenten wie Mullvad VPN als weniger flexibel erweist. Die eingeschränkte Protokoll- und Portauswahl beim VPN sorgt bei technisch versierteren Nutzern für Unzufriedenheit. Eine besonders umstrittene Entscheidung von Proton ist die überraschende Einführung der Proton Wallet Ende 2024, die auf breites Unverständnis und Kritik in der Community stößt. Viele sehen diese Erweiterung als falsch priorisiert an, da fundamentale Probleme und fehlende Innovationskraft bei den Kernprodukten weiterhin bestehen. Der Fokus auf eine Kryptowährungs-Wallet, die funktional und sicher sein muss, erscheint vielen Nutzern fehl am Platz, wenn grundlegende Usability-Probleme bei E-Mail und Kalender nicht ausgeräumt sind.
Ebenfalls nicht unwichtig ist die politische Dimension, die im Januar 2025 zusätzliche Diskussionen auslöste. Der Proton-CEO Andy Yen machte öffentliche Stellungnahmen bezüglich der politischen Situation in den USA, was von manchen Nutzern kritisch betrachtet wird und auch das Vertrauen in die Marke beeinflussen könnte. Zwar bleibt Proton einer im Kern werteorientierten Mission verpflichtet, jedoch stellen öffentliche politische Aussagen immer ein Risiko dar, Nutzer zu polarisieren, besonders in einem Sensitivbereich wie Datenschutz und digitale Freiheit. Trotz aller Kritik bleibt festzuhalten, dass viele Menschen die Grundidee von Proton Mail und dessen Mission für Privatsphäre und Sicherheit unterstützen. Nutzer, die den Dienst verlassen, bedauern dies häufig und hoffen auf zukünftige Verbesserungen, die eine Rückkehr ermöglichen könnten.
Gleichzeitig zeigt die Abwanderung aber auch deutlich, dass allein eine wertebasierte Positionierung nicht ausreicht, wenn technologische Weiterentwicklung, Produktpflege und Nutzerfreundlichkeit vernachlässigt werden. Auf dem Markt für sichere E-Mail-Dienste entstehen parallel Alternativen. Anbieter wie Tutanota, Posteo oder Mailbox.org greifen Privatsphäre ebenfalls als Kernwert auf, bieten teilweise bessere Usability und stabilere Performance. Die Wahl des richtigen Dienstes hängt für viele Nutzer nun vermehrt auch von Aspekten wie Funktionalität, Design, Integration und Transparenz ab, nicht allein von der reinen Sicherheitsversprechen.