Die weltweiten Regenwälder gelten als die Lungen unseres Planeten. Ihre ungeheure Fähigkeit, große Mengen an Kohlenstoff zu speichern, spielt eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel. Doch bis vor kurzem war es nahezu unmöglich, präzise zu bestimmen, wie viel Kohlenstoff genau in den über 1,5 Billionen Bäumen der Tropen gespeichert ist. Diese immense Zahl macht klar, welche Herausforderung es darstellt, diese Wälder zu überwachen und ihre Veränderungen zu dokumentieren. Nun ist mit dem Start eines bahnbrechenden Satelliten durch die Europäische Weltraumorganisation (ESA) eine neue Ära der Waldüberwachung angebrochen, die weitreichende Auswirkungen auf Umweltschutz und Klimaforschung hat.
Der Satellit mit der Bezeichnung Biomass wurde 2025 erfolgreich vom Raumfahrtzentrum Kourou in Französisch-Guayana gestartet. Sein einzigartiges Radar-System nutzt langwellige P-Band-Technologien, die es ihm ermöglichen, tief ins Innere der Wälder zu blicken – weit über die Baumkronen hinaus. Ziel ist es, präzise Messungen zur Biomasse der Wälder zu liefern und so den Kohlenstoffspeicher der Bäume mit bislang unerreichter Genauigkeit zu bestimmen. Anders als herkömmliche Fernerkundungssatelliten, die oft nur die Baumspitzen und Blätter erfassen, kann der Biomass-Satellit auch Äste, Stämme und das Holz darunter erfassen. Dies ist entscheidend, denn der Großteil des gespeicherten Kohlenstoffs befindet sich in der holzigen Substanz der Bäume.
Die Radarwellen in diesem langen P-Band besitzen die Fähigkeit, den dichten Blätterdach und das oft wolkenverhangene Tropenklima zu durchdringen. Das Resultat sind konsistente, mehrjährige Beobachtungsdaten, die verlässliche Einblicke in das Wachstum und die Veränderungen der Wälder bieten. Die technische Umsetzung dieses Satelliten ist beeindruckend: Er trägt eine riesige, 12 Meter große, ausklappbare Antenne, die als „Weltraum-Regenschirm“ bezeichnet wird. Diese Antenne ist essenziell, um die benötigte Leistung für das Radar auszustrahlen und die zurückkehrenden Signale zu empfangen. Das Entfalten dieser Antenne im All ist eine komplexe und delikate Operation, die nach dem Start den entscheidenden Schritt für den Erfolg der Mission darstellt.
Die Zusammenarbeit von europäischen Ingenieuren mit US-amerikanischen Spezialisten von L3Harris Technologies zeigt die internationale Dimension des Projekts. Indem der Satellit immer wieder die gleichen Waldgebiete abtastet, können dreidimensionale Bilder entstehen, ähnlich einem CT-Scan in der Medizin. Diese Bilderserie ermöglicht es, die Entwicklung der Wälder über die Zeit präzise zu verfolgen und Veränderungen durch Abholzung, Waldbrände oder Aufforstungsmaßnahmen zu erkennen. Diese Daten sind von unschätzbarem Wert für Wissenschaftler, Umweltschützer und politische Entscheidungsträger, um die Auswirkungen und auch den Erfolg von Klimaschutzmaßnahmen valide beurteilen zu können. Bisherige Methoden zur Beurteilung der Biomasse in tropischen Wäldern stützten sich hauptsächlich auf punktuelle Feldmessungen, die auf große Flächen hochgerechnet wurden.
Dieses Verfahren ist nicht nur arbeitsintensiv, sondern auch mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Zudem sind viele Wälder in schwer zugänglichen Regionen, was die Datenerhebung erschwert. Der Biomass-Satellit hingegen liefert mit globaler Abdeckung und hoher zeitlicher Frequenz unverzichtbare Informationen für eine konsistente und umfassende Überwachung. Der Start der Biomass-Mission kommt zu einer Zeit, in der das Thema Waldschutz zunehmend an globaler Bedeutung gewinnt. Weltweit wurden Verpflichtungen abgegeben, die Entwaldung bis 2030 zu stoppen und die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen.
Ausgewählte Regenwaldregionen wie der Amazonas, der Kongobeckenwald und die Wälder in Indonesien stehen dabei im Mittelpunkt, da sie eine enorme Rolle für das globale Klimasystem einnehmen. Die Fähigkeit, den Kohlenstoffgehalt dieser Wälder schnell und verlässlich zu bestimmen, ist von entscheidender Bedeutung, um Fortschritte beim Erhalt und der Wiederherstellung der Wälder zu messen. Der Biomass-Satellit bietet zudem die Chance, Entwaldungsaktivitäten nahezu in Echtzeit zu erkennen und so schneller Gegenmaßnahmen einzuleiten. Dies könnte auch die Entwicklung von nachhaltigen Waldmanagement- und Naturschutzprogrammen stark unterstützen. Darüber hinaus erzeugt die Mission neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Struktur und Dynamik der Regenwälder, die bisher verborgen waren.
So wird es möglich, das Zusammenspiel von Bäumen unterschiedlicher Arten und Altersklassen zu untersuchen und deren Rolle im Kohlenstoffkreislauf besser zu verstehen. Eine genauere Einschätzung der Wasserspeicherung, der Biodiversität und weiterer ökologischer Funktionen der Wälder ist dadurch ebenfalls erreichbar. Die Kombination aus Satellitendaten und bodengestützten Messungen bleibt jedoch essenziell. Wissenschaftler sammeln weiterhin Daten vor Ort, um die Satellitendaten zu validieren und Modelle zur Biomassebestimmung zu verbessern. Auch lokale Gemeinden und indigene Bevölkerungsgruppen werden in die Erforschung einbezogen, um traditionelle Kenntnisse mit moderner Technik zu verbinden.
Die Mission ist das Ergebnis jahrzehntelanger Forschung und Entwicklung, initiiert von akademischen Einrichtungen wie der Universität Sheffield unter der Leitung von Professor Shaun Quegan. Die enge Zusammenarbeit zwischen europäischen Raumfahrtagenturen, Forschungseinrichtungen und Industriepartnern hat diesen technologischen Meilenstein möglich gemacht. In den kommenden fünf Jahren will ESA jährlich detaillierte Karten veröffentlichen, die zeigen, wie sich die Wälder weltweit verändern und wie viel Kohlenstoff sie weiterhin binden. Diese Daten werden auch über politische und gesellschaftliche Diskussionen hinaus eine wichtige Grundlage für zukünftige Umweltschutzstrategien bilden. Insgesamt ermöglicht die Biomass-Mission einen Quantensprung in unserem Verständnis und unserer Fähigkeit, den Zustand der Wälder auf globaler Ebene präzise und verlässlich zu überwachen.
Die neuen Informationen können helfen, den weltweiten Klimawandel stärker einzudämmen, indem Schutz- und Aufforstungsmaßnahmen gezielter eingesetzt werden. So tragen Wissenschaft, Technik und internationale Zusammenarbeit gemeinsam dazu bei, den wertvollen Schatz der tropischen Wälder zu bewahren – für heutige und kommende Generationen. Die Herausforderungen bleiben groß. Doch mit Technologien wie dem Biomass-Satelliten rückt eine nachhaltigere Zukunft greifbarer in den Fokus. Die Wälder sind nicht nur Lebensraum für unzählige Tier- und Pflanzenarten, sondern auch ein zentraler Bestandteil der globalen Klimaregulation.
Ihren Beitrag zum Klimaschutz genau zu erfassen und zu schützen, ist eine Aufgabe von höchster Dringlichkeit und globaler Verantwortung.