Die Entwicklung von Software und von komplexen Systemen war stets ein Balanceakt zwischen Funktionalität und Komplexität. Seit den Anfängen der Programmierung begleitet Entwickler ein fundamentaler Leitsatz: Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem – die Dinge sollen nicht mehrfach geschaffen werden als unbedingt nötig. Dieses Prinzip, besser bekannt als Occam's Razor, stammt aus dem 14. Jahrhundert vom englischen Philosophen William von Ockham und fordert Entwickler, Wissenschaftler und Denker gleichermaßen zu schlichtestmöglichen Erklärungen oder Lösungen auf. Während sich die Welt der Technik und der Softwareentwicklung rasant weiterentwickelt, bleibt die Essenz dieses Gedankens aktueller denn je – und wird gleichzeitig durch den wachsenden Umfang an bestehenden Programmen und Systemen zunehmend herausgefordert.
Die Geschichte zeigt, dass dieses Prinzip nicht nur eine philosophische Maxime geblieben ist, sondern sich gerade in der Informatik in maßgeblicher Weise manifestiert hat. Niklaus Wirth, der Erfinder der Programmiersprache Pascal und eine bedeutende Persönlichkeit der Softwareentwicklung, hat die Idee der Einfachheit immer wieder in den Mittelpunkt seiner Arbeit gestellt. Pascal steht exemplarisch für eine Programmiersprache, die sich durch überschaubaren Code, klare Struktur und eine reduzierte Anzahl von Konzepten auszeichnet. Dies sollte die Entwicklung nicht nur erleichtern, sondern auch die spätere Wartung und Erweiterung von Programmen ermöglichen. Er legte einen Grundstein, der bis heute von vielen Programmiersprachenherstellern und Softwarearchitekten verfolgt wird.
Doch es ist nicht nur Wirth, der die Bedeutung von Einfachheit betont hat. Albert Einstein mahnte, dass man „so einfach wie möglich, aber nicht einfacher“ gestalten solle. Dieser Satz beschreibt das feine Gleichgewicht zwischen Minimalismus und notwendiger Komplexität. Eine zu starke Reduzierung führt unweigerlich zu Funktionsverlust und damit zu schlechteren Ergebnissen. Im gegenteiligen Extrem sehen wir heute oft mit großer Überraschung und wachsender Sorge, wie komplex und aufgebläht Softwareprodukte geworden sind.
Was früher mit wenigen Kilobytes Arbeitsspeicher und kleinen Compilern zu meistern war, benötigt heute oft mehrere Gigabyte und Milliarden Zeilen Code. Die Systeme sind voller Abhängigkeiten, redundanter Komponenten und nicht selten mit unnötiger Komplexität belastet. Wie beschreibt man das Phänomen auf den Punkt gebracht? Ein zeitgenössisches Zitat bringt es humorvoll auf den Nenner: „Those damned entia just keep on multiplicanding“. Frei übersetzt heißt das so viel wie „Diese verdammten Entitäten vermehren sich einfach weiter“. Es beschreibt die Tendenz, dass ein System sich immer weiter verkompliziert, weil ständig neue Objekte, Entitäten und Konzepte hinzugefügt werden anstatt existierende zu vereinfachen oder zu optimieren.
Dieser Effekt ist nicht nur auf die Software beschränkt, sondern zeigt sich in nahezu allen Bereichen der Technik und Verwaltung. Schauen wir uns die praktischen Auswirkungen an. In der Softwareentwicklung liegt die Herausforderung darin, wiederkehrende Strukturen und Muster zu erkennen und sinnvoll in eigenständige Routinen oder Bibliotheken auszulagern. Solche Aktionen reduzieren den Codeumfang, erhöhen die Wartbarkeit und verhindern Fehler, die durch redundanten Code entstehen können. Je klarer die Architektur eines Programms ist und je weniger unnötige Elemente enthalten sind, desto leichter sind Veränderungen und Anpassungen zu realisieren.
Hier zeigt sich die Eleganz eines guten Designs, bei dem die Kunst darin besteht, genau die richtige Balance zu finden zwischen Funktionalität und Einfachheit. In der Geschichte der Programmierung gab es viele Beispiele für Projekte, die durch unbedachte Verkomplizierung scheiterten oder nur mit hohem personellen und finanziellen Aufwand weiterentwickelt werden konnten. Dem gegenüber stehen Projekte und Programmiersprachen, die bewusst mit dem Anspruch auf Einfachheit entstanden sind, so wie Modula-2 und speziell Oberon, beide ebenfalls von Niklaus Wirth initiiert. Oberon trägt die Idee weiter, nicht nur auf sprachlicher Ebene, sondern auch auf Betriebssystem- und Hardwareebene durch gut strukturierte, kleine und effiziente Module zu einer besseren und nachhaltigen Softwareentwicklung beizutragen. Doch wo liegt das Problem, wenn Einfachheit so erstrebenswert ist? Warum wurden viele Anwendungen und Systeme im Laufe der Jahre immer komplizierter? Ein Grund liegt in den vielfältigen Anforderungen, die moderne Software erfüllen muss.
Unterschiedliche Plattformen, Integration von Drittanbietersystemen, Sicherheitsanforderungen, Benutzerfreundlichkeit und vieles mehr treiben die Komplexität in die Höhe. Als Gegenmaßnahme wurden manchmal Bibliotheken und Frameworks entwickelt, die mehr Probleme schaffen als sie lösen. Entwickler sind oft gezwungen, diese umfangreichen Werkzeuge zu nutzen, obwohl sie die Einfachheit früherer Zeiten vermissen. Ein weiterer wichtiger Aspekt betrifft die zeitlichen und wirtschaftlichen Zwänge in der Softwareentwicklung. Blaise Pascal bemerkte einst, dass es schwieriger ist, etwas kurz zu fassen als lang.
Dies trifft vor allem bei der Erstellung von sauber dokumentiertem und gut verständlichem Code zu, der gleichzeitig funktionell und performant sein muss. Zeitdruck und mangelnde Ressourcen führen häufig zu Kompromissen, die letztlich in komplizierten, schwer zu wartenden Projekten resultieren. Ein zukunftsweisender Ansatz zur Bekämpfung der Komplexität wurde bereits in den 1960er Jahren von Professor C.A.R.
Hoare entwickelt. Seine Theorie der Communicating Sequential Processes (CSP) wurde als Mittel zur Beherrschung der Herausforderungen der nebenläufigen Programmierung formuliert. Während moderne Programmiersprachen wie Java heute synchrone Threads und Mutexes verwenden, ist Hoares Konzept der Prozesse und der eleganten Kommunikation zwischen ihnen ein Modell, das Potenzial für die Entwicklung robuster und einfacher nebenläufiger Systeme verspricht. Leider ist die breite Umsetzung noch nicht auf dem Niveau, das die Komplexität der modernen Systeme wirklich dauerhaft reduziert. Wenn man also heute die Herausforderung betrachtet, gilt es wieder, den Geist von Occam und vereinfachter Denk- und Arbeitsweise aufzunehmen.
Dazu gehört nicht nur das Streben nach minimalem Code, sondern auch die Reduktion der Konzepte und die klare Trennung von Zuständigkeiten im System. Die Prinzipien schlanker Softwareentwicklung und agiles Vorgehen versuchen, diese Aspekte zu adressieren und so ein Gleichgewicht zwischen Innovation und Beherrschbarkeit zu schaffen. Gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass viele moderne Technologien selbst auf opulenter Funktionalität basieren. Cloud-Computing, künstliche Intelligenz oder Big Data setzen enorme Ressourcen und Komplexität voraus. Dennoch kann und sollte auch hier das Prinzip von Einfachheit als Leitmotiv gelten.
Durch kluges Design, modulare Strukturen und vorausschauende Planung lassen sich Systeme schaffen, die trotz ihrer Leistungsfähigkeit überschaubar bleiben. Ein weiteres inspirierendes Zitat stammt von Antoine de Saint-Exupéry, der als Designer sagte, man sei perfekt, wenn es nichts mehr gebe, das man wegnehmen könne. Dieser Gedanke legt nahe, dass Perfektion gerade in der Reduktion besteht – etwas, das gerade in der Softwareentwicklung oft vergessen wird, wenn neue Anforderungen jede Zeile Code vermehren wollen. Ebenso fordert Henry David Thoreau zur Vereinfachung auf und mahnt, dass das Leben zu sehr durch Details zerfransen wird. Diese philosophischen Perspektiven geben eine umfassende Erkenntnis darüber, wie Einfachheit als Schlüssel zur Qualität und Nachhaltigkeit verstanden werden kann.
Wenn man heuteSoftwareprojekte betrachtet, die sich durch hohe Komplexität auszeichnen, wird klar, wie wichtig eine konsequente Fokussierung auf Einfachheit und klare Architektur ist. Projekte, die frühzeitig modulare, gut dokumentierte und übersichtliche Strukturen verwenden, sparen später Zeit, Geld und Nerven. Es lohnt sich deshalb immer, zu Beginn einer Entwicklung möglichst viele Fragen der Einfachheit und Modularität zu stellen und vor allem auch umzusetzen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Mechanismen der Komplexitätsvervielfachung – eben jene „entia multiplicanda“ – eine große Herausforderung der heutigen Zeit darstellen. Die Erinnerung an historische Erkenntnisse und philosophische Weisheiten ist deshalb kein nostalgischer Rückblick, sondern ein dringend notwendiger Kompass.
Die klare Reduktion auf das Wesentliche ist nicht einfach, doch der nachhaltige Erfolg hängt davon ab. Die Kunst der Einfachheit ist ein unverzichtbarer Bestandteil moderner Technologieentwicklung und sollte mit stetigem Nachdruck gelebt werden, um nicht in die Falle immer wachsender Komplexität zu tappen.