Die medizinische Diagnostik steht an einem Wendepunkt. Wo bisher vor allem Blutproben und invasive Verfahren die Grundlage für die Erkennung von Krankheiten bildeten, eröffnet eine neue tragbare Technik völlig neue Perspektiven. Forscher der Universität Chicago haben ein Gerät entwickelt, das in der Lage ist, winzige Moleküle aus der Luft zu erfassen und auf diese Weise eine Diagnose zu ermöglichen – ganz ohne Nadeln oder Blutabnahme. Dieses innovative System mit dem Namen ABLE (Airborne Biomarker Localization Engine) könnte schon bald zahlreiche Anwendungen in der Medizin und im öffentlichen Gesundheitswesen revolutionieren. Traditionelle diagnostische Verfahren basieren meist auf flüssigen Proben wie Blut oder Urin.
Diese Methoden sind zwar etabliert und effektiv, aber oft unangenehm, zeitaufwendig und erfordern geschultes Personal sowie teure Laborausrüstung. Vor allem bei empfindlichen Patientengruppen wie Neugeborenen, chronisch Kranken oder Senioren stellt die Blutentnahme eine erhebliche Belastung dar. Die Möglichkeit, vergleichbare Informationen noninvasiv aus der Luft zu gewinnen, eröffnet daher ein enormes Potenzial. ABLE setzt dabei auf ein faszinierendes physikalisches Prinzip: Die Umwandlung der Luft in kondensiertes Wasser, um darin Schwebstoffe und Biomarker zu sammeln, die Aufschluss über den Gesundheitszustand geben können. Die winzigen Partikel in der Luft, wie Viren, Bakterien oder flüchtige organische Verbindungen, sind meist extrem verdünnt – oft nur eins zu einer Billion.
Bislang war es deshalb sehr schwierig, die Luft direkt auf solche Spuren zu untersuchen, da hierfür gewöhnlich stationäre und teure Großgeräte benötigt werden. Das Herzstück des Systems ist eine speziell entwickelte Oberfläche, die mit mikroskopisch kleinen Siliziumspitzen ausgestattet ist. Diese Spitzen sind etwa 200 Mal dünner als ein menschliches Haar und fördern das gezielte Bilden von Wassertropfen. Die Prozesskette beginnt mit einer Pumpe, die Luft ansaugt. Anschließend wird die Luft mit Wasserdampf befeuchtet und durch ein kompaktes Kühlsystem stark abgekühlt.
Diese Kombination führt dazu, dass sich die Luft in feine Wassertropfen kondensiert. Die in der Luft enthaltenen Biomoleküle verbleiben in den Tropfen und werden so konzentriert. Die entstandenen Tröpfchen fließen auf der glatten Oberfläche in einen kleinen Behälter, der dann direkt mit herkömmlichen Labormethoden analysiert wird. Dank dieser Umwandlung von Luft in Flüssigkeit lassen sich zahlreiche Tests durchführen, die bislang nur mit flüssigen Proben möglich waren. Als Beweis der Funktionalität diente ein einfacher Test mit Dampf von Kaffee: Schon der Geruch aus den gesammelten Tropfen zeigte, dass sich flüchtige Verbindungen erfolgreich einfangen lassen.
In weiteren Experimenten konnten Forscher Glukose in der Atemluft nachweisen, Bakterien wie E. coli erkennen sowie Entzündungsmarker bei Mäusen erfassen. Die Anwendungsgebiete von ABLE sind vielfältig und geradezu bahnbrechend. Besonders in der Neonatologie könnte diese Technik einen Paradigmenwechsel herbeiführen. Ungeborene und frühgeborene Kinder sind sehr empfindlich und leiden häufig unter Infektionen oder Entzündungen, die schnell erkannt werden müssen.
Da herkömmliche Blutentnahmen bei diesen Patienten problematisch sind, ermöglichen nicht-invasive Überwachungen mit ABLE eine schonendere Betreuung mit geringerer Belastung. Auch in Krankenhäusern und öffentlichen Einrichtungen könnte das Gerät zur schnellen Erkennung von luftgetragenen Krankheitserregern beitragen. So ist denkbar, dass Viren oder bakterielle Keime in der Luft frühzeitig identifiziert werden, wodurch Infektionsketten besser kontrolliert werden können. Dies ist insbesondere in Zeiten von Pandemien oder saisonalen Grippewellen von großer Bedeutung. Für Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes könnte ABLE den Alltag erleichtern.
Statt sich regelmäßig Blutzucker messen zu müssen, könnten Betroffene ihren Glukosewert künftig durch einen Atemtest ermitteln. Dies minimiert den Komfortverlust und erhöht die Compliance, also die Bereitschaft zur regelmäßigen Kontrolle. Die Technologie steckt noch in den Kinderschuhen, doch die Forscher sind zuversichtlich, dass weitere Verbesserungen möglich sind. Ziel ist es, das Gerät noch kompakter und tragbarer zu gestalten, um es eines Tages tragbar oder sogar wearable zu machen. Zudem werden derzeit verschiedene Biomarker erforscht und katalogisiert, um die Diagnosemöglichkeiten zu erweitern.
Da die Erforschung der Luftmoleküle hochinteressante Einblicke in neue physikalische Prozesse liefert, könnten auch fundamentale wissenschaftliche Erkenntnisse aus ABLE hervorgehen. Der interdisziplinäre Ansatz, der Mechanik, Thermodynamik und Analytische Chemie verbindet, macht ABLE zu einem einzigartigen Projekt mit weitreichendem Einfluss. Das Engagement von Medizinern, Ingenieuren und Physikern zeigt, wie enge Zusammenarbeit Innovationen vorantreibt, die weit über einzelne Fachgebiete hinaus wirken. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass diese bahnbrechende Technologie das Potenzial hat, die medizinische Diagnostik zu revolutionieren. Sie bietet eine schonende, schnelle und präzise Alternative zu herkömmlichen Bluttests und könnte in Zukunft die Früherkennung von Krankheiten, die Überwachung der öffentlichen Gesundheit sowie die Lebensqualität vieler Patienten maßgeblich verbessern.
Da das Erfassen von in der Luft enthaltenen Biomolekülen bislang kaum erforscht ist, eröffnet ABLE darüber hinaus zahlreiche neue wissenschaftliche Fragestellungen und Praxisanwendungen. Die ständige Suche nach weniger invasiven, effizienteren und patientenfreundlicheren Diagnosemethoden erhält mit ABLE eine innovative Antwort. Während die Technologie weiterentwickelt und für den Alltag nutzbar gemacht wird, bleiben die Erwartungen hoch. Es ist gut vorstellbar, dass nicht-invasive Atemtests in Zukunft zum medizinischen Standard werden und unseren Umgang mit Krankheitserkennung grundlegend verändern.