Barrierefreiheit ist längst kein Luxus mehr, sondern eine Notwendigkeit in der Softwareentwicklung. Das Ziel ist es, digitale Anwendungen für möglichst viele Menschen zugänglich und nutzbar zu machen – ganz unabhängig von individuellen Einschränkungen. Die GTK-Bibliothek, ein zentraler Bestandteil des GNOME-Desktop-Ökosystems, hat sich dieser Herausforderung angenommen und in den letzten Monaten bedeutende Fortschritte erzielt. Diese Entwicklung unterstreicht das Engagement der GTK-Community für eine inklusive und vielfältige Nutzererfahrung. Die Frage, ob eine Distribution wie Fedora wirklich barrierefrei ist, lässt sich nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten.
Es hängt vielmehr individuell davon ab, ob das System für den jeweiligen Nutzer geeignet ist, also ob seine speziellen Bedürfnisse und Anforderungen erfüllt werden. Barrierefreiheit ist ein komplexes Thema, das viele Nuancen und technische Aspekte beinhaltet. Die jüngsten Updates zeigen jedoch eindrucksvoll, dass es sowohl auf technischer Ebene als auch hinsichtlich der Nutzerfreundlichkeit große Fortschritte gibt. Ein bedeutender Meilenstein ist die Integration eines neuen Accessibility-Backends namens AccessKit in die GTK-Version 4.18.
Dieses Backend wurde im Rahmen der sogenannten STF-Initiative entwickelt und stellt für die GTK-Entwicklung eine Revolution dar. Bislang war Barrierefreiheit bei GTK überwiegend auf Linux beschränkt. Mit AccessKit öffnet sich ein neues Kapitel, denn GTK-Anwendungen sind erstmals auf Windows und macOS über dieses Backend barrierefrei zugänglich. Damit erweitert sich der Nutzerkreis erheblich und GTK wird zu einer plattformübergreifenden Lösung, die den Grundsatz der Inklusion konsequent unterstützt. Besonders bemerkenswert ist, dass AccessKit auf Rust basiert, einer modernen Programmiersprache, die für ihre Sicherheit und Effizienz bekannt ist.
Erstmals findet damit eine Rust-Abhängigkeit Eingang in das GTK-Ökosystem. Diese technische Neuerung könnte Weichen für zukünftige Entwicklungen stellen, denn mit Rust verbunden sind Vorteile wie verbesserte Performanz und erhöhter Schutz vor Speicherfehlern – Aspekte, die insbesondere bei sicherheitskritischen und barrierefreien Anwendungen relevant sind. Anwender, die das neue Backend ausprobieren möchten, können GTK mit der Option -Daccesskit=enabled kompilieren und die Umgebungsvariable GTK_A11Y=accesskit setzen. Zwar ist AccessKit unter Linux bereits funktional, dort wird aktuell noch standardmäßig das alte at-spi Backend genutzt. Informationen darüber, welches Accessibility-Backend gerade aktiv ist, sind im GTK-Inspector abrufbar, einem Tool, das Entwicklern und Testern hilft, Barrierefreiheitseigenschaften von Anwendungen zu überprüfen und zu optimieren.
Eine weitere wichtige Lücke im Bereich der Barrierefreiheit unter Wayland betraf bislang die fehlende Unterstützung spezieller Tastenkombinationen, die das Orca-Screenreader-Projekt bereitstellt. Diese Shortcuts sind unverzichtbar für viele sehbehinderte Nutzer, da sie schnelle Zugriffe und Steuerungsmöglichkeiten bieten, die das Arbeiten am Computer erheblich erleichtern. Im Zuge der STF-Initiative wurde ein neues Accessibility-Protokoll als Prototyp entwickelt, das diese Tastenkombinationen mit einbeziehen sollte. Obwohl die komplette Umsetzung dieses Protokolls bislang nicht abgeschlossen und nicht im offiziellen GTK-Repositorium integriert ist, haben die Entwickler Lukáš Tyrychtr und Carlos Garnacho die wichtige Unterstützung für Orca-Tastenkürzel extrahiert, weiterentwickelt und in GNOME 48 eingebaut. Damit wurde eines der größten Hindernisse für eine bessere Barrierefreiheit unter Wayland beseitigt.
Die Barrierefreiheit bei Webbrowsern stellt eine besonders komplexe Herausforderung dar. Der Browser GNOME Web, der WebkitGTK als Rendering-Engine verwendet, wurde von Georges Basile Stavracas Neto gründlich überarbeitet, um ihn zugänglicher zu machen – selbst wenn er als Flatpak-Anwendung in einer Sandbox ausgeführt wird. Die Komplexität dieser Aufgabe zeigte sich unter anderem in Sicherheitsbeschränkungen und der Isolation, die Flatpak standardmäßig mit sich bringt. Das Ergebnis ist beeindruckend: GNOME Web ist nun ein vollständig barrierefreier Browser, der in einer sicheren, sandboxed Umgebung läuft. Damit steht ein modernes und sicheres Surferlebnis mit verbesserter Zugänglichkeit zur Verfügung.
Auch für Entwickler und Tester von barrierefreien Anwendungen gibt es Neuigkeiten. Elevado ist ein neues Tool, das den bisherigen Standard Accerciser ergänzt und in Rust implementiert wurde. Die Portierung in diese moderne Sprache macht Elevado nicht nur leistungsfähiger, sondern auch attraktiver für Entwickler, die Wert auf moderne Werkzeuge legen. Mit Elevado können Anwender und Entwickler die Informationen durchsuchen, die eine Anwendung über den Accessibility-Bus bereitstellt. Dies erleichtert die Fehlersuche und Optimierung von Software, um deren Barrierefreiheit zu verbessern.
Neben den großen Neuerungen gab es zahlreiche kleinere aber nicht weniger wichtige Verbesserungen in der Barrierefreiheit der GTK-Bibliothek und ihrer begleitenden Komponenten. So wurden in bestehenden Widgets fehlende barrierefreie Beschriftungen, Tooltips und Tastenkürzel ergänzt, beispielsweise im Dateiauswahl-Dialog. Auch bei Listboxen wurde dafür gesorgt, dass Screenreader wie Orca die enthaltenen Informationen korrekt wiedergeben. Ein weiteres Augenmerk liegt auf der Usability. Die Accessibility-Overlay-Funktion im GTK-Inspector zeigt nun an, wenn Schaltflächen zu klein sind, um gut erreichbar zu sein.
Dies trägt dazu bei, Bedienfehler zu vermeiden und die Nutzerfreundlichkeit nicht nur für Menschen mit Einschränkungen zu verbessern. Assistive Technologien erhalten jetzt auch erweiterte Benachrichtigungen über Zustandsänderungen der Plattform, etwa wenn der Fokus innerhalb einer Anwendung verschoben wird. Zudem können benutzerdefinierte Accessibility-Implementierungen solche Events auslösen und somit eine präzisere Integration und Interaktion mit Hilfstechnologien ermöglichen. Besonders erwähnenswert ist die verbessere Unterstützung für Tastenkürzel und sogenannte Mnemonics, also angezeigte Tastenkombinationen, die das Navigieren mit der Tastatur erleichtern. Die Art und Weise, wie diese Informationen Orca präsentiert werden, wurde optimiert, sodass sehbehinderte Nutzer hier einen spürbaren Fortschritt erleben.
Auch die Darstellung von Textattributen in barrierefreien Kontexten wurde verbessert – eine Arbeit, die durch Beiträge des LibreOffice-Teams unterstützt wurde. Die Integration dieser Verbesserung zeigt, wie Zusammenarbeit und Community-Beiträge miteinander verknüpft sind und die gesamte Softwarelandschaft zugänglicher machen. Die libadwaita-Bibliothek, ein wichtiger Bestandteil moderner GTK-Anwendungen, erhielt ebenfalls eine Reihe von Accessibility-Optimierungen. So werden Benachrichtigungen wie Toasts nun zuverlässig an Assistive Technologien gemeldet. Auch viele Widgets, darunter Aktionsleisten, wurden barrierefreier gestaltet, was zu einer konsistenteren und komfortableren Benutzererfahrung beiträgt.