Thailand galt jahrzehntelang als eine beeindruckende Erfolgsgeschichte in Südostasien. Eine anhaltende wirtschaftliche Entwicklung, starke Exportzahlen und eine lebendige Tourismusbranche machten das Land zu einem bedeutenden Akteur in der Region. Doch nach inzwischen mehr als zwanzig Jahren politischer Turbulenzen zeigen sich klare Anzeichen für eine wirtschaftliche Stagnation, die das Land zunehmend in seiner Entwicklung zurückhält. Die Zeiten, in denen man von „Teflon Thailand“ sprach, sind vorbei: Die einst widerstandsfähige Wirtschaft hat ihre Widerstandskraft verloren und kämpft nun mit anhaltenden Wachstumsproblemen. Politische Unsicherheit, strukturelle Schwächen und ein sich verschärfendes internationales Wettbewerbsumfeld lasten auf der thailändischen Wirtschaft und drohen den Status des Landes als führende Wirtschaftsmacht in der Region zu untergraben.
Der langfristige Einfluss politischer Instabilität auf die Wirtschaft ist wohl der eindrucksvollste Faktor bei der Analyse der aktuellen Situation Thailands. Das Land hat in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt Militärputsche erlebt, veränderte Verfassungen verabschiedet und politische Parteien wurden aufgelöst - trotz ständiger Wahlerfolge politischer Gruppierungen, die Reformen forderten. Diese politische Volatilität hat dazu geführt, dass Investoren immer vorsichtiger wurden und die wirtschaftliche Planung auf lange Sicht erschwert ist. Während das Land in den Jahrzehnten vor der Krise von 1997/98 trotz politischer Herausforderungen noch jährliche Wachstumsraten von etwa sieben Prozent vorweisen konnte, hat die instabile Politik danach zu einer deutlichen Abnahme des Wirtschaftswachstums geführt. In den Jahren zwischen 1999 und 2005 lag das jährliche Wachstum zwar noch bei soliden fünf Prozent, doch seither ist der Aufwärtstrend eingebrochen.
Aktuell bewegt sich das Wirtschaftswachstum bei nur noch rund drei Prozent und verzeichnet sogar Abwärtstendenzen, wobei 2023 lediglich 1,9 Prozent Wachstum erreicht wurden. Die Prognosen für 2024 zeigen ebenfalls eine pessimistische Entwicklung. Die National Economic and Social Development Council hat die Wachstumsprognosen mehrfach nach unten korrigiert, und auch internationale Institutionen wie die Weltbank und die Zentralbank Thailands sehen nur moderate Zuwächse. Diese Entwicklung wird maßgeblich von externen und internen Faktoren beeinflusst. Auf globaler Ebene wirken geostrategische Spannungen – insbesondere der Handelskonflikt zwischen den USA und China – dämpfend auf die Nachfrage nach thailändischen Exportgütern.
Zudem beeinträchtigen Lieferkettenprobleme und allgemeine Unsicherheiten den Außenhandel, während das Land gleichzeitig von steigendem Wettbewerb in der Region unter Druck gesetzt wird. Innenpolitisch stellt vor allem die anhaltende Unsicherheit durch häufige Regierungswechsel, die Einflussnahme des Militärs sowie kontroverse Themen wie die Reform des Königsverehrungsgesetzes (Lesemajestät) schwere Hindernisse für nachhaltige wirtschaftliche Reformen dar. Die jüngste Wahl im Mai 2023 wurde von vielen als entscheidender Wendepunkt gesehen. Die aufstrebenden Parteien Move Forward und Pheu Thai erhielten eine klare Zustimmung der Wähler und versprachen eine umfassende Modernisierungspolitik. Doch trotz des Wahlerfolges sind fast keine substantiellen Veränderungen eingetreten.
Das offensichtlichste Beispiel ist die drohende Auflösung der Partei Move Forward aufgrund ihrer Forderungen nach Reformen der umstrittenen Gesetze. Selbst die regierende Pheu Thai Partei stößt bei wichtigen Reformvorhaben immer wieder auf Blockaden, insbesondere wenn es um grundlegende Veränderungen im Militär- oder Monarchiebereich geht. Diese Blockaden lähmen die politische Handlungsfähigkeit und verhindern, dass die Wirtschaft dringend nötige Impulse erhält. Die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Stagnation sind in verschiedenen Sektoren deutlich sichtbar. Besonders bemerkbar macht sich der Rückgang in der traditionell starken Automobilindustrie, die einen bedeutenden Beitrag von etwa 11 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) leistet.
Malaysia hat Thailand inzwischen als zweitgrößten Automobilmarkt in ASEAN überholt, obwohl der malaysische Markt weniger als halb so groß ist. Große japanische Automobilhersteller diskutieren offen über eine teilweise Verlagerung ihrer Produktionskapazitäten aus Thailand heraus, insbesondere wenn die thailändische Regierung ihre Präferenz zugunsten chinesischer Elektromodelle setzt. Diese Entwicklungen deuten auf eine erhebliche Schwächung der attraktiven Investitionsbedingungen hin und lassen die Wettbewerbsfähigkeit Thailands hinter der seiner Nachbarn zurückfallen. Ein weiterer Indikator für den Abstieg Thailands in der regionalen Wirtschaftsrangliste ist der Rückgang bei ausländischen Direktinvestitionen (FDI). Noch vor einem Jahrzehnt war Thailand die zweitstärkste Zielregion für FDI in ASEAN, nur hinter Singapur.
Mittlerweile befindet sich Thailand lediglich an fünfter Stelle, hinter Ländern wie Indonesien, Vietnam und Malaysia. Diese Neuausrichtung der Investorenpräferenzen ist ein klares Signal dafür, dass das Land seine früheren Vorteile verliert – sei es aufgrund politischer Risiken, höherer Betriebskosten oder unzureichender Infrastrukturentwicklung. Auch andere Bereiche, die als „Spiegel“ der volkswirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit gelten, zeigen eine negative Tendenz. Thai Airways International, einst Aushängeschild der nationalen Luftfahrt, taucht 2024 nicht mehr in den Rankings der besten Premium-Airlines weltweit auf. Die Probleme mit Nepotismus, Korruption und ineffizienter Unternehmensführung bei der Fluggesellschaft sind symptomatisch für viele staatliche oder halbstaatliche Einrichtungen, deren schlechte Performance letztlich auch die Attraktivität des Landes für internationale Partner schwächt.
Ebenso sinkt die internationale Wettbewerbsfähigkeit thailändischer Universitäten kontinuierlich. Während Singapore und Malaysia rigoros in ihre Bildungsinstitutionen investieren, fremdelt Thailand weiterhin mit wichtigen Innovationsthemen in seiner Ausbildungspolitik. Die schlechten Ergebnisse bei internationalen Pisa-Tests und ein Fokus auf traditionelle Werte statt auf Zukunftskompetenzen wie Programmieren geben Zeugnis davon. Die Gründe für die anhaltende wirtschaftliche Stagnation Thailands sind vielfältig und tief verwurzelt. Die politische Instabilität ist dabei jedoch der zentrale Motor, der andere Herausforderungen wie Fachkräftemangel, rückläufige Investitionen und strukturelle Reformen behindert.
Ohne grundlegende politische Erneuerungen und eine Öffnung gegenüber notwendiger Modernisierung sind die Chancen gering, dass Thailand seine Rolle als wirtschaftlicher Vorreiter in Südostasien zurückgewinnen kann. Die Auswirkungen der wirtschaftlichen Stagnation reichen auch weit in die Gesellschaft hinein. Die Möglichkeit für die breite Bevölkerung, von wirtschaftlichem Wohlstand zu profitieren und ihre Lebensqualität zu verbessern, nimmt ab. Hohe Haushaltsverschuldung, steigende Lebenshaltungskosten und eine limitierte Arbeitsmarktsituation drücken das Potenzial für Ersparnisse und Investitionen in Bildung oder Unternehmensgründungen. Das Land droht zunehmend, den Anschluss an dynamisch wachsende Nachbarländer wie Vietnam zu verlieren, deren Wirtschaft bereits in wenigen Jahren Thailand einholen oder gar überholen könnte.
Trotz dieser düsteren Perspektiven gibt es Hoffnungsschimmer. Die Wahl 2023 hat gezeigt, dass ein großer Teil der Bevölkerung Veränderung wünscht und bereit ist, politische Reformen zu unterstützen. Die Herausforderung besteht nun darin, dass politische Akteure konsensfähig und pragmatisch agieren, um gesetzliche Blöcke aufzulösen und wirtschaftspolitische Maßnahmen umzusetzen, die sowohl internationale Investoren zurückgewinnen als auch die heimische Wirtschaft dynamischer und nachhaltiger gestalten. Gleichzeitig sollte Thailand seine Bildungs- und Innovationsbereiche stärken, um langfristig im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Die Zukunft Thailands steht an einem Scheideweg.
Entweder gelingt es dem Land, seine politisch bedingten Bremsspuren zu überwinden und wirtschaftliche Potenziale zu reaktivieren, oder es droht, in der Rangliste der globalen Wirtschaftsakteure zurückzufallen und durch seine Nachbarn auf regionaler Ebene überholt zu werden. Für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gilt es, nun entschlossen und gemeinsam die Weichen für einen neuen Aufbruch zu stellen, der Thailand wieder zu einem Vorbild für Dynamik und Stabilität in Südostasien macht.