Die NHS-Datenplattform von Palantir steht derzeit im Zentrum einer intensiven Debatte in Großbritannien. Seit dem Jahr 2023 hat das US-amerikanische Technologieunternehmen Palantir einen milliardenschweren Vertrag mit dem britischen Gesundheitsdienst NHS abgeschlossen, der ihnen die Entwicklung und Implementierung einer neuen Datenplattform für die Verwaltung von Patientendaten ermöglicht. Trotz der immensen Bedeutung dieser Daten und der enormen öffentlichen Finanzierung ist die Akzeptanz der Plattform bei einer überwältigenden Mehrheit der Krankenhäuser enttäuschend niedrig. Dies wirft wichtige Fragen bezüglich Datenschutz, technischer Leistungsfähigkeit und der politischen Einflussnahme auf. Die Motivation hinter dem Palantir-Projekt war von Anfang an klar: Der NHS beherbergt detaillierte Gesundheitsdaten von mehr als 65 Millionen Menschen, was den NHS zu einer der wertvollsten Datenquellen weltweit macht.
Die britische Regierung unter der konservativen Führung sah in Palantir einen technischen Partner, der durch seine Expertise und Ressourcen in der Lage sein sollte, diese Daten effizienter zu managen und so die Verwaltung und Qualität der Gesundheitsversorgung zu verbessern. Mit einem Vertrag im Wert von etwa 330 Millionen Pfund war die Erwartungshaltung hoch, doch die Realität gestaltet sich deutlich komplexer. Bedenken bezüglich Privatsphäre und ethischer Verantwortung begleiten das Projekt von Anfang an. Palantir, mitbegründet von Peter Thiel – einer kontroversen Persönlichkeit, die beispielsweise den NHS kritisch als „krankmachend“ bezeichnet hat –, wurde schon zuvor für seine enge Zusammenarbeit mit Regierungen und Geheimdiensten kritisiert. Die eigene Vergangenheit des Unternehmens, etwa im Zusammenhang mit der Unterstützung von Maßnahmen der US-Regierung zur Überwachung und Verfolgung von Migranten, sorgt für ein nachhaltiges Misstrauen unter vielen Nutzern und Experten.
Diese punkten jedoch nicht nur auf ethischer Ebene, sondern auch an der praktischen Umsetzbarkeit. Aktuelle Statistiken des NHS zeigen, dass bis Ende 2024 weniger als ein Viertel der 215 Krankenhaus-Aufsichtsbehörden in England die Palantir-Plattform tatsächlich aktiv nutzen. Dokumente aus jüngster Zeit, die von investigativen Medien veröffentlicht wurden, unterstreichen, dass viele Krankenhäuser Palantirs Software schlichtweg als unzureichend bewerten. Einige kritische Stellungnahmen gehen sogar so weit, die Leistungsfähigkeit der Plattform als schlechter einzustufen als bereits existierende Systeme vor Ort. Die NHS Greater Manchester beschreibt in einem Schreiben an die Gesundheitsbehörden, dass keine der von Palantir entwickelten Lösungen aktuell die Kapazitäten und Fähigkeiten vor Ort übersteige.
Noch eindeutiger wurde das Leeds Teaching Hospitals NHS Trust, das offen erklärt, dass die Einführung der Palantir-Tools für bestimmte Anwendungen zu einem Funktionsverlust führen würde, anstatt den Nutzen zu steigern. Auch andere Einrichtungen, wie etwa Berkshire Healthcare NHS Foundation Trust, lehnten eine Teilnahme am Palantir-Programm mit der Begründung ab, „keine Pläne zur Einführung“ zu haben. Das mangelnde Interesse und der skeptische Umgang mit Palantirs Plattform zwangen die britische Gesundheitsbehörde, im Jahr 2024 eine Beratungsfirma, KPMG, mit einem acht Millionen Pfund teuren Auftrag zu beauftragen. Ziel war es, die Akzeptanz und Einführung der Palantir-Technologie im NHS zu fördern – ein Indikator dafür, wie dramatisch die anfängliche Zurückhaltung gewesen sein muss. Palantir selbst gibt an, dass mittlerweile 72 der Krankenhäuser die Plattform verwenden und rund die Hälfte der Einrichtungen die Nutzung für die Zukunft geplant haben.
Dennoch liegen die Nutzerzahlen unter einem Drittel und sind seit Vertragsabschluss kaum gestiegen. Insbesondere Fachleute aus dem Bereich NHS-Datenmanagement heben hervor, dass viele Krankenhäuser bereits vergleichbare oder sogar bessere Werkzeuge verwenden, was die Notwendigkeit der neuen Palantir-Software infrage stellt. Ein weiteres kritisches Element ist die schnelle Expansion Palantirs im UK-Markt, die von Beobachtern als Teil einer durchdachten „Land and Expand“-Strategie bewertet wird. Dabei nutzt das Unternehmen zunächst kostenlose oder extrem günstige Einführungsverträge, um sich Zugang zu verschaffen, um später die Preise deutlich zu erhöhen. Diese Praxis sorgte für juristische Auseinandersetzungen und eine öffentliche Debatte über mögliche undurchsichtige Vertragsbedingungen und Abhängigkeiten.
Politisch sind die Verbindungen von Palantir in Großbritannien ebenso bemerkenswert wie umstritten. Das Unternehmen besitzt enge Verbindungen zu einzelnen hochrangigen Politikern beider Seiten – sowohl ex-Labour-Führungsfiguren als auch ehemaligen konservativen Ministern. Die Nähe zu einflussreichen Beratern und Lobbyisten, wie Peter Mandelson, verleiht Palantir eine beträchtliche Machtposition, die in der Öffentlichkeit und unter Experten auf Kritik stößt. Ethische Bedenken erstrecken sich auch auf Palantirs internationale Aktivitäten. Das Unternehmen wird beschuldigt, Technologien an das israelische Militär zu liefern, das diese angeblich für „KI-basierte vorausschauende Polizeiarbeit“ in den umstrittenen Gebieten Gaza und Westjordanland nutzt.
Dies hat zu Protesten von UK-Gesundheitsarbeitern geführt, die eine engere Verknüpfung Palantirs mit sensiblen Patientendaten „inakzeptabel“ finden. Palantir bestreitet diese Vorwürfe und betont, dass ihre NHS-Technologien nichts mit solchen Polizeiprogrammen zu tun haben. Trotz aller Kritik arbeiten einige Großkrankenhäuser weiterhin an einer Teilintegration der Palantir-Plattform. Leeds Teaching Hospitals plant beispielsweise, Palantirs Tools für bestimmte Behandlungsempfehlungen zu nutzen, während es weitere Bereiche wie die Ambulanzbetreuung weiterhin mit eigenen Systemen verwaltet. Auch NHS Greater Manchester hat angedeutet, dass sie momentan an der Einführung der Plattform arbeiten.
Die politische Landschaft um Palantir ist ebenfalls Gegenstand intensiver Diskussionen. Während der damalige Oppositions-Gesundheitsminister Wes Streeting das langsame Tempo der Plattform-Einführung kritisierte, scheint die Haltung der Labour-Partei in jüngerer Zeit offener gegenüber Palantir geworden zu sein. Dies zeigt sich unter anderem durch die Anstellung eines Lobbying-Beraters von Peter Mandelson durch Palantir und durch Besuche hochrangiger Labour-Politiker in den US-Büros von Palantir. Diese Entwicklungen werfen fundamentale Fragen auf. Warum scheint ein so wichtiges und technisch anspruchsvolles Projekt in der Praxis zu scheitern? Ist die Technik wirklich unzureichend oder steht die mangelnde Akzeptanz im Zusammenhang mit tiefgreifenden gesellschaftlichen und politischen Konflikten? Wie soll ein öffentlicher Gesundheitsdienst mit sensiblen Daten umgehen, wenn das Unternehmen hinter der Plattform auf umstrittene Politiken und Aktivitäten zurückblicken muss? Die Situation rund um Palantirs NHS-Datenplattform ist ein Paradebeispiel für die Herausforderungen, die entstehen, wenn technologische Innovationen mit politischen und ethischen Fragen kollidieren.
Einerseits sind digitale Lösungen für Gesundheitsdatenmanagement unbestritten ein Schlüssel zur Modernisierung und Effizienzsteigerung, andererseits muss Transparenz, Datenschutz und Vertrauen gewährleistet sein. Vor diesem Hintergrund gilt es, die zukünftige Rolle von Palantir und ähnlichen Anbietern kritisch zu hinterfragen. Das NHS steht vor der Aufgabe, einerseits technologisch Schritt zu halten, andererseits aber auch das Vertrauen von Patienten, Mitarbeitern und der Öffentlichkeit zu bewahren. Ob Palantir dazu in der Lage ist, bleibt angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen offen und wird wohl noch länger zu kontroversen Debatten führen.