Die Vereinten Nationen gelten als internationale Bühne, auf der grundlegende Werte wie Menschenrechte, Gerechtigkeit und Freiheit weltweit verhandelt werden. Doch hinter den Kulissen baut China seine Präsenz zunehmend strategisch aus, um die internationale Kritik an seiner Innenpolitik zu dämpfen und seine Narrative zu kontrollieren. Eine neue investigative Analyse des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) hat ergeben, dass China am UN-Menschenrechtsrat in Genf systematisch eine Armee von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aufbaut, die nur scheinbar unabhängig sind, in Wahrheit aber eng mit der chinesischen Regierung oder der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) verknüpft sind. Diese sogenannten „Gongos“ – government-organized non-governmental organizations – verfolgen das Ziel, Kritiker mundtot zu machen, Einwände zu unterdrücken und pro-chinesische Stimmen in den Vordergrund zu rücken. Die Analyse umfasst 106 NGOs aus der Volksrepublik China, Hongkong, Macau und Taiwan, die bei den Vereinten Nationen registriert sind.
Von diesen haben 59 eindeutig Verbindungen zu staatlichen Stellen oder der Partei. Diese Verflechtung wirft ein beunruhigendes Licht auf die Rolle, die solche Organisationen bei der internationalen Menschenrechtspolitik spielen. Die Nachrichtenagentur AFP berichtet, dass bei den jährlichen Untersuchungen zur Menschenrechtslage Chinas am UN-Menschenrechtsrat mittlerweile mehr als die Hälfte der NGOs, die Rederecht erhalten, pro-chinesische Gruppen sind. Ein Umstand, der von Experten als „korrosiv“ und „unehrlich“ bezeichnet wird, da er darauf abzielt, sowohl Fakten als auch moralische Ansprüche zu verwässern und die wahre Situation der Menschenrechte in China zu verschleiern. Während legitime NGOs immer wieder schwere Vorwürfe wie die systematische Unterdrückung ethnischer Minderheiten, die Trennung tibetischer Kinder von ihren Familien oder die Repression demokratischer Bewegungen in Hongkong ansprechen, treten diese staatlich beeinflussten NGOs aggressiv dagegen auf.
Sie versuchen, diese kritischen Stimmen zu unterbrechen, die Debatten zu stören oder sogar zeugen in ihrer Zeugenaussage einzuschüchtern. Der ehemalige UN-Hochkommissar für Menschenrechte Michelle Bachelet veröffentlichte 2022 einen Bericht, der schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen an der Minderheit der Uiguren im westlichen Xinjiang als mögliche „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnete. Trotz dieser dramatischen Enthüllungen präsentieren Pro-China-NGOs ein gänzlich anderes Bild, loben Pekings Politik und leugnen die Vorwürfe. Die Kampfzone Menschenrechtsrat wird somit auch zur Plattform von Desinformation und Propaganda. Ein besonders alarmierendes Element ist die Überwachung und Einschüchterung von Aktivisten, die am UN-Menschenrechtsrat tätig sind oder vor diesem Zeugnis ablegen wollen.
Die Untersuchung des ICIJ zeigt, dass zahlreiche Menschenrechtsanwälte und -aktivisten in Genf von Personen beobachtet wurden, die mutmaßlich als Spione der chinesischen Regierung agieren. So berichteten Zeugen von heimlichen Fotografien, unerwünschten Begegnungen und unaufhörlicher Kontrolle. In einem dokumentierten Fall mussten Menschen, die sich zu einem geheimen Treffen mit UN-Vertretern trafen, abrupt ihren Veranstaltungsort wechseln, da Mitarbeiter einer verdächtigen Organisation ungefragt erschienen. Solche Aktionen senden eine klare Botschaft an Menschenrechtsverteidiger: Man steht unter ständiger Beobachtung, und kritische Äußerungen können gefährliche Konsequenzen haben. Der Fall der Aktivistin Cao Shunli markiert die Schattenseite dieser Repressionsstrategie.
Cao wollte 2013 zu einer UN-Überprüfung der chinesischen Menschenrechtslage nach Genf reisen, wurde von den chinesischen Behörden jedoch festgenommen und mehrere Monate ohne Anklage inhaftiert. Sie erkrankte schwer und starb 2014 in Haft. Ihr Schicksal steht stellvertretend für die Gefahr, die Menschenrechtsaktivisten in China ausgesetzt sind, und verdeutlicht, wie effektiv die Einschüchterungsmaßnahmen der KPCh wirken. In Folge dieser Methoden ist die Beteiligung chinesischer Aktivisten an UN-Menschenrechtsaktivitäten auf ein Rekordtief gesunken. Während zugleich die Anzahl der bei der UN registrierten chinesischen NGOs, die teilweise als Sprachrohre Pekings agieren, seit 2018 nahezu verdoppelt wurde.
Die Expansion dieser Fake-NGOs ist Teil einer breiteren Strategie Pekings, das globale Narrativ über China zu steuern. Indem die Regierung vermeintlich zivilgesellschaftliche Organisationen ins Leben ruft und diese am Menschenrechtsrat beteiligt, vermittelt sie den Eindruck eines pluralistischen Dialogs, der internationale Zweifel beruhigen soll. Doch diese Organisationen sind oftmals wenig mehr als Durchführungsinstrumente staatlicher Propaganda, deren Ziel es ist, Kritik an Pekings Politik zu delegitimieren und die internationale Gemeinschaft von der wahren Ausprägung der Menschenrechtsverletzungen abzulenken. Der UN-Menschenrechtsrat – eigentlich als Forum für den Schutz universeller Menschenrechte ins Leben gerufen – wird dadurch strukturell untergraben. Die Glaubwürdigkeit der Debatten leidet, da Aussagen von regierungsnahen NGOs die kritischen Stimmen übertönen und verzerren.
Gerade angesichts der globalen Bedeutung der menschenrechtlichen Debatte ist dieses Vorgehen nicht nur ein Problem für die unmittelbaren Opfer in China, sondern für die gesamte internationale Gemeinschaft. Es stellt die Integrität multilateraler Institutionen und den Schutz der Menschenrechte weltweit infrage. Die investigative Recherche der ICIJ, die in Zusammenarbeit mit 42 Medienpartnern entstanden ist, bietet wichtige Einblicke in diese Hinterhof-Mechanismen. Das Ausmaß der sogenannten „China Targets“ verdeutlicht, wie systematisch und professionell die Strategie der Einschüchterung und Manipulation auf internationaler Ebene betrieben wird. Für Menschenrechtsverteidiger ist es entscheidend, diese Praktiken offen zu legen, um geeignete Schutzmechanismen zu entwickeln und die Überwachung durch these staatlich kontrollierten Organisationen zu erschweren.
Zudem wächst der Druck auf die UN und ihre Mitgliedsstaaten, die Registrierung und Rederechte von NGOs künftig strenger zu überprüfen, um sicherzustellen, dass keine staatlichen Propagandagruppen unter dem Deckmantel der Zivilgesellschaft agieren und die Arbeit legitimer Menschenrechtsorganisationen unterminieren. Die internationale Gemeinschaft steht vor der Herausforderung, die Balance zwischen inklusive Partizipation und dem Schutz vor Manipulation zu finden. Nur so kann der UN-Menschenrechtsrat seine Rolle als Wächter der Menschenrechte unumstritten wahrnehmen und wirksame Arbeit leisten. Die Enthüllungen über Chinas Armee aus Fake-NGOs erinnern zudem daran, wie dringend notwendig unabhängige, mutige und transparente Berichterstattung sowie internationales Engagement bleiben, um Einblicke in autoritäre Strategien zu gewinnen und Betroffene zu schützen. Es ist ein globaler Auftrag, solche subtilen, aber hochwirksamen Methoden staatlicher Einflussnahme zu entlarven und auszuhebeln.
Nur mit vereinten Kräften können jene zum Schweigen gebracht werden, die Menschenrechte mit Füßen treten und ihre Kritiker unterdrücken wollen.