Circle, das US-amerikanische Unternehmen hinter dem Stablecoin USDC, erlebte bei seinem Börsendebüt an der New Yorker Börse einen wahren Paukenschlag. Nachdem der Ausgabepreis der Aktie bei 31 US-Dollar lag, schoss der Kurs beim Handelstart auf 69 US-Dollar und erreichte zeitweise sogar über 100 US-Dollar – ein beeindruckender Zuwachs von mehr als 200 Prozent. Dieses unerwartet starke Wachstum zog großes Interesse von Investoren und Medien auf sich und weckte bei vielen die Frage, ob Circle auch langfristig ein lohnendes Investment darstellt. Trotz dieser euphorischen Reaktion auf den Marktstart gilt es, die aktuellen Rahmenbedingungen, Wettbewerbssituation und Unternehmensstruktur genau zu beleuchten, um die Erfolgsaussichten und Risiken besser einschätzen zu können. Circle agiert in einem stark umkämpften Umfeld, in dem die Herausgabe digitaler US-Dollar nur einen Teil der gesamten Kryptowährungslandschaft ausmacht.
USDC ist der zweitgrößte Stablecoin nach Marktkapitalisierung und hält rund 25 Prozent Marktanteil, gemessen am globalen Stablecoin-Markt, hinter Tether, welches etwa 60 Prozent kontrolliert. Beide konkurrieren in einem Marktsegment, das eine Hochgeschwindigkeitsentwicklung erfährt, jedoch durch mangelnde Moats und hohen Wettbewerbsdruck gekennzeichnet ist. Der mangelnde Schutzschirm im Wettbewerb entsteht vor allem dadurch, dass die Ausgabe von Stablecoins technisch relativ einfach ist und immer mehr neue Player in den Markt drängen. So wurde vor kurzem ein US-Dollar-Stablecoin vorgestellt, der mit der Unterstützung des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump verbunden ist und potenziell Marktanteile von etablierten Anbietern wie Circle angreifen könnte. Circle hat sich durch Transparenz und Einhaltung regulatorischer Auflagen einen Ruf aufgebaut, der viele institutionelle und private Anleger anspricht.
Doch dieser Fokus auf Compliance kommt mit Kosten. Die enge Partnerschaft mit der Krypto-Börse Coinbase hat für Circle zwar Wachstum gebracht, verursacht jedoch auch hohe Vertriebskosten. Aus dem kürzlich veröffentlichten S-1-Prospekt geht hervor, dass die Ausgaben für Distribution und Transaktionen in Q1 um mehr als 68 Prozent im Jahresvergleich gestiegen sind – schneller als die Umsätze. Diese Kostensteigerung ist eine direkte Folge der Vertragsgestaltung mit Coinbase, die dem Partner eine beträchtliche Beteiligung an den Erträgen sichert. Damit wird der Gewinn von Circle zwar erhöht, doch das Gewinnpotenzial ist zugleich beschränkt.
Dieser Umstand zeigt sich auch in der Gewinnentwicklung. Der Nettogewinn stieg zwar im ersten Quartal um 33 Prozent auf knapp 65 Millionen US-Dollar, doch ist das langsame Umsatzwachstum und die hohen Partnerschaftskosten ein Warnzeichen für Investoren, die auf nachhaltigen Profit setzen. Ein weiterer bedeutender Ertragsfaktor von Circle ist das sogenannte „Reserve Income“. Dabei handelt es sich um Zinsen, die Circle aus Staatsanleihen und sonstigen sicheren Anlagen erwirtschaftet, welche zur Absicherung des USDC-Stablecoins hinterlegt sind. Im ersten Quartal konnte diese Einnahmequelle um über 55 Prozent auf fast 558 Millionen US-Dollar gesteigert werden.
Allerdings ist mit Blick auf die künftige Geldpolitik der US-Notenbank Fed Vorsicht geboten. Sollte die Fed in den kommenden Monaten die Leitzinsen senken, könnten die Zinseinnahmen schrumpfen und dadurch die Haupteinnahmequelle von Circle schwächer werden. Dieses Risiko sollte bei der Bewertung des Unternehmens nicht außer Acht gelassen werden. Darüber hinaus steht Circle vor einer weiteren Herausforderung, die weniger offensichtlich erscheint, aber für das Image und die Akzeptanz im Kryptosektor immens wichtig ist. Im Gegensatz zum Rivalen Tether, der Bitcoin und andere Kryptowährungen zunehmend integriert, verfolgt Circle eine relativ zentralisierte und regulierungsorientierte Strategie, die das Vertrauen der klassischen Finanzwelt ansprechen soll.
Dies führt jedoch auch zu einer gewissen Distanz zu der ursprünglichen Kryptogemeinschaft, die in der weltweiten Blockchain-Bewegung häufig dezentrale Ideen und eine stärkere Einbindung von Bitcoin schätzt. Während einige Projekte wie Terra mit ihren Nutzern am Erfolg beteiligt waren und sogar spekulative Gewinnchancen boten, bringt Circle seinen USDC-Inhabern keine direkten Gewinnbeteiligungen. Dies macht die Token eher zu sicheren digitalen Dollar-Ersatzprodukten als Investitionsvehikeln, was für spekulativ orientierte Anleger nur begrenzten Reiz aufweist. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der fulminante Start von Circle als Börsenunternehmen zweifellos eine Erfolgsgeschichte darstellt. Die starke Marktnachfrage und die solide Unternehmenshistorie sprechen für ein gesundes Geschäftsmodell.
Dennoch bestehen wesentliche Risiken und Ungleichgewichte, die potentielle Käufer der Aktie sorgfältig abwägen sollten. Die enge wirtschaftliche Verknüpfung mit Coinbase bedeutet zwar Wachstum, limitiert aber die Profitabilität. Der ohnehin schon umkämpfte Stablecoin-Markt mit zahlreichen neuen Wettbewerbern und potenziellen alternativen Angeboten erschwert eine nachhaltige Positionierung. Zumal Abhängigkeiten von politischen Entscheidungen wie der US-Zinspolitik die zukünftigen Erträge beeinflussen können. Wer in Circle investieren möchte, sollte daher nicht nur auf den spektakulären ersten Handelstag blicken, sondern auch längerfristige Perspektiven und mögliche Herausforderungen in den Fokus nehmen.
Es könnte sich lohnen, die Aktie schrittweise und mit Bedacht in das Portfolio aufzunehmen, jedoch ist das Tief vor dem Bullenmarkt möglicherweise schon überschritten. Insgesamt bleibt Circle ein wichtiger Akteur im Bereich der digitalen Währungen, der für Anleger mit Interesse am aufstrebenden Stablecoin-Sektor weiterhin interessant bleibt, aber keine risikofreie Kaufentscheidung darstellt. Eine sorgfältige Analyse und kontinuierliche Beobachtung der Marktentwicklung sowie der Unternehmenszahlen sind unabdingbar, um Chancen und Gefahren jederzeit richtig einschätzen zu können.