Rogets Thesaurus ist weit mehr als nur ein gewöhnliches Synonymwörterbuch – es ist eine einzigartige Wortbibliothek, die die Struktur und das Denken über Sprache revolutioniert. Während viele Menschen heute unter dem Begriff „Thesaurus“ lediglich die alphabetisch geordneten Sammlungen von Synonymen verstehen, bietet Rogets Werk eine völlig andere, tiefgründige Herangehensweise an die Sprache. Die Bedeutung dieses Buches reicht weit über die bloße Suche nach Wortalternativen hinaus und eröffnet eine erstaunliche Welt der Ideen, geordnet durch ihre Bedeutung und Beziehung zueinander. Die Entstehungsgeschichte von Rogets Thesaurus ist ebenso faszinierend wie sein Inhalt. Peter Mark Roget, ein vielseitiger Gelehrter des 19.
Jahrhunderts, war eigentlich Arzt, aber auch ein begeisterter Listenmacher, Chronist und Einordner. In seiner Jugend begann er, Wortlisten zusammenzustellen, die er zur Unterstützung beim Schreiben nutzte. Erst im Ruhestand, in seinen siebzigern Jahren, widmete er sich der Idee, eine systematische Klassifikation von Wörtern zu erarbeiten, die 1852 erstmals veröffentlicht wurde. Roget hatte großes Interesse an Ordnung und Kategorisierung, wie sie in der Naturwissenschaft üblich war. Inspiriert von Carl Linnaeus‘ wissenschaftlichen Klassifikationen schuf er ein System, das Wörter nicht alphabetisch, sondern nach den Ideen, die sie ausdrücken, ordnet.
Diese Herangehensweise macht den Thesaurus zu mehr als nur einem Hilfsmittel für Synonyme: Er fungiert als eine Art „umgekehrtes Wörterbuch“. Während ein Wörterbuch Wörter erklärt und ihre Bedeutung offenlegt, beginnt Rogets Thesaurus mit einer Idee und führt den Leser zu den passenden Wörtern für deren Ausdruck. Das Konzept ist vergleichbar mit dem Besuch einer Bibliothek. Dort sind Bücher nicht alphabetisch nach ihrem Titel geordnet, sondern systematisch nach Themengebieten, sodass Leser beim Stöbern verwandte Werke entdecken können, die ihre Suche bereichern. Genauso erlaubt Rogets Thesaurus dem Nutzer, durch thematische Kategorien und Unterkategorien zu blättern und auf diese Weise Wörter zu entdecken, die man vorher vielleicht nicht in Betracht gezogen hätte.
Diese Erfahrung fördern ein tieferes Verständnis für Sprache und ihre Nuancen. Der Aufbau des Thesaurus spiegelt diese Systematik wider. Kategorien wie „Gut“ und „Böse“ sind beispielsweise nicht nur nebeneinander aufgeführt, sondern stehen sich visuell gegenüber, sodass der Leser die Gegensätze direkt erfassen kann. Dieses Design, das in modernen Ausgaben zunehmend verloren geht, war für Roget ein wichtiger Bestandteil seines Ansatzes. Durch das direkte Gegenüberstellen von Begriffen werden sprachliche Kontraste und Verbindungen transparent gemacht, was den kreativen Prozess beim Schreiben oder Nachdenken stark fördert.
Seit etwa den 1960er Jahren haben Herausgeber begonnen, Rogets ursprüngliche Gestaltung zugunsten einer lineareren, alphabetischen Anordnung aufzugeben. Diese Veränderung vereinfacht zwar die Nutzung in manchen Fällen, doch geht der tiefere Sinn seines Systems dadurch verloren. Ein alphabetisch geordneter Thesaurus wird eher zu einem bloßen Synonymwörterbuch, das zwar praktisch ist, aber nicht das Geistige und Erkundende bietet, das Roget mit seinem Werk vermitteln wollte. Nicht nur Schriftsteller, sondern auch Menschen, die sich generell für Sprache interessieren, können enorm von der erneuten Entdeckung der thematischen Klassifikation profitieren. Denn Rogets Thesaurus ist ein Werkzeug, das nicht nur hilft, bekannte Worte zu finden, sondern auch beim Entwickeln ganz neuer Gedanken assistiert.
Es regt dazu an, sich intensiv mit Bedeutungsschichten zu beschäftigen und ermöglicht es, Gedanken, die man noch nicht ausdrücken kann, erst herauszuarbeiten. Die Arbeit mit Rogets Thesaurus wird so zu einer kreativen Entdeckungsreise. Wer sich darauf einlässt, verliert sich nicht in der endlosen Aneinanderreihung von Synonymen, sondern taucht ein in ein ideenbasiertes Netz von Sprache, das immer neue Verbindungen und Bedeutungen offenbart. Dieses Erlebnis kann inspirieren, Blockaden beim Schreiben lösen und dazu beitragen, die eigene Ausdrucksweise zu verfeinern. Im digitalen Zeitalter, in dem schnelle Suchanfragen oft über das eigentliche Verständnis hinweggehen, besitzt Rogets Ansatz auch eine zeitgemäße Bedeutung.
Er erinnert uns daran, Sprache nicht nur als Mittel zur Kommunikation, sondern als lebendiges, eng verwobenes Konzept zu sehen. Die thematische Struktur seines Thesaurus fordert dazu auf, Wörter als Werkzeuge zu verstehen, die Gedanken formen und Weltbilder prägen. Rogets Werk ist somit ein Schatz, der weit über den traditionellen Gebrauch eines Thesaurus hinausgeht. Es ist eine Einladung, die Sprache in ihrer ganzen Breite und Tiefe zu erforschen, bestehendes Wissen zu vertiefen und Kreativität in der Wortwahl zu stimulieren. Obwohl das ursprüngliche Buch aus dem 19.
Jahrhundert stammt, ist seine Systematik aktueller denn je und bietet gerade Schreibenden und Sprachliebhabern eine inspirierende Alternative zum linearen Wörterbuch. Die Renaissance des klassischen, kategorischen Rogets Thesaurus über digitale Sammlungen und frei zugängliche Ausgaben wie die von 1911 ermöglicht es, diesen Schatz für sich neu zu entdecken. Gerade diejenigen, die bisher mit alphabetischen Listen gearbeitet haben, werden überrascht sein, wie anders und lebendig sich Sprache anfühlt, wenn sie nach Bedeutung sortiert und verbunden ist. Austin Kleon, ein moderner Autor und Künstler, hat in seinem Newsletter von dieser Erfahrung berichtet und beschreibt, wie die Beschäftigung mit Rogets Thesaurus ihm geholfen hat, das Schreiben aus einer neuen Perspektive anzugehen. Auch er hebt hervor, wie das Buch kein reines Nachschlagewerk, sondern ein kreatives Werkzeug ist, das über die reine Suche nach Synonymen hinausgeht.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Rogets Thesaurus nicht nur ein Wörterbuch der Synonyme ist, sondern vielmehr eine „Wortbibliothek“ – eine detailliert geordnete Sammlung von Wörtern, Gedanken und Ideen. Die Auseinandersetzung mit seiner Systematik und seinem Hintergrund inspiriert dazu, anders mit Sprache umzugehen und bereichert jede Form des kreativen Schaffens. Wer den klassischen, thematischen Thesaurus wiederentdeckt, erschließt sich einen neuen Raum von Ausdrucksmöglichkeiten und Kommunikationskunst, der im Zeitalter der schnellen digitalen Suche überraschend tiefgründig und nachhaltig wirkt.