Virginia Woolfs Aufsatz „Woolf Contra Middlebrow“ aus dem Jahr 1932 offenbart eine faszinierende Auseinandersetzung mit den Begrifflichkeiten Highbrow, Lowbrow und Middlebrow – Kategorien, die für unterschiedliche kulturelle Einstellungen stehen. Woolf entfaltet darin nicht nur eine scharfsinnige Kritik an der Mittelklassekultur, sondern stellt auch die komplexe Beziehung zwischen Hochkultur und Alltagsleben dar. Ihre Gedanken sind eine Einladung, die oft unterschätzten Grenzen und Verknüpfungen zwischen verschiedenen Formen der Kultur zu überdenken und haben an Aktualität bis heute nichts verloren. Virginia Woolf versteht Highbrow als das Streben nach geistiger Höherentwicklung und das mutige Verfolgen von Ideen. Dabei setzt sie diese Gruppe in eine Reihe mit den größten Literaten wie Shakespeare, Dickens und Keats, die nicht nur brillant denken, sondern ihr Leben auch oft auf dramatische Weise opfern, sich in extremer Leidenschaft verlieren oder gesellschaftlichen Konventionen zum Trotz scheitern.
Diese Hochbrow-Persönlichkeiten sind laut Woolf von einem intensiven inneren Feuer getrieben, das zu außergewöhnlichen Leistungen, aber ebenso zu persönlichen Tragödien führt. Dem gegenüber stehen die Lowbrows, die sich vor allem durch Vitalität und Lebensnähe auszeichnen. Sie sind die Praktiker des Lebens, diejenigen, die sich körperlich und emotional durch den Alltag bewegen, unterhalten, arbeiten und leben. Woolf zeigt hier ein tiefes Verständnis und eine große Wertschätzung für die Lowbrow-Welt, denn ohne sie gäbe es keine komplettierte Gesellschaft. Lowbrows sind es, die das Leben, das Highbrows oft nur aus der Distanz betrachten, verkörpern.
Auch für Woolf besteht ein inniger gegenseitiger Respekt und Bedarf zwischen Highbrows und Lowbrows, als würden beide Schattierungen des Menschseins einander bedingen und ergänzen. Gegen Mitte dieses Spektrums sieht Woolf die Middlebrows, die sie mit äußerst scharfen Worten ablehnt. Die Middlebrow bezeichnet sie als die gefährliche Zwischenform, weder hochgeistig genug, um echte Intellektuelle zu sein, noch vital genug, um authentisch lebendig zu sein. Ihnen fehlt das Zielstrebige und das Leidenschaftliche. Woolf beschreibt diese Kultur als eine Mischung aus Kunst und Leben, die verwässert und dabei oft von materiellen Interessen wie Geld, Anerkennung und Status getragen wird.
Die Middlebrow-Menschen seien somit Karrieristen, die es versuchen, auf beiden Seiten Gefallen zu finden, ohne wirklich zu einer Gruppe zu gehören. Besonders eindrucksvoll ist Woolfs Bild der Middlebrow, die weder in Bloomsbury – Sinnbild des intellektuellen Hochkults – noch in Chelsea – als Beispiel für Alltagsleben – beheimatet sind. Stattdessen leben sie in Zwischenorten, wie South Kensington, die symbolisch für ihre geistige Mittelmäßigkeit stehen. Woolf beschreibt, wie Middlebrow-Individuen sich bemühen, sowohl den Highbrows als auch den Lowbrows zu gefallen, und dabei oft in ein dilettantisches Verhalten verfallen. Diese Personen versuchen sich mit festgelegten Regeln und Klischees zu umgeben, von der richtigen Kleidung bis zu angeblich angemessenen Gesprächsthemen, was sie in den Augen Woolfs auf tragische Weise farblos macht.
Ein zentrales Motiv des Textes ist die vermeintliche Feindschaft zwischen Highbrows und Lowbrows, die Woolf entschieden entkräftet. Sie betont vielmehr, dass die beiderseitige Abwertung ein Mythos ist, konstruiert und am Leben gehalten von eben jenen Middlebrows, die als unauthentische Vermittler zwischen den Polen agieren. Für Woolf ist der Konflikt nicht Highbrow gegen Lowbrow, sondern Highbrow und Lowbrow gemeinsam gegen die Middlebrow – eine Art kultureller „Pest“. Dieser Middlebrow-Gegner unterminiert ihrer Argumentation nach die authentischen kulturellen Werte und Bedarfe beider Lager und fördert statt echter Auseinandersetzung nur Oberflächlichkeit und geistige Mittelmäßigkeit. Woolfs Äußerungen werfen ein interessantes Licht auf damalige und auch heutige Diskussionen um kulturelle Bildung, Zugang zur Kunst und gesellschaftliche Hierarchien.
In einer Zeit, in der kulturelle Marker immer wieder für Abgrenzung zwischen sozialen Schichten genutzt werden, fordert Woolf eine ehrliche Anerkennung der Komplexität. Ihre Highbrow-Liebe zu klassischen Autoren und das Verständnis für die Lebensrealität der Lowbrows bilden eine kulturelle Brücke, die nicht zerstört werden darf. Ihre Kritik an der Middlebrow hat viel mit der Sorge zu tun, dass echte Kunst und echtes Leben durch eine Art „Kulturindustrie“ ersetzbar gemacht werden, die Kunst und Leben mit kommerziellen Motiven vermischt und dadurch banalisieren. Woolf scheint die Middlebrow-Kultur als eine Gefahr zu sehen, weil sie das Gemischte, Mittelmäßige und Verkaufsorientierte fördert, während echte Kreativität und authentische Lebenserfahrung zurückgedrängt werden. Dabei hat Woolf nicht nur die Kultur als abstraktes Konstrukt im Blick, sondern konkret Buchhandlungen, Theaterbesucher, Zeitungskritiken und Hörfunkprogramme, die ihrer Meinung nach oft von middlebrow-Denken geprägt sind.
Sie betrachtet diese Institutionen als Mittler, die bisweilen das Literarische und das Populäre entmischen oder vermischen, und so ein Ambiente schaffen, in dem das Echte leicht durch das Künstliche ersetzt werden kann. Der Ton ihres Textes ist leidenschaftlich, knapp am Rand der Bitterkeit, aber auch humorvoll und mit großer Selbstironie. Woolf selbst positioniert sich fest auf der Seite der Highbrows, nicht als abgehobene Intellektuelle, sondern als jemanden, der sich bewusst ist, wie unvollkommen das „Highbrow-Sein“ sein kann und wie eng es an das Leben gebunden bleiben muss. Ihre literarische Sprache vermag es, kulturelle Debatten in lebendige Bilder zu übersetzen und fordert den Leser direkt heraus, sich selbst zwischen diesen Kategorien zu verorten. In der heutigen Zeit, in der das Wort „Middlebrow“ vielleicht weniger gebräuchlich ist, sind Woolfs Gedanken dennoch relevant.