Die Welt unter unseren Füßen birgt ungezählte Geheimnisse, von denen viele noch immer im Verborgenen schlummern. Besonders faszinierend ist dabei der Erdkern – der metallische, heiße Kern unseres Planeten, der vor etwa 4,5 Milliarden Jahren geformt wurde. Wissenschaftler erforschen seit langem, ob und wie Material aus diesem tiefsten Bereich in den darüberliegenden Mantel und sogar zur Erdoberfläche gelangt. Moderne geochemische Methoden, insbesondere die Untersuchung von Isotopensystemen wie Ruthenium (Ru) und Wolfram (W) in ozeanischen Inselbasalten, schaffen es nun erstmals, diese Prozesse mit beachtlicher Präzision nachzuzeichnen und die Existenz sogenannter Kernlecks zu bestätigen. Ozeanische Inselbasalte, wie sie zum Beispiel auf Hawaii, Galápagos, oder La Réunion auftreten, entstehen aus tiefreichenden mantelplumenen, die seit Jahrmillionen heißes Material aus den Tiefen der Erde an die Oberfläche transportieren.
Dieser Prozess wird als De-Kompressions-Schmelzen bezeichnet und bringt Lavaströme hervor, die geochemische Informationen über ihre Quelle enthalten. Eingedenk der Tatsache, dass Ruthenium und Wolfram zu den sogenannten siderophilen Elementen zählen, die während der Erdentstehung überwiegend in den metallischen Kern abgeschieden wurden, ist ihre Anwesenheit im Mantel eine Art Geochemischer Fingerabdruck, der auf Interaktionen zwischen Kern und Mantel hinweist. Eine der größten Herausforderungen in der Geochemie bestand bislang darin, eine eindeutige Signatur des Kerns im Mantel nachzuweisen. Die Konzentration von HSE (highly siderophile elements) wie Ruthenium im silikatischen Mantel ist extrem gering, während sie im Kern dicht konzentriert vorkommen. Die Untersuchung von Ru-Isotopen, die sich durch massenunabhängige Variationen charakterisieren lassen, zeigt nun ganz klar Unterschiede zwischen Quellen im Mantelplume und dem umgebenden Mantel.
So weisen Basalte aus Hawaii eine erhöhte ε100Ru-Signatur auf, die auf eine Beimischung von core-spezifischem Material hindeutet. Kombiniert man diese Werte mit unradiogenen W-Isotopensignaturen, entsteht ein stichhaltiges Bild, das auf Kernlecks in den Mantel hindeutet. Die Bedeutung von Wolfram-Isotopen in diesem Kontext beruht auf der kurzen Halbwertszeit des Radionuklids 182Hf, das sich innerhalb der ersten 60 Millionen Jahre des Sonnensystems zu 182W zersetzte. Die beobachteten Variationen in μ182W in OIB belegen daher, dass das Material aus einem Reservoir stammt, das seit der frühen Geschichte der Erde isoliert war – ein Reservoir, das höchstwahrscheinlich mit dem Erdkern in Verbindung steht. Diese Erkenntnisse werden durch die Kombination von hohen 3He/4He-Verhältnissen in einigen OIBs untermauert, welche typische Kennzeichen für uraltes, undegasstes Kernmaterial sein könnten.
Angesichts der extrem starken Kontraste in HSE-Konzentrationen zwischen Mantel und Kern erscheint ein diffuser Austausch oder sogar Entrampfung von Material aus dem äußeren Kern plausibel. Neuere geochemische Analysen legen nahe, dass der Kern nicht statisch, sondern durchlässig sein könnte und kleine Mengen von its Bestandteilen in das Mantelmaterial einströmen können. Dies kann auf der Grenzfläche zwischen Kern und Mantel, auch Core-Mantle Boundary (CMB) genannt, durch komplexe Prozesse wie Lösung und Ausfällung von Metalloxiden erklärt werden. Modellberechnungen zeigen, dass bereits die Zugabe von weniger als einem Viertelprozent eines Bulk-Core-Komponenten das beobachtete Isotopensignal erklärt. Dabei ist das Verhältnis von Ru zu W in diesem gemischten Material entscheidend, um die beobachteten Isotopenwerte zu reproduzieren, ohne dabei die hochsiderophilen Elemente im Mantel signifikant anzureichern.
Alternative Modelle, die den Ursprung der Isotopensignaturen im Mantel auf unterschiedliche Akkretionsphasen oder auf späte Einschläge zurückführen, weisen im Gegensatz dazu sprachliche Schwächen auf und können die gemessenen Ru- und W-Isotopenkombinationen weniger gut erklären. Die Bedeutung dieser neuen Befunde ist weitreichend. Sie stützen nicht nur die Vorstellung, dass der Erdkern in gewissem Maße mit dem Mantel interagiert, sondern eröffnen auch neue Wege, das innere dynamische System der Erde besser zu verstehen. Plumes, die heute unsere Ozeaninseln mit Vulkanismus versorgen, tragen möglicherweise noch immer Kernelemente mit sich, die über einen Zeitraum von Milliarden Jahren im Erdinneren konserviert wurden. Dies bringt spannende Implikationen sowohl für die Thermodynamik des Kerns und Mantels als auch für Prozesse wie Geodynamo und vulkanische Aktivität hervor.
Darüber hinaus bietet die Kombination aus Ru- und W-Isotopensystemen einen äußerst sensiblen geochemischen Kompass, mit dem Forscher künftig genauer rekonstruieren können, welche Materialien und Prozesse während der Erdaccumulation und in der späteren Mantelentwicklung eine Rolle gespielt haben. Die Erkenntnis, dass die Isotopensignaturen nach wie vor als direkte Spuren von Kernmaterial im Mantel nachweisbar sind und insbesondere in den Plumes, die Vulkaninseln bilden, erhalten bleiben, verändert grundlegend unser Bild von der inneren Dynamik der Erde. Die Anwendung innovativer analytischer Techniken, unter anderem die MC-ICP-MS (Multi-Collector Inductively Coupled Plasma Mass Spectrometry), erlaubt die Messung minimaler Isotopenvariationen mit hoher Genauigkeit. Nur durch solch hochauflösende Analysen konnte die Kontamination mit Matrixelementen erfolgreich kontrolliert und die echten Isotopensignale verlässlich entschlüsselt werden. Die Verbesserung der Probenvorbereitung, etwa durch NiS-Feueraufschluss und spezielle Destillationsmethoden, waren ferner entscheidend, um die geringe Ru-Konzentration in den Proben zu analysieren.
In der wissenschaftlichen Gemeinschaft sind die Befunde zu Ru- und W-Isotopensystemen in OIBs mit großem Interesse aufgenommen worden. Sie werden als direkter Beweis für Kern-Leckage und als ein Meilenstein in der Erforschung von Kern-Mantel-Interaktionen betrachtet. Die umfangreiche Datenbasis, die neben Hawaii auch Proben von Galápagos, La Réunion, Kauai und Baffin Island umfasst, zeigt, dass die Kernleckage kein isoliertes Phänomen ist, sondern ein global auftretender Prozess sein dürfte. Abschließend lässt sich sagen, dass Ruthenium und Wolfram als geochemische Marker eine neue Ära in der Erforschung des Erdinneren einläuten. Die Kombination ihrer Isotopensysteme stellt eine mächtige Methode dar, um die komplexen Prozesse der Kerndynamik und Mantelplumes zu dechiffrieren.
Die Bestätigung von Kernleckagen liefert nicht nur Belege für einen materiellen Austausch zwischen tiefstem Erdinneren und dem oberen Mantel, sondern wirft auch neue Fragen zur Entstehung, Entwicklung und zukünftigen Dynamik unseres Planeten auf. Im Kern, verborgen unter tausenden Kilometern Gestein, liegt eine Quelle von Erkenntnissen, die unser Verständnis von der Erde revolutionieren kann – und Ru- sowie W-Isotope sind die Schlüssel dazu.