Finnland, ein kleines nordisches Land mit einer Bevölkerung von nur 5,5 Millionen Menschen, positioniert sich zunehmend als wachsender Akteur im europäischen Startup-Ökosystem. Die Regierung und verschiedene Initiativen setzen alles daran, Finnland als den besten Standort für junge Technologieunternehmen in Europa zu etablieren. Ein Symbol für dieses ambitionierte Ziel ist das Startup-Campus-Projekt in Helsinki, das darauf ausgelegt ist, eines der größten Innovationszentren auf dem Kontinent zu werden. Diese Entwicklung wirft eine spannende Frage auf: Kann Finnland tatsächlich die Startup-Krone Europas erobern? Der Ursprung von Finnlands Aufstieg im Startup-Bereich liegt in der starken Gemeinschaftskultur und der Zusammenarbeit innerhalb der Geschäftswelt. Anders als in vielen anderen Ländern, in denen der Wettbewerb zwischen Unternehmen im Vordergrund steht, wird in Finnland Kooperation großgeschrieben.
Das zeigt sich besonders an Orten wie Maria 01, einem Non-Profit-Startup-Hub in Helsinki, der 2016 eröffnet wurde und bereits als größtes Startup-Zentrum im nordischen Raum gilt. Dort entstehen zurzeit drei neue Gebäude, die die Kapazitäten erweitern und ambitioniert darauf ausgerichtet sind, Europas größte Startup-Campus zu werden. Die Philosophie hinter Maria 01 und ähnlichen Einrichtungen ist eine, die über reine Büros hinausgeht. Es werden Eventflächen, Treffpunkte und diverse Ressourcen geschaffen, die Gründer und Unternehmer zusammenbringen, um Wissen auszutauschen, Kooperationen zu fördern und Innovationen zu beschleunigen. Die positive Resonanz aus der Community ist dabei entscheidend, denn sie baut auf gegenseitiger Unterstützung und einer vertrauensvollen Atmosphäre auf.
Aus wirtschaftlicher Perspektive hat Finnland bereits einen beachtlichen Fußabdruck hinterlassen. Das Land beherbergt zwölf sogenannte Einhörner – Startups mit einem Unternehmenswert von über einer Milliarde US-Dollar. Dazu gehören namhafte Unternehmen aus den Bereichen Gaming und Lebensmittellieferungen, wie zum Beispiel Wolt, das 2022 von DoorDash aufgekauft wurde. Obwohl diese Erfolgsgeschichten international nicht immer im gleichen Maße bekannt sind wie etwa Startup-Unternehmen aus Schweden oder Großbritannien, sind sie aussagekräftige Indikatoren für das Potenzial des finnischen Marktes. Die finnische Regierung verfolgt seit einigen Jahren eine klare Strategie, um das Land als globalen Vorreiter im Startup- und Wachstumsunternehmen-Ökosystem zu etablieren.
Business Finland, die Regierungsagentur für Investitionen und Innovation, spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie bietet nicht nur Unterstützung und Ratschläge für Gründer, sondern hat auch gezielte Maßnahmen ergriffen, um internationale Tech-Talente anzuziehen. Dazu gehört unter anderem die Einführung von Startup-Visa, die qualifizierten Unternehmern den Zugang zum finnischen Markt erleichtern. Neben dieser politischen und wirtschaftlichen Förderung punktet Finnland mit einem einzigartigen Qualitätsangebot für Gründer. Dazu zählen transparente Geschäftspraktiken, ein hoher Lebensstandard und freie Bildungssysteme.
Trotz der Herausforderung des oft eher kühlen und dunklen Klimas bietet das Land ein Umfeld, in dem Lebensqualität und beruflicher Erfolg miteinander vereinbar sind. Für viele Unternehmer ist das ein entscheidendes Argument, da sie nicht zwischen Karriere und Lebensgenuss wählen müssen. Doch trotz dieser vielversprechenden Perspektiven gibt es auch kritische Stimmen und Herausforderungen, die Finnlands Ambitionen bremsen könnten. Die jüngste Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 25,5 Prozent – die höchste in Westeuropa – hat bei Unternehmern und Startups Besorgnis ausgelöst und teilweise zu einem Vertrauensverlust gegenüber der Regierung geführt. Unternehmer betonen, dass hohe Steuern in Kombination mit vergleichsweise niedrigen Gehältern das Wirtschaftswachstum und somit die Gründermotivation hemmen.
Langfristig muss sich Finnland zudem im harten Wettbewerb mit etablierten Startup-Hubs wie Berlin, London oder Stockholm behaupten. Diese Städte bieten nicht nur eine größere Marktgröße, sondern sind auch international stärker vernetzt und genießen eine größere mediale Aufmerksamkeit. Finnlands Herausforderung besteht darin, seine Vorzüge attraktiv genug zu kommunizieren und dadurch ein Ökosystem zu schaffen, das global wettbewerbsfähig bleibt. Ein weiterer Faktor ist die geopolitische Lage Finnlands, das an Russland grenzt und sich aktuell in der Nähe eines Spannungsgebiets befindet, bedingt durch den Krieg in der Ukraine. In politischen und wirtschaftlichen Krisenzeiten wägen Investoren oftmals ab, ob sie ihr Kapital in risikoreichere Regionen investieren oder sich lieber für sicherere Märkte entscheiden.
Diese Unsicherheit könnte potenzielle Gründer und Kapitalgeber davon abhalten, sich umfassend in Finnland zu engagieren. Auf der anderen Seite profitiert das Land von der familiären Atmosphäre seines Startup-Ökosystems. Viele Gründer schätzen es, dass sie persönlich leicht Kontakte knüpfen können und Partner schnell erreichbar sind. Diese Art von „small town“-Gefühl fördert den intensiven Austausch und die Zusammenarbeit. Eine Herausforderung wird es sein, diese enge Vernetzung auch beim Wachstum des Ökosystems zu bewahren, damit das Startup-Campus nicht anonym oder unpersönlich wird.
Darüber hinaus ist die Unterstützung von Breakthrough-Technologien und globalen Herausforderungen ein zentrales Element der finnischen Startup-Strategie. Innovationen, die etwa im Gesundheitssektor oder in nachhaltigen Technologien entstehen, können nicht nur wirtschaftlichen Mehrwert schaffen, sondern auch zur Lösung internationaler Probleme beitragen. Das verleiht der finnischen Vision eine weitreichende Relevanz über die Landesgrenzen hinaus. Im Blick auf die Zukunft besteht das Potenzial, dass Finnland mit seiner einzigartigen Kombination aus Lebensqualität, staatlicher Förderung und einer gemeinschaftlich geprägten Kultur eine neue, attraktive Alternative zu den bisherigen europäischen Startup-Zentren bietet. Erfolgreiche Startups können zum Wachstum der gesamten Wirtschaft beitragen und als Magneten für weitere Talente und Investitionen fungieren.
Ob Finnland tatsächlich Europas Startup-Krone tragen wird, hängt von vielen Faktoren ab – von der wirtschaftlichen Entwicklung, politischen Rahmenbedingungen bis hin zur geopolitischen Stabilität. Die laufenden Investitionen in Infrastruktur und die Förderung eines inklusiven Ökosystems sind jedoch vielversprechende Schritte in diese Richtung. Sollte es Finnland gelingen, seine Stärken weiter auszubauen und bestehende Hürden zu überwinden, könnte das Land in naher Zukunft eine führende Rolle im europäischen Startup-Universum einnehmen und anderen etablierten Hubs ernsthafte Konkurrenz machen.