Die jüngste Entscheidung von Microsoft, den Zugang zum offiziellen E-Mail-Konto des Chefanwalts des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), Karim Khan, zu sperren, hat in den Niederlanden erhebliche Besorgnis ausgelöst. Grund für diese Maßnahme sind die von US-Präsident Donald Trump verhängten Sanktionen gegen den ICC. Diese sanktionierten unter anderem den Internationalen Strafgerichtshof wegen seiner Ermittlungen, die Verhaftungsbefehle gegen hochrangige Persönlichkeiten wie den israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu beinhalten. Die Sperrung der E-Mails hat somit nicht nur politische Implikationen, sondern zeigt vor allem die Verwundbarkeit öffentlicher Institutionen, die stark auf US-amerikanische Cloud- und IT-Infrastrukturen setzen. Die Folgen dieses Vorfalls sind weitreichend und haben eine intensive Debatte in den Niederlanden über die Abhängigkeit von US-amerikanischen Technologiekonzernen in Gang gesetzt.
Die Nutzung von Microsoft-Services, vor allem Microsoft 365 und Microsoft Teams, ist in verschiedenen staatlichen Einrichtungen tief verankert. Diese umfassende Integration führt dazu, dass Behörden in der Praxis kaum Alternativen nutzen, da Mitarbeiter vor allem mit Microsoft-Systemen vertraut sind und technologische Empfehlungen häufig auf diesen Erfahrungen basieren. Ein seniorer Beamter der niederländischen Regierung bestätigte, dass der Vorfall auf höchster Ebene diskutiert und sehr ernst genommen wird. Die Abhängigkeit von US-Cloud-Diensten wird zunehmend als Schwachstelle betrachtet, die auch geopolitisch problematisch ist. Dabei spielt die nationale digitale Souveränität eine zentrale Rolle.
Seit einiger Zeit besteht in den Niederlanden eine gesetzliche Verpflichtung für kritische Infrastrukturen, Backup-Lösungen zu implementieren, um im Notfall den Zugriff auf essentielle Daten sicherzustellen. Dies dürfte in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen, da immer mehr Organisationen aktiv daran arbeiten, ihre Daten innerhalb der Landesgrenzen zu speichern oder auf europäische Cloud-Alternativen umzusteigen. Die Migration von IT-Infrastrukturen auf neue Lösungen gestaltet sich jedoch komplex. Experten schätzen, dass ein Wechsel von Microsoft in der Regel zwischen einem halben Jahr und drei Jahren dauern kann. Dies erschwert schnelle Reaktionen auf solche Vorfälle und bindet Ressourcen.
Anwälte, Krankenhäuser und andere wichtige Institutionen suchen bereits Wege, um vorsorglich Kopien ihrer Daten lokal oder in europäischen Rechenzentren abzulegen, damit die Weiterarbeit auch dann gewährleistet ist, wenn der Zugang zu Microsoft-Diensten eingeschränkt wird. Besonders problematisch ist die Situation für Organisationen, die bereits vollständig in Microsofts Cloud-Ökosystem integriert sind. Sie befinden sich in einer Art Abhängigkeit, die sich kaum mehr lösen lässt – ein Dilemma, das häufig mit dem berühmten Lied „Hotel California“ verglichen wird: Man kann zwar „auschecken“, aber nicht „verlassen“. Die niederländische Regierung verfolgt seit einigen Jahren mit dem Projekt „Beter Samen Werken“ (BSW) das Ziel, die Zusammenarbeit innerhalb der öffentlichen Verwaltung durch Digitalisierung und moderne Arbeitsmittel zu verbessern. Microsoft Teams wurde dabei 2023 als Kern-Kommunikationswerkzeug eingeführt.
Obwohl es Überlegungen gab, dieses System zu überarbeiten oder durch eine unabhängige, europäische Lösung zu ersetzen, entschied sich die Mehrheit der beteiligten Ministerien angesichts bestehender Lizenzen und Nutzergewohnheiten dazu, die Zusammenarbeit weiterhin mit Microsoft-Lösungen zu gestalten. Die politischen Hintergründe und die geopolitischen Spannungen führen jedoch zu wachsendem Druck auf die Entscheidungsträger. Es werden Alternativen aus Frankreich und Deutschland geprüft, um künftig die digitale Unabhängigkeit zu stärken. Doch der Wandel gestaltet sich schwierig, da die meisten bereits vorhandenen Initiativen in irgendeiner Weise auf Microsoft-Technologie angewiesen sind. Der Versuch, alternative Cloud-Systeme an Microsofts Infrastruktur anzubinden, erweist sich als technisch herausfordernd.
Technologisch versierte Beobachter kritisieren die Dominanz von Microsoft und den damit verbundenen Mangel an Diversifizierung. Viele Mitarbeiter im öffentlichen Dienst sind auf Microsoft spezialisiert, was den Wechsel zu anderen Anbietern erschwert. Die politische Diskussion allein genügt daher nicht, um eine schnelle oder nachhaltige Abkehr von US-Technologien zu erreichen, solange sich die praktische Expertise und die Arbeitspraxis auf diesen Systemen stützen. Marietje Schaake, eine renommierte Expertin für Technologiepolitik, betont, dass Microsoft sich strategisch als unverzichtbarer Partner für Regierungen positioniert hat. Die historisch enge transatlantische Beziehung der Niederlande begünstige zudem die starke Präsenz amerikanischer Unternehmen im Land.
Die Verbindung zwischen Microsoft und Regierungsstellen wird dabei auch durch eine Art „revolving door“-Effekt verstärkt, bei dem Personen zwischen Microsoft und staatlichen Institutionen wechseln und so Synergien entstehen, die den Einfluss des Konzerns festigen. Im April startete Microsoft eine diplomatische Initiative, um die Sorgen europäischer Regierungen zu besänftigen. Das Unternehmen kündigte unter anderem an, Quellcode in einem sicheren Tresor in der Schweiz zu hinterlegen, um so mehr Transparenz und Vertrauen zu schaffen. Doch diese Maßnahmen stoßen nicht auf ungeteilte Zustimmung. Experten wie Ludo Baauw, Geschäftsführer eines niederländischen Cloud-Anbieters, sehen hierin keine Lösung für die tiefer liegende Problematik.
Er weist darauf hin, dass solche Schritte keinen Einfluss auf die grundsätzlichen geopolitischen Realitäten haben, die durch US-Sanktionen und politische Entscheidungen außerhalb europäischer Kontrolle bestimmt werden. Für Bert Hubert, einen niederländischen Softwareexperten, scheint Microsoft zudem seine eigenen Versprechen zu brechen. Während das Unternehmen zum Teil öffentlich betonte, dass es sich nicht an der Blockade des ICC beteiligen werde, trat genau das wenige Wochen später doch ein. Dieses Verhalten wirft Fragen zur Verlässlichkeit und Unabhängigkeit des Konzerns auf. Die Sperrung der E-Mail-Zugänge beim ICC ist daher nicht nur ein Einzelfall, sondern steht symbolisch für das Risiko, das entsteht, wenn europäische Institutionen zunehmend von US-amerikanischen Technologien abhängig werden.