Die Raumfahrtbranche steht seit Jahrzehnten vor gewaltigen Herausforderungen, wenn es darum geht, große Nutzlasten kosteneffizient und zuverlässig in den Orbit zu bringen. Traditionelle Trägerraketen basieren häufig auf teuren, maßgeschneiderten Einmalstufen, deren Entwicklung und Betrieb immense Kosten verursachen. Mit Innovationen wie wiederverwendbaren Raketenstufen und modularem Design werden bereits Fortschritte erzielt, doch ein Konzept sticht mit seiner kompromisslosen Unkonventionalität besonders hervor: das System der Flottenstart Orbitalfahrzeuge, auch bekannt als Fleet Launched Orbital Craft (FLOC). Dieses Konzept verspricht durch eine radikale Herangehensweise eine neue Dimension der Raumfahrtökonomie und -technik – obwohl es auf den ersten Blick fast schon verrückt wirkt. Die Grundidee hinter FLOC ist, anstatt eine einzelne große Trägerrakete zu entwickeln, eine ganze Flotte von identischen, kleinen Raketenbimese-Paaren gleichzeitig starten zu lassen.
Diese Fahrzeuge heben nahezu zeitgleich vom selben Gebiet ab, fliegen so nah wie möglich beieinander und nutzen Propellant-Crossfeed, um die Nutzlast möglichst effizient zu beschleunigen. Bei Erschöpfung eines Trägers wird dieser von seiner Partnerstufe getrennt und kehrt zurück zur Erde, während die verbleibenden gefüllten Stufen durch gezielte Rendezvousmanöver im dünnen Weltraumatmosphärerenraum aufeinander zugehen, sich mechanisch miteinander koppeln und als neue, leistungsfähigere Einheit weiter aufsteigen. Dieses Prinzip kann so oft wiederholt werden, bis das letzte verbleibende Aggregat mit der Nutzlast schließlich die Umlaufbahn erreicht. Dieser Ansatz lässt sich als logische Fortführung der sogenannten Bimese- und Trimese-Architekturen verstehen, bei denen konzeptionell zwei oder drei identische Stufen seriell eingesetzt werden und durch gemeinsame Schnittstellen, Propellantentransfer und präzise Abkopplungen die Vorteile der Serienherstellung genutzt werden. FLOC geht einen Schritt weiter und integriert praktisch eine beliebige Anzahl (n) von Stufen, die nicht zwingend alle beim Start miteinander verbunden sein müssen, sondern durch koordinierte, exoatmosphärische Rendezvous wieder zu einem effektiven Gesamtfahrzeug zusammengeführt werden.
Ein zentrales technisches Merkmal des Systems ist die Propellant-Crossfeed-Technologie. Dabei wird während des Verbrennungsvorgangs Treibstoff zwischen den bimese Partnern so verteilt, dass stets mindestens eine Stufe voll betankt bleibt, während die andere ihren Treibstoff nahezu vollständig aufbraucht. Dies ermöglicht früheres Abwerfen leerer Stufen und reduziert das Gesamtgewicht, das bis in den Orbit getragen werden muss. Zudem sind durch die modulare Architektur nur wenige standardisierte Bauelemente nötig, was Entwicklungs- und Produktionskosten deutlich reduzieren kann. Die enge zeitliche und räumliche Koordination des gleichzeitigen Starts mehrerer Flugkörper ist der Schlüssel für den Erfolg.
Die Fahrzeuge starten in kurzer Folge, meist innerhalb von Sekunden und in nur wenigen Kilometern Abstand voneinander. Dies erleichtert die Flugführung, da die einzelnen Einheiten fast identische Flugbahnen treffen, was die notwendigen Manöver für das spätere Zusammenkoppeln unterstützt. Das exoatmosphärische Rendezvous beschränkt sich somit auf relativ einfache Proximitätsoperationen in einer Umgebung mit geringstem Luftwiderstand. Nach dem ersten Stufentrennen kehrt die erschöpfte Stufe zurück zur Erde und kann wiederverwendet werden, eventuell unterstützt durch einen Luftatmungsantrieb für den Rückflug in Unterschallgeschwindigkeit. Die verbliebenen gefüllten Stufen müssen in einem engen Zeitfenster von etwa zwei Minuten einander erkennen, anfliegen und mechanisch koppeln.
Das Koppeln erfolgt dabei so, dass mechanische Verbindungspunkte blockiert werden, strukturell sichere Verbindungen entstehen und idealerweise auch eine Propellant-Crossfeed-Schnittstelle hergestellt wird. Die genaue Ausführung des Koppelvorganges wird als komplex angesehen, ist jedoch durch fortschreitende autonome Rendezvous- und Kopplungstechnologien im Weltraum prinzipiell realisierbar. Vorteile des FLOC-Konzeptes liegen vor allem in der Möglichkeit, durch Multiplikation kleiner, leistungsreduzierter Stufen – vergleichbar mit der Größe und Treibstoffzuladung moderner Großraumflugzeuge – extrem große Nutzlasten zu erreichen. Studien zeigen, dass mit einer Flotte von 32 solcher bimese Paare in einer koordinierten Startkampagne bis zu 200 Tonnen Nutzlast in den Orbit gebracht werden könnten – eine Größenordnung, die doppelt so hoch ist wie die der legendären Saturn V. Dabei werden bisherige Grenzen der Materialtechnik und effiziente aber aufwändige Hochleistungsantriebstechnologien nur geringfügig strapaziert.
Die modulare Bauweise könnte zudem für erhebliche Kostenvorteile sorgen. Standardisierte Stufen könnten am Fließband gefertigt, schnell gewartet und vielfach wiederverwendet werden. Große Starts müssten nicht mehr auf eine einzige, teure Rakete warten, sondern könnten durch ein Flotten-Management durchgeführt werden. Die Nutzlastgröße wäre einfach skalierbar durch die Anzahl der gestarteten Einheiten. Trotz dieser verlockenden Möglichkeiten sind bedeutende Herausforderungen mit dem FLOC-Konzept verbunden.
Die größte technische Schwierigkeit liegt in der präzisen Kontrolle und Durchführung zahlreicher Rendezvous- und Kopplungsmanöver im Raum, die alle in kurzer Zeit und unter Hochgeschwindigkeit stattfinden müssen. Fehlgeschlagene Kopplungen oder Steuerungsprobleme könnten den gesamten Ablauf gefährden. Die Einhaltung sicherer Abstände während der ersten Flugphase, die Belastbarkeit der mechanischen Verbindungen gegenüber dynamischen Lasten und die sichere Handhabung von Treibstoffen über flexible Verbundstellen sind ebenfalls komplexe Probleme. Die Aerodynamik eines so eng fliegenden Verbundes aus mehreren gerade getrennten Raketenstufen könnte zu unvorhersehbaren Belastungen führen, die zu einem höheren Strukturgewicht und damit reduzierter Leistungsfähigkeit führen. Zudem müsste Sicherstellung von Fehlertoleranz und Redundanzen fest in das Gesamtsystem integriert werden, da der Ausfall einzelner Triebwerke oder Stufen nicht zum Abbruch des Komplettstarts führen darf.
Die Entwicklung und Erprobung wären sehr aufwändig. Praktische Tests mit untermaßstabsgetreuen Robotern, etwa in Schwerelosigkeit, und variablen Rendezvous-Demonstratoren wären erforderlich, um grundlegende Technologien zu validieren. Erste bemannte oder unbemannte Suborbitalmissionen mit geringeren Stufenanzahlen könnten als Sprungbrett dienen. Diese schrittweise Vorgehensweise würde die Risiken reduzieren und technische Lernerfahrungen fördern. Darüber hinaus weisen Experten darauf hin, dass besonders die Triebwerksauslegung vor Herausforderungen steht.
Die Antriebe müssen beginnend am Boden sowohl atmosphärische Bedingungen als auch den Vakuumstart im All bewältigen. Üblicherweise sind Raketenmotoren für einen der beiden Bereiche optimiert. Eine ausreichende Leistung und Effizienz auf beiden Extremen zu erreichen, ohne dass die Masse durch Mehrfachantriebe zu sehr steigt, ist schwierig. In der Praxis wären wahrscheinlich Kompromisse oder neue Höhenkompensationsantriebe notwendig, um dies zu lösen. Auch die logistische Infrastruktur stellt eine neue Herausforderung dar.
Große Startkomplexe müssen viele Startplätze und Nutzungszyklen bewältigen können. Die Startplatzinvestitionen könnten dennoch niedriger sein als bei Einzelriesenraketen, da mehrere kleinere und einheitliche Starteinrichtungen eingesetzt werden können, die einfacher, schneller und günstiger zu errichten und zu betreiben sind. Ein weiterer interessanter Aspekt des FLOC-Konzeptes – der über den Erdorbit hinausführt – sind die Möglichkeiten für interplanetare Missionen. In tiefem Weltraum könnten verbundene Fahrzeuge komplexe Missionen durchführen, bei denen Teile einer Flotte andere Einheiten zu Zielen wie Mars mit hohem Delta-V transportieren, während die Tankreserve effizient geteilt wird. Dort entfallen atmosphärische Probleme und erlauben noch größere Systemflexibilität.
Kurz gesagt, die Flottenstart Orbitalfahrzeuge sind eine faszinierende Verschiebung des Raumfahrtparadigmas. Die Kombination aus modularer Architektur, serienmäßiger Herstellung, formatiertem Start mehrerer Raketen, automatischen Kopplungen und Propellantentransfers eröffnet eine neue Vielfalt an Konzepten jenseits der klassischen seriellen oder parallel geschalteten Stufen. Dabei bleibt das System trotz seiner „verrückten“ Natur theoretisch machbar und könnte das Tor zu massiven Nutzlasten öffnen, ohne individuelle Hightech-Riesenraketen zu benötigen. Natürlich liegt noch viel Arbeit vor den Entwicklern, Ingenieuren und Raumfahrtexperten, um diese Vision in die Realität umzusetzen. Neben den technischen Hürden gilt es auch Fragestellungen zu Sicherheit, Betriebsabläufen und Wirtschaftlichkeit zu adressieren.
Der Weg mag holprig sein, doch der Ansatz inspiriert dazu, konventionelle Denkmuster zu hinterfragen und neue Möglichkeiten der Raumfahrt zu erkunden. Vielleicht ist genau in dieser Art von „verrückten“ Ideen der Schlüssel zur Zukunft des Weltraumtransports verborgen.