In der Ära der rasant fortschreitenden Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz steht das Internet an einem entscheidenden Wendepunkt. Kevin Scott, der Chief Technology Officer von Microsoft, eröffnet neue Perspektiven auf die Entwicklung des sogenannten agentischen Webs. Dieses Konzept beschreibt eine Zukunft, in der intelligente Software-Agenten autonom im Internet agieren und Aufgaben im Auftrag der Nutzer erfüllen – eine Evolution, die die Art und Weise, wie wir das Web erleben und nutzen, grundlegend verändern könnte. Das heutige Web ist geprägt von klassischen Suchmaschinen, die durch das Indexieren zahlloser Webseiten funktionieren. Google und Microsofts Bing dominieren diesen Bereich mit zentralisierten Indexen, die kostspielig zu pflegen sind und in einem immer komplexeren Ökosystem oft an ihre Grenzen stoßen.
Microsofts Vision, vertreten durch Kevin Scott, sieht vor, das Such- und Interaktionserlebnis grundlegend zu rekonfigurieren, indem die starren zentralisierten Systeme zugunsten eines dezentraleren, agentengesteuerten Webs aufgebrochen werden. Im Kern steht der von Anthropic entwickelte Model Context Protocol (MCP), ein offener Standard, mit dem KI-Agenten direkt und kontrolliert mit Webseiten und Onlinediensten interagieren können. Dieses Protokoll ermöglicht es Webseitenbetreibern, selbst zu entscheiden, welche Inhalte und Dienste für KI-Agenten zugänglich gemacht werden sollen. Damit löst MCP gleich mehrere Herausforderungen: technische, geschäftliche und ethische Aspekte, die den heutigen Status quo des Webs prägen und neue Modelle der Interaktion und Monetarisierung eröffnen. Kevin Scott betont, dass der Fortschritt im agentischen Web nur gelingen kann, wenn die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt werden – sei es die Entwickler, die Nutzer oder die Ersteller von Inhalten.
So geht es in dem neuen Modell nicht mehr nur darum, möglichst viele Benutzer über zentrale Suchindizes auf eine Webseite zu lenken, sondern Agenten sollen im Sinne der Nutzer Aufgaben erledigen und dabei zugleich die Geschäftsinteressen der Anbieter respektieren. Das bedeutet einen Paradigmenwechsel weg von statischem Webseiten-Content hin zu einer dynamischen, agentenbasierten Interaktion. Hierbei wird auch deutlich, dass die Technik allein nicht ausreicht. Es braucht geschlossene wirtschaftliche Kreisläufe und Geschäftsmodelle, die sicherstellen, dass Content-Ersteller für ihre Arbeit entlohnt werden. Dieses Thema gewinnt vor allem vor dem Hintergrund zurückgehender Webseiten-Trafficzahlen durch KI-gesteuerte Suchanfragen an Bedeutung.
Wenn Nutzer Antworten direkt von Agenten erhalten und nicht mehr einzelne Webseiten aufrufen, fehlen den Anbietern etablierte Einnahmequellen wie Werbung oder Abonnements. MCP gibt ihnen die Möglichkeit, den Zugang selektiv zu steuern und dadurch neue Erlösmodelle zu ermöglichen. Microsofts Strategie im Rahmen der Build-Konferenz 2025, bei der Kevin Scott ausführlich sprach, besteht darin, Entwicklern einfache Werkzeuge bereitzustellen, um KI-gestützte lokale Suchmöglichkeiten auf ihren Webseiten zu implementieren. Dabei müssen diese keine zentralen Indexe betreiben oder eigene komplexe KI-Modelle entwickeln, sondern können bestehende Modelle von Microsoft, OpenAI oder anderen Anbietern flexibel einsetzen. Diese Offenheit ist ein zentrales Merkmal der Initiative, um eine breite Akzeptanz und rasche Verbreitung sicherzustellen.
Das Konzept der Asynchronität spielt dabei eine wichtige Rolle. Anders als heute, wenn Nutzer sich aktiv und unmittelbar mit einer Webseite beschäftigen, sollen Agenten künftig auch im Hintergrund und unabhängig von der unmittelbaren Nutzeraufmerksamkeit Aufgaben erledigen. So könnten etwa Reiseplanungen, Einkäufe oder Recherchearbeiten von Agenten übernommen werden, was enorme Effizienzgewinne verspricht und das Nutzererlebnis qualitativ verbessert. Ein weiterer spannender Punkt, den Kevin Scott anspricht, ist der Vergleich mit den Anfängen des Internets. Damals führte die Einführung offener und erlaubnisfreier Protokolle wie HTTP und HTML zu einem explosionsartigen Wachstum des Webs und einer kreativen Welle an Innovationen.
MCP wird von ihm als potenziell gleichbedeutend mit HTTP im Umfeld des agentischen Webs betrachtet – als universelles, offenes Kommunikationsprotokoll, das von allen Akteuren genutzt werden kann, ohne eine zentrale Kontrolle. Scott weist jedoch auch auf die größten Herausforderungen hin. Technisch bedeutet die Integration von Agenten und die Öffnung über Standards wie MCP große Komplexität – sowohl in Bezug auf Sicherheit als auch auf Interoperabilität. Doch ebenso bedeutend ist die geschäftliche Komponente. Unternehmen müssen bereit sein, sich für dieses neue Modell zu öffnen, und der Markt muss Wege finden, um diese neue Form der Nutzerbindung wirtschaftlich erfolgreich zu machen.
Wichtig bleibt außerdem die Rolle der großen Plattformen. Während das agentische Web offen gedacht ist, stellt sich die Frage, ob Monopolisten wie Google, Facebook oder TikTok sich diesem neuen Paradigma anpassen oder eigene, geschlossene Ökosysteme aufbauen werden. Kevin Scott ist überzeugt, dass Nutzer entscheiden, welche Form sie bevorzugen, und dass sich offene Protokolle durchsetzen können, wenn sie die Nutzerpräferenzen widerspiegeln. Die Rolle von KI im Allgemeinen diskutiert Scott in dem Gespräch ebenfalls ausführlich. Er beschreibt die aktuelle Phase als „die mittleren Innings“ eines langfristigen technologischen Spiels.
Die Basisinfrastruktur und Modelle haben sich grundsätzlich bewährt, die größten Fortschritte stehen aber noch bevor. Interessanterweise betont er, dass die derzeitigen Modelle oft leistungsfähiger sind als ihr Einsatz nahelegt, und dass gerade die Ermächtigung von Agenten, umfassendere Aktionen auszuführen, das nächste bedeutende Entwicklungsthema ist. Microsoft arbeitet intensiv mit OpenAI zusammen, doch Scott stellt klar, dass sich die Partnerschaft verändert hat – von einer weitreichenden technischen Kooperation hin zu einer Beziehung, in der OpenAI als ein wichtiger, großer Kunde von Azure fungiert. Gleichzeitig setzt Microsoft auch auf eine breite Ökosystementwicklung und unterstützt verschiedene Anbieter und offene Standards. Spannend ist zudem Scotts Haltung zum Themenkomplex Kreativität und Urheberrechte.
Als Buchautor selbst äußert er Verständnis für die Sorgen von Kreativschaffenden, die durch KI und automatisierte Inhalte wirtschaftliche Einbußen fürchten. Gleichzeitig hebt er hervor, dass offene Protokolle wie MCP den Kreativen neue Möglichkeiten geben können, ihre Inhalte kontrolliert und monetarisiert zugänglich zu machen. Wichtig sei eine Balance, die die kreative Vielfalt erhält und gleichzeitig den Fortschritt nicht ausbremst. Insgesamt entsteht das Bild eines visionären Ausblicks auf ein Web, das von Agenten geprägt wird, die auf offenen Standards basieren und sowohl Nutzern als auch Anbietern neue Möglichkeiten eröffnen. Die Herausforderungen sind vielfältig – technischer, finanzieller und regulatorischer Natur – doch die Früchte dieser Entwicklung könnten ein effizienteres, personalisiertes und nachhaltiges Internet sein.
Kevin Scotts Perspektive zeigt, dass Microsoft sich aktiv am Gestaltungsprozess dieses neuen agentischen Webs beteiligt und mit Technologien wie dem Model Context Protocol und NLWeb Grundlagen schafft, um Agenten und Webseiten zu vernetzen. Damit will das Unternehmen einen Beitrag leisten, das Web offener, zugänglicher und auf lange Sicht für alle Beteiligten attraktiver zu machen. Die Geburtsstunde des agentischen Webs könnte somit vergleichbar sein mit den revolutionären Momenten der frühen Internetzeit, indem sie eine neue Ära der Vernetzung, Interaktion und intelligenten Automatisierung einläutet. Wie genau diese Welt konkret aussehen wird, welche Akteure sie maßgeblich prägen und welche Geschäftsmodelle sich durchsetzen, bleibt spannend – eines ist jedoch sicher: KI und offene Protokolle werden das Internet fundamental transformieren und Kevin Scott und Microsoft stehen mitten in diesem Wandel.