In einer Welt, die vom Kapitalismus durchdrungen ist, standen technische Standards lange im Schatten wirtschaftlicher Debatten. Sie werden oft als bürokratische Details betrachtet, die den technischen Fortschritt ermöglichen, jedoch kaum mit ökonomischen oder gesellschaftspolitischen Systemen in Verbindung gebracht werden. Dabei offenbaren technische Standards ein bemerkenswertes Beispiel für einen Bereich, in dem Zusammenarbeit, Konsensbildung und der öffentliche Nutzen über Profitmaximierung gestellt werden. Das zeigt sich bereits daran, wie Standards entwickelt werden: In offenen Gremien, bei denen viele unterschiedliche Interessengruppen mitwirken, um gemeinsame Regeln festzulegen. Dabei spielen Standards-Entwicklungsorganisationen (SDOs) wie ISO, ANSI oder IEEE eine zentrale Rolle.
Ihre Funktionsweise steht im Kontrast zu kapitalistischen Prinzipien von Konkurrenz, Privatkapital und Kontrolle durch Eigentum und Expertise. Standards sind so gestaltet, dass sie keinen einzelnen Akteur dominieren, und sie sorgen dafür, dass das Wissen, das sie enthalten, für alle zugänglich ist. Dieses System funktioniert nicht, weil es kapitalistische Marktkräfte bedient, sondern weil es eine andere Logik zugrunde legt, nämlich die des kollektiven Nutzens und der Offenen Zusammenarbeit. Die historischen Wurzeln technischer Standards reichen bis in die Zeit der Industriellen Revolution zurück, als es vor allem darum ging, in der aufkommenden Massenfertigung Präzision und Austauschbarkeit zu gewährleisten. Die Entwicklung von Standards diente dem praktischen Ziel, technische Kompatibilität und Effizienz zu sichern – sie orientierte sich am Produkt selbst und nicht daran, wie dieser Fortschritt kapitalistisch ausgeschlachtet werden kann.
Das führte dazu, dass bereits frühzeitig ein Prozess entstanden ist, der Dominanz durch Einzelinteressen zu verhindern sucht. Standardisierungsinstitutionen legen besonderen Wert auf Transparenz, Ausgewogenheit der Interessen und die Vermeidung von finanziellen oder politischen Barrieren für die Beteiligung. Dieses Prinzip ist bewusst anti-autoritären Tendenzen und der Konzentration von Macht im Kapitalismus entgegengesetzt. Während Patente restriktive Privatbesitzansprüche an Technologie durchsetzen, sind Standards darauf ausgelegt, als gemeinsame Grundlage für Innovation zu fungieren und für breite Nutzung geöffnet zu bleiben. Die Zugänglichkeit von Standards auf vernünftigen, nicht-diskriminierenden Bedingungen garantiert, dass technisches Wissen kein Monopol oder Exklusivgut darstellt.
Diese Offenheit trägt dazu bei, Informationen als öffentliches Gut zu etablieren – ein Konzept, das in kapitalistischen Wirtschaftsmodellen oft nur unzureichend anerkannt wird. Standards sind jedoch keineswegs per se gegen den Kapitalismus gerichtet. Vielmehr kann das formale Standardisierungssystem innerhalb kapitalistischer Kontexte existieren und sogar wirtschaftlichen Erfolg fördern. Internationale Organisationen wie die ISO dokumentieren regelmäßig, wie Standards zum globalen Handel und zur Wertschöpfung beitragen. Dennoch zeigt gerade diese Schnittstelle, wie das System auch anderweitig funktioniert: Es könnte ebenso gut in alternativen Wirtschaftsmodellen bestehen, die auf Kooperation, Gemeinwohl und demokratischer Entscheidungsfindung beruhen, ohne auf den Profit als Hauptantriebskraft zu bauen.
Vor diesem Hintergrund eröffnet sich eine wichtige Perspektive auf anti-kapitalistisches Denken und Handeln: Anti-Kapitalismus bedeutet nicht zwangsläufig Ablehnung von Technologie, Innovation oder Handel. Vielmehr geht es darum, eine andere Basis für Wirtschaft und Gesellschaft zu schaffen, die sich nicht an individueller Kapitalvermehrung orientiert, sondern an gemeinschaftlichem Vorteil und sozialer Gerechtigkeit. Das Standardsystem kann dabei als praktisches Werkzeug gelten, um genau diese Art von Koordination und Zusammenarbeit zu fördern. Indem Organisationen partizipieren und sich aktiv in diese Prozesse einbringen, lässt sich der Einfluss kapitalistischer Machtmechanismen eindämmen und ein demokratischer Umgang mit Wissen und technischen Ressourcen stärken. Die Tatsache, dass selbst Staaten wie Nordkorea internationale Standardisierungsgremien mitprägen, unterstreicht die universelle Bedeutung des Systems jenseits ideologischer Grenzen.
Es ist eine globale Infrastruktur, die nicht ausschließlich kapitalistischen Interessen dient, sondern grundlegende Voraussetzungen für technologische Entwicklung und gesellschaftlichen Fortschritt unabhängig von ökonomischen Systemen schafft. Damit stellen technische Standards ein unterschätztes Modell dafür dar, wie öffentliche Güter gemeinsam verwaltet und weiterentwickelt werden können. Die systematische Sicherung von Transparenz, ausgewogener Beteiligung und partizipativer Entscheidungsfindung wirkt direkt gegen die Tendenz zu monopolistischer Machtkonzentration, wie sie der Kapitalismus begünstigt. Das macht Standards zu einem Hoffnungsschimmer für jene, die ein anderes Wirtschaftsmodell anstreben, ohne dabei auf die Vorzüge moderner Technologie und globalen Handels verzichten zu müssen. Letztlich macht die Praxis der Standardisierung sichtbar, dass eine Welt jenseits des Kapitalismus nicht nur eine theoretische Utopie sein muss.
Vielmehr existiert ein funktionierendes Beispiel für kooperative Wirtschaftsprozesse bereits heute und wartet darauf, stärker genutzt und anerkannt zu werden. Für Personen und Organisationen, die sich eine gerechtere, offenere Gesellschaft wünschen, ist die Beteiligung an der Standardentwicklung daher auch ein ganz konkreter Schritt, um kommunalen, gemeinschaftlichen und solidarischen Ideen Raum zu geben. Standards zeigen, dass es möglich ist, Ökonomie und Technik nicht allein den Mechanismen von Profit und Macht zu überlassen, sondern als Teil eines kollektiven, öffentlichen Gutes zu betrachten. Damit eröffnen sie eine alternative Perspektive auf Wissen, Technologie und gesellschaftlichen Fortschritt, die mit den Werten der Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Solidarität übereinstimmt. Sie erlauben eine Vision, in der die Weiterentwicklung von Technologie nicht der Kapitalvermehrung untergeordnet ist, sondern dem Wohl aller und der Zukunft unseres Planeten dient.