Im Jahr 1853 erreichte John Benjamin Dancer eine technische Meisterleistung, die viele seiner Zeitgenossen erstaunte: Er verkleinerte ein Bild auf die Größe der Spitze eines Bleistifts. Diese Art der reduzierten Fotografie, heute als Mikrofotografie bekannt, hat nicht nur die Grenzen der fotografischen Technik verschoben, sondern auch Einfluss auf verschiedene gesellschaftliche und kulturelle Bereiche genommen. Von erotischer Unterhaltung bis hin zu kriegswichtigen Nachrichten wurde die Mikrofotografie zu einem wichtigen Medium im 19. Jahrhundert. Die Anfänge der Fotografie waren geprägt von den sogenannten Daguerreotypien, die in verschiedenen Standardgrößen erhältlich waren.
Die größte Dimension nannte sich „whole plate“ und maß 6,5 mal 8,5 Zoll, während die kleinste Größe, die sechszehntel Platte, etwa der Größe eines Passfotos entsprach. Umso erstaunlicher war es, als ein Fotograf aus Liverpool ein Daguerreotypie-Bild durch eine Mikroskoplinse auf winzige drei Millimeter verkleinerte. John Benjamin Dancer, ein begeisterter Amateur und optischer Instrumentenbauer, war der Mann hinter diesem Coup. Dancer, der in den frühen 1840er Jahren London besuchte, um die Daguerreotypie aus erster Hand zu erleben, war unter anderem Verkäufer von Brillen und Mikroskopen. Nach seiner Rückkehr begann er, selbst Daguerreotypie-Kameras zu vertreiben, und experimentierte mit der Verkleinerung von Bildern.
Seine Arbeit leitete eine neue Fotografieform ein, die sich von der Photomikrographie unterscheidet – denn während die Photomikrographie das Fotografieren winziger Objekte durch das Mikroskop bezeichnet, beschreibt Mikrofotografie die bewusste Verkleinerung eines normalen Motivs zu einem mikroskopisch kleinen Bild. Die Einführung des Nass-Kollodium-Verfahrens, bei dem Glasplatten lichtempfindlich gemacht wurden, ebnete den Weg für die Verbreitung der Mikrofotografie. Dancer reduzierte beispielsweise ein vier mal fünf Zoll großes Foto einer Gedenktafel für den Erfinder William Sturgeon auf nur eine eineinhalb Millimeter kleine Fotografie – kaum größer als die Spitze eines Bleistifts. Mit Hilfe eines Mikroskops waren die neunzehn Zeilen und 680 Buchstaben des Textes jedoch kristallklar erkennbar. Mikrofotografien waren für das bloße Auge unsichtbare winzige Punkte, die erst durch Vergrößerung ihre Geheimnisse offenbarten.
Dancer produzierte und verkaufte Makrofotografien mit Motiven wie Porträts berühmter Persönlichkeiten, religiösen Texten, Gemälden oder Landschaften. In der viktorianischen Zeit wurden Mikroskope immer populärer, so dass zahlreiche Haushalte den Alltag mit einem bisschen Faszination für das Minuscule bereicherten. Selbst hochrangige Persönlichkeiten, darunter Königin Victoria, schätzten Dancers Mikrofotografien. Berühmt ist ihr Ring, der mikrofotografische Porträts ihrer Familie enthielt und über eine sogenannte „Juwellenlinse“ vergrößert werden konnte. Der Wissenschaftler Sir David Brewster pries diese Technik in der 1857 erschienenen Encyclopædia Britannica und beschrieb, wie Tausende von Personengruppen auf nur einem Quadratzoll untergebracht werden konnten.
Während manche wie Thomas Sutton die Mikrofotografie als „kindisch“ und wenig nutzbringend betrachteten, erwies sich diese Einschätzung als kurzsichtig. Die Mikrofotografie legte später den Grundstein für Microfilm und wurde im militärischen Kontext während des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71 zu einem wertvollen Kommunikationsmittel. In dieser Zeit wurden Mikrofotografien auf winzigen Platten produziert, die mit Hilfe von Brieftauben in die belagerte Stadt Paris transportiert wurden – eine innovative Methode, um trotz Belagerung Nachrichten auszutauschen. Der Franzose René Prudent Patrice Dagron spielte eine Schlüsselrolle bei der Kommerzialisierung von Mikrofotografien. Er erfand sogenannte Stanhopes – kleine Schmuckstücke, in denen mikrofotografische Bilder verborgen waren und durch eine eingebaute konvexe Linse betrachtet werden konnten.
Nach aufwendigen Experimenten meldete Dagron 1859 sein Patent an und stellte die weltweit ersten serienmäßigen Mikrofotografien her. Seine Methode umfasste eine lange Holzkiste mit mehreren kleinen Linsen, durch die ein Bild projiziert und mehrfach auf belichtete, lichtempfindliche Glasplatten übertragen wurde. So konnten bis zu 450 Mikrofotografien auf einer einzigen Platte entstehen. Anschließend wurden diese winzigen Fotografien ausgeschnitten und an einen optischen Glaszylinder mit einem Durchmesser von kaum mehr als einer Wimpernkante angeklebt, der mit einer Minivergrößerung im Schmuckstück verklebt wurde. Die Stanhopes erfreuten sich enormer Beliebtheit und waren in verschiedenen Alltagsgegenständen wie Ringen, Schlüsselanhängern, Broschen, Pfeifen oder sogar Kugelschreibern zu finden.
Ihre Geheimhaltung machte sie zudem zum idealen Träger für erotische Darstellungen, die oft als „unanständig“ oder „anstößig“ bezeichnet wurden, aber für Besitzer einen privaten Reiz hatten. In vielen Stanhopes wurden winzige Aktbilder oder Szenen intimer Natur versteckt – eine faszinierende Verbindung von Technologie und menschlichen Fantasien. Berichte über die Beschlagnahme solcher erotischer Stanhopes finden sich etwa aus Australien im Jahr 1869. Dort wurden mehrere Schmuckstücke aus dem Zoll gezogen, die mikrofotografische Abbildungen mit obszönen Inhalten enthielten. Aufgrund der Natur der Objekte existieren nur wenige dokumentierte Fälle dieser Verboten, doch die Funde bei archäologischen Ausgrabungen und in Sammlungen wie dem des Kinsey-Instituts in Indiana belegen die weite Verbreitung dieser Mikrokunst.
Die technische Innovation der Mikrofotografie zeigte sich jedoch nicht nur in der Unterhaltung und Erotik. Besonders während des Deutsch-Französischen Kriegs illustriert sich ihr militärischer Wert. Während der Belagerung von Paris 1870 organisierte Dagron den Versand von Nachrichten an die Stadt mittels Brieftauben, an denen kleine Mikrofotografien mit über Tausenden von Nachrichten rolliert in Gänsekielen befestigt waren. Diese Methode erlaubte es, viele Botschaften auf kleinstem Raum zu transportieren und so wichtige Informationen trotz der schwierigen Umstände zu übermitteln. Dagrons Arbeit mit Mikrofotografien zeigte auch zukunftsweisend, wie elektronische Archive funktionieren könnten: Ein einzelnes Mikrofotobild konnte ganze Zeitungsseiten oder wichtige Dokumente enthalten und stellte somit einen Vorläufer der späteren Microfilme und digitalisierten Datenspeicherungen dar.
Brewsters Vorhersage aus dem Jahr 1857, dass „mikroskopische Kopien von Depeschen und wertvollen Papieren per Post übertragen werden könnten“, wurde somit Realität. Die Geschichte der Mikrofotografie ist ein faszinierendes Zusammenspiel von technischer Innovation, gesellschaftlicher Nutzung und kulturellen Tabus. Sie zeigt, wie ein scheinbar triviales Detail – ein winziges Bild – sowohl als private Schatzkammer von Erinnerungen, als exotisches erotisches Spielzeug oder als lebenswichtige militärische Informationsquelle dienen kann. Die Arbeit von Pionieren wie John Benjamin Dancer und René Dagron legte den Grundstein für vielfältige Dimensionen der Medienkommunikation und Microtechnik, deren Nachwirkungen bis in die heutige digitale Ära reichen. Heute erinnert man sich an die Mikrofotografie nicht nur als technische Kuriosität, sondern als einen wichtigen Meilenstein in der Geschichte der Fotografie, der Kunst und Kommunikation.
Ihr Einfluss reicht von ästhetischen Schmuckstücken der viktorianischen Zeit bis hin zu grundlegenden Techniken, die moderne Informationsspeicherung und Spionage der Neuzeit ermöglichen. Ihre versteckten Bilder erzählen nicht allein Geschichten ihrer Gegenwart, sondern spiegeln auch die menschliche Sehnsucht nach Geheimnissen, Intimität und Innovation wider.